News
BAG v. 6.6.2023 - 9 AZR 383/19 u.a.
Der Vorsitz im Betriebsrat steht einer Wahrnehmung der Aufgaben des Beauftragten für den Datenschutz typischerweise entgegen und berechtigt den Arbeitgeber in der Regel, die Bestellung zum Datenschutzbeauftragten nach Maßgabe des BDSG in der bis zum 24.5.2018 gültigen Fassung (a.F.) zu widerrufen. Personenbezogene Daten dürfen dem Betriebsrat nur zu Zwecken zur Verfügung gestellt werden, die das BetrVG ausdrücklich vorsieht.
Zum Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes am 2.7.2023 werden auf der Webseite des Bundesamtes für Justiz Meldekanäle veröffentlicht, über die sich hinweisgebende Personen an die externe Meldestelle des Bundes wenden können. Meldungen werden elektronisch, schriftlich, telefonisch oder persönlich bei der externen Meldestelle des Bundes möglich sein.
Aktuell im ArbRB
Der Beitrag geht der Frage nach, ob die Voraussetzungen der §§ 95 ff. SGB III zur Einführung von Kurzarbeit auch vorliegen können, wenn die Arbeit in einem Betrieb oder Betriebsteil durch einen Cyber-Angriff zum Stillstand kommt, und ob Kurzarbeit damit ein probates Mittel sein kann, um die wirtschaftlichen Einbußen eines Cyber-Angriffs abzufedern.
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat ihren Kompaktbericht zur "Arbeit von zuhause" veröffentlicht. Laut der BAuA-Arbeitszeitbefragung 2021 von rund 20.000 Erwerbstätigen in Deutschland hat über die Hälfte der Beschäftigten während der Pandemie zumindest teilweise von zuhause gearbeitet. Dabei hätten Beschäftigte mit einer betrieblichen Vereinbarung zum Arbeiten von zuhause insgesamt bessere Arbeitsbedingungen. Betriebliche Regelungen könnten einer Entgrenzung der Arbeit entgegenwirken.
SG Gießen v. 15.5.2023 - S 14 AL 4/23
Bei aufeinanderfolgenden Insolvenzereignissen ist grundsätzlich das zeitlich erste für den Insolvenzgeldanspruch maßgebend. Etwas anderes gilt nur, wenn der Arbeitgeber zwischenzeitlich wieder Zahlungsfähigkeit erlangt hat. Sieht eine laufender Insolvenzplan die Ausschüttung des festgelegten Betrages an die Insolvenzgläubiger vor und ist mittels einer Treuhandabrede die Zahlung des Gesamtbetrages sichergestellt, so ist für die Frage des Bestehens eines erneuten Anspruchs auf Insolvenzgeld auch bei bestehender Planüberwachung darauf abzustellen, ob der Arbeitgeber wieder in der Lage war, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Einer laufenden Planüberwachung kommt insoweit lediglich indizielle Wirkung zu.
ArbG Gelsenkirchen v. 22.3.2023 - 3 Ca 1292/22
Ist in einem Vertrag eines professionellen Fußballspielers in einer „Anlage Besondere Regelungen“ eine individuelle Punkt-Einsatzprämie für Bundesligaspiele vorgesehen, so gilt dies ausschließlich für Spiele der „1. Bundesliga“ und nicht für Spiele der „2. Bundesliga“. Diese Begrifflichkeit bzw. ihr Verständnis entspricht auch dem allgemeinen Verständnis, wie es z.B. vom DFL Deutsche Fußball Liga e.V. als Veranstalter der Bundesliga und der 2. Bundesliga zum Ausdruck gebracht wird.
ArbG Erfurt v. 28.4.2023 - 7 Ga 6/23
Ein rechtswidriger Abbruch des Auswahlverfahrens verletzt den grundrechtsgleichen Bewerbungsverfahrensanspruch. Die Bewerber können daher bereits diese Maßnahme, obwohl sie nur vorbereitenden Charakter besitzt, einer gerichtlichen Kontrolle zuführen. Für eine Einstellungsuntersuchung reicht nicht aus, wenn nur abstrakt die mögliche Leistungsfähigkeit des Bewerbers getestet werden soll. Dabei kann der Bewerber frei entscheiden, von welchem Arzt er sich untersuchen lassen möchte.
BAG v. 31.5.2023 - 5 AZR 273/22
Nach § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO darf der Wert des Sachbezugs für die vereinbarte Überlassung eines Dienstwagens zur privaten Nutzung nicht die Höhe des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts übersteigen. Der unpfändbare Betrag des Entgelts muss dem Arbeitnehmer in Geld ausgezahlt werden. Zur Ermittlung des pfändbaren Teils des Einkommens sind Geld- und Sachleistungen nach den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften zusammenzurechnen. Nicht einbezogen wird dabei der steuerlich zu berücksichtigende geldwerte Vorteil für die Nutzung des Pkw auf dem Weg von der Wohnung zum Betrieb i.H.v. mtl. 0,03 % des Listenpreises für jeden Entfernungskilometer (sog. 0,03 %-Regelung).
BAG v. 31.5.2023 - 5 AZR 143/19
Von dem Grundsatz, dass Leiharbeitnehmer für die Dauer einer Überlassung Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt wie vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers haben (equal pay), kann nach § 8 Abs. 2 AÜG ein Tarifvertrag "nach unten" abweichen mit der Folge, dass der Verleiher dem Leiharbeitnehmer nur die niedrigere tarifliche Vergütung zahlen muss. Ein entsprechendes Tarifwerk hat der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) mit der Gewerkschaft ver.di geschlossen. Dieses genügt den unionsrechtlichen Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Richtlinie 2008/104/EG (Leiharbeits-RL).
Ob per Stechuhr, Excel-Tabelle oder App: Seit September 2022 sind Arbeitgeber verpflichtet, Arbeitsbeginn und -ende, Dauer der Arbeitszeit sowie Überstunden ihrer Beschäftigten zu erfassen. Bislang (Stand: 19. April 2023) hat aber erst etwas mehr als jedes zweite Unternehmen (59 %) den entsprechenden Beschluss des BAG umgesetzt.
LAG Baden-Württemberg v. 26.5.2023 - 12 TaBV 1/23
Der Betriebsrat der Großkraftwerk Mannheim AG hat kein Mitbestimmungsrecht bei der Kürzung der Vergütung des Betriebsratsvorsitzenden.
Aktuell im ArbRB
Die praktische Umsetzung der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern stellt Unternehmen vor große Herausforderungen. Hierzu vorgenom-mene Hilfsbetrachtungen führen allseits zu Unsicherheit. Nach der Entscheidung des BGH im „Volkswagen-Prozess“ steht fest: Die mit der Betriebsratsvergütung einhergehenden strafrechtlichen Risiken sind erheblich. Der Beitrag vermittelt einen Überblick über die aktuelle Rechtsprechung und gibt Hinweise für die Praxis.
BAG v. 24.5.2023 - 7 AZR 169/22
In Arbeitsverträgen mit Profifußballern sind Vertragsklauseln geläufig, nach denen sich der für eine Spielzeit befristete Arbeitsvertrag um eine weitere Spielzeit verlängert, wenn der Vertragsspieler auf eine bestimmte (Mindest-)Anzahl von Spieleinsätzen kommt. Eine solche einsatzabhängige Verlängerungsklausel ist nicht dahin ergänzend auszulegen oder anzupassen, dass im Hinblick auf das pandemiebedingte vorzeitige Ende der Spielzeit 2019/2020 in der Fußball-Regionalliga Südwest der Vertrag sich bei weniger als den festgelegten Einsätzen verlängert.
Der Rat der Europäischen Union hat am 24. April 2023 die Entgelttransparenzrichtlinie („EntgTranspRL“) angenommen, nachdem Ende März auch das EU-Parlament der Richtlinie mit großer Mehrheit zugestimmt hat. Durch die EU-Richtlinie sollen die Lohndiskriminierung bekämpft und das geschlechtsspezifische Lohngefälle in der EU abgebaut werden.
VerwG Mainz v. 12.5.2023 - 4 K 573/22.MZ
Eine Corona-Impfung kann nach Auftreten eines Körperschadens bei einer Lehrerin nicht als Dienstunfall anerkannt werden, auch wenn die Beamtin sich nach ihrer Einordnung in die Priorisierungsgruppe II der Impfung unterzogen hat.
Aktuell im ArbRB
Sind sich die Parteien über eine Trennung einig, wird häufig eine sog. Turbo- oder Sprinterklausel vereinbart. Während der Freistellung kann der Arbeitnehmer aber auch schon bei einem anderen Arbeitgeber arbeiten, ohne die Freistellung vorzeitig zu beenden, so dass die Turboklausel ungenutzt bleibt. Kann der Arbeitnehmer dann doppelt verdienen und was wird aus dem Urlaub, der mit der Freistellung abgegolten werden sollte? Wer hier nicht aufpasst, kann Überraschungen erleben.
BGH v. 8.3.2023 - 1 StR 188/22
Abgrenzung von scheinselbständigen Rechtsanwälten und freien Mitarbeitern einer Rechtsanwaltskanzlei
Für die Abgrenzung von sog. scheinselbständigen Rechtsanwälten und freien Mitarbeitern einer Rechtsanwaltskanzlei ist das Gesamtbild der Arbeitsleistung maßgebend; soweit die Kriterien der Weisungsgebundenheit und Eingliederung wegen der Eigenart der Anwaltstätigkeit im Einzelfall an Trennschärfe und Aussagekraft verlieren, ist vornehmlich auf das eigene Unternehmerrisiko und die Art der vereinbarten Vergütung abzustellen. Beitragszahlungen von Schwarzarbeitern und illegal Beschäftigten aufgrund einer mit dem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung lassen nicht schon die Tatbestandsmäßigkeit des § 266a Abs. 1 und 2 StGB entfallen, sondern sind erst auf der Ebene der Strafzumessung zu berücksichtigen.
Auch im aktuellen Preiszyklus hat sich die international und interdisziplinär besetzte Preisjury der Centrale für Mediation (CfM) des Otto Schmidt Verlages mit hochkarätigen Bewerbungen in den Kategorien Wissenschaftspreis, Förderpreis und Sokrates-Preis befasst. Die Ehrung der drei Preisträger findet am 14. Juni 2023 (17-19 Uhr) in einem offenen Online-Event statt, eingebettet in ein hochaktuelles gesellschaftspolitisches Rahmenprogramm: „Zeitenwende(n) und Mediation – Krieg, Klima, Künstliche Intelligenz und ihre Auswirkungen auf das Instrument der Vermittlung“.
LAG Düsseldorf v. 19.5.2023 - 7 Sa 770/22
Das LAG Düsseldorf hat sich vorliegend mit der Befristung des Arbeitsvertrags einer Lehrkraft befasst. Eine generell erteilte Zustimmung der Gleichstellungsbeauftragten ist insoweit ausreichend.
VerwG Koblenz v. 9.5.2023 - 5 K 1088/22.KO
Ein Beamter kann bei einer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand eine finanzielle Abgeltung von nicht genommenen Urlaubstagen nur dann verlangen, soweit im entsprechenden Kalenderjahr der unionsrechtlich gewährleistete Mindesturlaubsanspruch von 20 Tagen nicht ausgeschöpft worden ist.
Aktuell im ArbRB - online first
In Kürze tritt das neue Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft. § 36 Abs. 1 Satz 1 HinSchG verbietet Repressalien gegen hinweisgebende Personen. Unter das Verbot von Repressalien können auch zahlreiche arbeitsrechtliche Maßnahmen fallen, beispielsweise Kündigungen, Versetzungen und Freistellungen. Gemäß § 39 HinSchG sind Vereinbarungen, welche die nach dem HinSchG bestehenden Rechte hinweisgebender Personen einschränken, unwirksam. Es stellt sich deshalb die Frage, ob Musterarbeitsverträge an das neue Gesetz angepasst werden müssen.
Alexander R. Zumkeller wurde auf der Mitgliederversammlung des Bundesverbandes der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU) am 11. Mai 2023 in Frankfurt/Main für weitere drei Jahre im Amt bestätigt. Dr. Nelly Gerig (neue Vizepräsidentin) und Christian Stadtmüller (neuer Vizepräsident) wurden erstmals in das geschäftsführende Präsidium des Verbandes gewählt, welches zusammen mit BVAU-Präsident Zumkeller nun drei ordentliche Mitglieder umfasst.
SG Speyer v. 9.5.2023 - S 12 U 88/21
Eine Betreuungskraft einer Schule in Rheinland-Pfalz ist mit ihrer Klage auf Anerkennung ihrer Corona-Erkrankung als Arbeitsunfall gescheitert. Laut Sozialgericht lässt sich bezüglich der Kontakte im versicherten Umfeld der erforderliche Nachweis, dass es sich um infektiöse Quellen handelt, nicht erbringen.
Transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen sollen künftig die Möglichkeit haben, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister und ihre Vornamen durch eine Erklärung beim Standesamt ändern zu lassen. Die Vorlage eines ärztlichen Attests oder die Einholung von Gutachten in einem Gerichtsverfahren sollen nicht länger erforderlich sein. Dies sieht der Entwurf für ein Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag vor, den das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und das Bundesministerium der Justiz (BMJ) am 9.5.2023 veröffentlicht haben. Das Gesetz soll das Transsexuellengesetz von 1980 ablösen, das in wesentlichen Teilen verfassungswidrig ist.
BAG v. 11.5.2023 - 6 AZR 157/22 (A)
Hat ein Arbeitgeber die Betriebsgröße falsch beurteilt und deshalb keine Massenentlassungsanzeige erstattet, ist jedoch derzeit unklar, ob dies - wie vom BAG in ständiger Rechtsprechung seit 2012 angenommen - weiterhin zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. Das vom BAG entwickelte Sanktionssystem steht möglicherweise nicht im Einklang mit der Systematik des Massenentlassungsschutzes, wie er durch die Massenentlassungsrichtlinie (MERL) vermittelt wird, und könnte darum unverhältnismäßig sein.
Der Vermittlungsausschuss hat sich am 9.5.2023 auf Änderungen beim Hinweisgeberschutzgesetz geeinigt. Der Kompromiss enthält insbesondere Änderungen zu den Meldewegen für anonyme Hinweise, zu Bußgeldern und zum Anwendungsbereich des Gesetzes.
Aktuell in der ZFA
Die EU-Kommission hat am 21.4.2021 den Entwurf einer Richtlinie zur nicht-finanziellen Berichterstattung von Unternehmen vorgelegt (CSRD-E 2021), der im Trilogverfahren wesentlich weiterentwickelt wurde (CSRD-E 2022). Unternehmen werden darin zu einer „Nachhaltigkeitsberichterstattung“ verpflichtet. In dem Entwurf wird die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) beauftragt, hierfür Nachhaltigkeitsstandards zu entwickeln, die von der EU-Kommission als delegierte Rechtsakte zu erlassen sind. Am 29.4.2022 legte die EFRAG den Entwurf dieser Standards vor. Die Untersuchung geht der Frage nach, ob sich die von der EFRAG entwickelten Nachhaltigkeitsstandards innerhalb des sekundär- und primärrechtlichen Rahmens bewegen. Nur wenn dies der Fall wäre, könnte die EU-Kommission diese in delegierten Rechtsakt überführen. Die Untersuchung, die sich auf Standards im Bereich der Sozialfaktoren beschränkt, kommt zum Ergebnis, dass die von der EFRAG ausgearbeiteten Standards in einer Vielzahl von Punkten mit den Vorgaben unvereinbar sind.
VerwG Berlin v. 27.4.2023 - VG 4 K 311/22
Ein Möbelvertrieb, der seine Produkte ausschließlich im Internet anbietet, darf Arbeitnehmer im Kundenservice in Deutschland an Sonn- und Feiertagen nicht beschäftigen.
BVerwG v. 4.5.2023 - 5 P 16.21
Betreibt eine Stelle der öffentlichen Verwaltung in sozialen Medien eigene Seiten oder Kanäle, kann wegen der für alle Nutzer bestehenden Möglichkeit, dort eingestellte Beiträge zu kommentieren, eine technische Einrichtung zur Überwachung des Verhaltens und der Leistung von Beschäftigten vorliegen, deren Einrichtung oder Anwendung der Mitbestimmung des Personalrats unterliegt.
EuGH, C-206/22: Schlussanträge des Generalanwalts vom 4.5.2023
Der Generalanwalt am EuGH ist der Ansicht, dass das Unionsrecht nicht vorschreibt, dass bezahlter Jahresurlaub, der mit einer Quarantäne zusammenfällt, die von einer Behörde wegen der Exposition eines Arbeitnehmers gegenüber dem Virus SARS-CoV‑2 angeordnet wird, verschoben wird.
LAG Hamm v. 24.3.2023 - 1 Sa 1217/22
Regeln die Parteien in einem gerichtlich protokollierten Vergleich, der die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach Ausspruch einer Kündigung zum Gegenstand hat, dass der klagende Arbeitnehmer unwiderruflich unter Fortzahlung der Vergütung sowie unter Anrechnung auf etwaig noch offene Urlaubs- und Freizeitausgleichsansprüche bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses freigestellt wird, werden in einem weiten Verständnis des Begriffs „Freizeitausgleichsansprüche“ auch etwaige Ansprüche auf Überstundenvergütung erfasst.
EuGH, C-148/22: Schlussanträge des Generalanwalts vom 4.5.2023
Generalanwalt Collins: Eine öffentliche Einrichtung darf ihren Bediensteten unter bestimmten Voraussetzungen das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, religiöser oder weltanschaulicher Überzeugungen an ihrem Arbeitsplatz verbieten. Wird eine solche Regel allgemein und unterschiedslos angewandt, kann sie durch den Willen einer Gemeinde gerechtfertigt sein kann, ein vollständig neutrales Verwaltungsumfeld zu gestalten.
LAG Hamm v. 16.3.2023 - 18 Sa 832/22
Die Teilkündigung einzelner arbeitsvertraglicher Vereinbarungen kann zulässig sein, wenn dem Kündigenden hierzu das Recht eingeräumt wurde. Die Abrede über einen Home-Office-Arbeitsplatz betrifft nicht eine vertraglich vorgesehene Leistung des Arbeitgebers, sondern den Ort der Arbeitsleistung, der vom Direktionsrecht des Arbeitgebers gem. § 106 S. 1 BGB umfasst ist.
EuGH v. 27.4.2023 - C‑192/22
Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des EU-Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung i.V.m. Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der EU ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung (hier: § 7 Abs. 3 BUrlG) entgegensteht, die vorsieht, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, den ein Arbeitnehmer durch die Ausübung seiner Arbeit im Rahmen einer Altersteilzeitregelung erworben hat, mit Ablauf des Urlaubsjahres oder zu einem späteren Zeitpunkt erlischt, wenn der Arbeitnehmer vor der Freistellungphase wegen Krankheit daran gehindert war, diesen Urlaub zu nehmen, und zwar auch dann, wenn es sich nicht um eine lange Abwesenheit handelt.
Aktuell im ArbRB
Es gibt verschiedene Anspruchsgrundlagen für eine zeitlich begrenzte oder dauerhafte Reduzierung der Arbeitszeit, nämlich insbesondere den Teilzeitanspruch aus § 8 TzBfG, den Brückenteilzeitanspruch aus § 9a TzBfG und den Elternteilzeitanspruch aus § 15 Abs. 6 und 7 BEEG. Sowohl beim Antrag auf Arbeitszeitreduzierung als auch bei dessen Ablehnung durch den Arbeitgeber sind einige gesetzliche Regeln und deren Auslegung durch die Rechtsprechung zu beachten. Erfolgt dies in der Praxis nicht mit hinreichender Sorgfalt, kann das zu unliebsamen Überraschungen führen. Nachfolgend werden daher die Anforderungen dargestellt und anhand von Mustern verdeutlicht.
LAG Düsseldorf v. 2.5.2023 - 8 Sa 594/22
Vor dem LAG Düsseldorf scheiterte eine auf die Feststellung einer angeblich vereinbarten dauerhaften und bezahlten Freistellung gerichteten Klage, welche nach Widerruf eines zuvor geschlossenen Vergleichs erforderlich geworden war.
LAG Berlin-Brandenburg v. 21.4.2023 - 12 Sa 513/22 u.a.
Das LAG Berlin-Brandenburg hat in drei Verfahren entschieden, dass angestellte Beschäftigte des Landes Berlin mit einer Eingruppierung oberhalb der Entgeltgruppe 13 TV-L keinen Anspruch auf Zahlung einer Hauptstadtzulage haben.
ArbG Berlin v. 28.4.2023 - 21 Ca 10927/22
Das ArbG Berlin hat die Kündigungsschutzklage der Leiterin der Hauptabteilung Intendanz beim RBB abgewiesen.
LAG Berlin-Brandenburg v. 25.4.2023 - 16 Sa 868/22 u.a.
Das LAG Berlin-Brandenburg hat in zwei Verfahren entschieden, dass die durch den Lieferdienst Gorillas erklärten fristlosen Kündigungen gegenüber als Fahrradkurieren (sog. Rider) beschäftigten Arbeitnehmern wirksam waren. Beide Rider hatten sich im Oktober 2021 an einem „wilden“ Streik beteiligt und in diesem Zusammenhang fristlose Kündigungen erhalten.
Der frühere Vizepräsident des Bundesarbeitsgerichts Dr. Dirk Neumann hat sein 100. Lebensjahr vollendet.
BAG v. 25.4.2023 - 9 AZR 253/22
Das verfassungsrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften kann nur von einem Verein in Anspruch genommen werden, der ein hinreichendes Maß an religiöser Systembildung und Weltdeutung aufweist. Andernfalls ist es ihm verwehrt, mit seinen Mitgliedern zu vereinbaren, außerhalb eines Arbeitsverhältnisses fremdbestimmte, weisungsgebundene Arbeit in persönlicher Abhängigkeit zu leisten, sofern diese nicht ähnlich einem Arbeitnehmer sozial geschützt sind.
Online first in der ZFA
Die Auswirkungen des Tarifeinheitsgesetzes auf gemeinsame Einrichtungen sind weitgehend ungeklärt. Der Autor erörtert das Zusammenspiel von § 4a und § 4 Abs. 2 TVG und stellt die Verdrängung und die Nachzeichnung von Tarifverträgen über gemeinsame Einrichtungen dar.
Thüringer LAG v. 22.3.2023 - 1 Sa 25/23
Liegen die formellen Voraussetzungen für eine Vergleichsfeststellung nach § 278 Abs. 6 ZPO nicht vor, ist der dennoch erfolgte Vergleichsbeschluss unrichtig, kommt nach § 278 Abs. 6 S. 3 ZPO i.V.m. § 164 Abs. 1 ZPO eine Berichtigung in Betracht. Es kommt nicht darauf an, was die Parteien außergerichtlich miteinander vereinbart haben.
Thüringer LAG v. 3.4.2023 - 4 Ta 33/23
Wegen Mutwilligkeit i.S.v. § 114 Abs. 2 ZPO kann PKH insgesamt abgelehnt werden, nicht aber bei grundsätzlicher Bewilligung allein die Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten. In Nichtanwaltsprozessen richtet sich die Beiordnung eines Prozessbevollmächtigten bei grundsätzlich bewilligter PKH allein nach § 121 Abs. 2 ZPO und damit nach dem Kriterium der Erforderlichkeit der Beiordnung. Die Frage der Erforderlichkeit darf nicht ausschließlich auf eine Beurteilung des Verhältnisses von Streitwert und Kostenrisiko reduziert werden.
ArbG Bonn v. 5.1.2023 - 3 BV 96/22
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kita- oder Schulassistenz sind dann keine Tendenzträger, wenn sie sie zwar Entscheidungen über Hilfemaßnahmen für die betreuten Kinder selbständig treffen können, diese aber nur in Abstimmung mit den jeweiligen Gesamt-, Hilfe- und Teilhabeplänen sowie mit den jeweiligen Lehrern umsetzen können.
LAG Baden-Württemberg v. 10.2.2023 - 12 Sa 50/22
Hat der Arbeitgeber zu wenig Lohnsteuer von den Einkünften des Arbeitnehmers einbehalten und an das Finanzamt abgeführt, kann er bis zur Inanspruchnahme durch das Finanzamt vom Arbeitnehmer Freistellung von etwaigen Nachforderungen verlangen und nach Inanspruchnahme die Erstattung der gezahlten Lohnsteuern im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs. Die Regresspflicht des Arbeitnehmers besteht unabhängig davon, ob der Arbeitgeber freiwillig oder auf Grund eines Haftungsbescheids die Steuernachforderung für den Arbeitnehmer erfüllt.
VG Hannover v. 20.2.2023 - 10 A 1101/22
Die Klage der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover gegen eine datenschutzrechtliche Verwarnung hatte Erfolg: Die Universität durfte im Rahmen eines Konkurrentenstreitverfahrens alle das Auswahlverfahren betreffenden Unterlagen ungeschwärzt an das zuständige Gericht übersenden.
LSG Baden-Württemberg v. 20.3.2023 - L 4 BA 2739/20
Die Tätigkeit einer Koordinatorin eines Jazzclubs, die in die Organisation und den Betrieb des Clubs eingegliedert ist und kein wesentliches eigenes Unternehmerrisiko trägt, ist eine abhängige und damit sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, auch wenn vertraglich eine freie Mitarbeit vereinbart ist.
LAG Berlin-Brandenburg v. 22.2.2023 - 4 TaBVGa 1301/22
Das LAG Berlin-Brandenburg hat in einem Verfahren auf Einstweiligen Rechtsschutz den Antrag auf vorläufige Untersagung wahlvorbereitender Maßnahmen für die geplante Betriebsratswahl des am Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) stationierten Flugpersonals einer maltesischen Fluggesellschaft zurückgewiesen.
Aktuell im ArbRB
Der nachfolgende Beitrag stellt zunächst dar, dass einige Erklärungen im Arbeitsverhältnis bestimmten Formerfordernissen unterliegen. Sodann wird untersucht, wann ausgewählte Erklärungen zugehen und wie sich dies im Streitfall beweisen lässt.
OLG Dresden v. 14.3.2023 - 4 U 1377/22
Einer juristischen Person stehen datenschutzrechtliche Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche wegen der Verwendung von Daten aus Personalakten ihrer Mitarbeiter nicht zu. Urlaubslisten eines Unternehmens stellen keine Geschäftsgeheimnisse dar.
LAG Köln v. 20.3.2023 - 4 Ta 179/22
Wenn bis zum Abschluss des Verfahrens keine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt wurde, kann Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden.
LAG Rheinland-Pfalz v. 19.1.2023 - 5 Sa 135/22
Aus § 150 Abs. 2 BGB ergibt sich, dass eine wirksame Annahme nur dann vorliegt, wenn sie dem Angebot entspricht, also mit diesem deckungsgleich ist. Jede Annahme unter inhaltlichen Erweiterungen, Einschränkungen oder sonstigen Änderungen gilt dagegen als Ablehnung verbunden mit einem neuen Antrag. Ob eine Abweichung vorliegt oder nicht, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln (§ 133, 157 BGB) und beurteilt sich aus der Perspektive des Empfängerhorizonts, also aus Sicht der Beklagten.
LAG Baden-Württemberg v. 16.1.2023 - 1 Sa 12/22
Die Eingruppierung einer Altenpflegerin in der Tätigkeit einer Heilerziehungspflegerin als "sonstige Beschäftigte" i.S.d. Entgruppe S 8b Fallgruppe 1 erfordert, dass sie über gleichwertige Fähigkeiten und Erfahrungen wie eine staatlich anerkannte Heilerziehungspflegerin verfügen muss. Der Erwerb von Fähigkeiten und Erfahrungen auf einem eng begrenzten Teilgebiet des Aufgabenbereichs einer Heilerziehungspflegerin genügt für eine Eingruppierung als "sonstige Beschäftigte" nicht.
LAG Düsseldorf v. 6.2.2023 - 4 Ta 27/23
Ist gem. § 19 Abs. 1 BetrVG beantragt worden, die Wahl für unwirksam zu erklären, so ist der Antrag in der Regel dahin auszulegen, dass die Wahl unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt, d.h. sowohl dem ihrer Nichtigkeit als auch dem ihrer Anfechtbarkeit überprüft werden soll. Der ausdrücklich gestellte Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit einer Betriebsratswahl hat keinen höheren Wert als das Anfechtungsverfahren.
Aktuell im ArbRB
Das Urlaubsrecht ist vollumfänglich unionsrechtlich überformt. Dies bringt eine seit Jahren anhaltende Fortentwicklung des nationalen Urlaubsrechts mit sich, die sich mit dem bloßen Blick ins Gesetz nicht mehr annähernd erkennen lässt. Kürzlich hat deshalb Ralf Steffan an dieser Stelle (ArbRB 2022, 381) ein Update zum Urlaubsrecht gegeben. Die dort erst angerissene Frage der Verjährung von Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen nach der Entscheidung des EuGH vom 22.9.2022 (C-120/21) hat der 9. Senat des BAG nunmehr für das nationale Urlaubsrecht beantwortet. Grund genug für ein kurzes Update zum Update.
LAG Rheinland-Pfalz v. 22.2.2023 - 6 Sa 131/22
Der bloße Erwerb von Anteilen an einem Unternehmen und die Ausübung von Herrschaftsmacht über dieses Unternehmen durch ein anderes Unternehmen genügen nicht für die Annahme eines Übergangs von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- und Betriebsteilen i.S.d. EGRL 23/2001. Eine bloße Umfirmierung erfüllt die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs i.S.d. § 613 a BGB mangels Wechsels des Betriebsinhabers nicht.
ArbG Weiden v. 13.3.2023 - 3 Ca 556/22
Bei Maurern handelt es sich eher um „Männer der Tat“ als der stets vornehmen Umgangsformen und in der Baubranche herrscht ein rauerer Umgangston als etwa in einer Bank. Dies bedeutet zwar nicht, dass deshalb Herabwürdigungen folgenlos hinzunehmen sind. Bei der Gewichtung der Schwere eines Verstoßes sind diese Umstände aber durchaus mildernd einzukalkulieren.
ArbG Lüneburg v. 5.4.2023 - 2 BV 6/22
Das eigenmächtige vorzeitige Verlassen eines Betriebsrätetages durch einen Betriebsratsvorsitzenden, um privaten Interessen nachzugehen, in der Zusammenschau mit dem Verdacht einer versuchten Täuschung über stattdessen geleistete Betriebsratstätigkeit ist durchaus geeignet, das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers tiefgreifend zu erschüttern. Ein solches Verhalten rechtfertigt den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung.
Ausländische Fachkräfte sollen künftig leichter nach Deutschland kommen können. Dafür hat das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes beschlossen, der vom Bundesministerium des Innern und für Heimat sowie vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorgelegt worden war.
LSG Berlin-Brandenburg v. 21.3.2023 - L 3 U 66/21
Ein Arbeitnehmer steht nicht als Beschäftigter unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn er bei einem sog. Firmenlauf stürzt und sich dabei verletzt.
LSG Niedersachsen-Bremen v. 20.2.2023 - L 2/12 BA 17/20
Die Heranziehung von Ärzten im Rahmen einer Beratungshotline kann auch dann im Rahmen abhängiger Beschäftigungsverhältnisse erfolgen, wenn die Ärzte die jeweils übernommenen Bereitschaftsdienste in ihrem häuslichen Umfeld verrichten.
BSG v. 30.03.2023 - B 2 U 1/21 R
Es liegt ein Arbeitsunfall vor, wenn ein Arbeitnehmer, der dem Arbeitgeber postalisch seine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung übermitteln will, auf dem Weg zum Briefkasten stürzt.
Aktuell im ArbRB
Der im Arbeitsrecht allgegenwärtige Begriff des Betriebs ist nicht legaldefiniert, sondern wird im BetrVG und KSchG jeweils vorausgesetzt sowie durch die Rechtsprechung des BAG definiert. Durch den immer stärkeren Einfluss des Europarechts ist nun ein weiteres unionsrechtliches Verständnis hinzugekommen. Die drei Versionen des Betriebsbegriffs haben Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die die Autoren unter Bezugnahme auf die aktuelle Rechtsprechung des BAG darstellen.
BAG v. 30.3.2023 - 2 AZR 309/22
Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpften medizinischen Fachangestellten zum Schutz von Patienten und der übrigen Belegschaft vor einer Infektion verstößt nicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB. Es fehlt in solch einem Fall an der dafür erforderlichen Kausalität zwischen der Ausübung von Rechten durch den Arbeitnehmer und der benachteiligenden Maßnahme des Arbeitgebers.
BAG v. 29.3.2023 - 5 AZR 255/22
Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos, weil er meint, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihm nicht zuzumuten, bietet aber gleichzeitig dem Arbeitnehmer „zur Vermeidung von Annahmeverzug“ die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen während des Kündigungsschutzprozesses an, verhält er sich widersprüchlich. In einem solchen Fall spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das Beschäftigungsangebot nicht ernst gemeint ist. Diese Vermutung kann durch die Begründung der Kündigung zur Gewissheit oder durch entsprechende Darlegungen des Arbeitgebers entkräftet werden.
LSG Niedersachsen-Bremen v. 26.1.2023 - L 11 AS 336/21
Das LSG Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass die unterlassene Aufnahme einer Arbeit jedenfalls dann kein sozialwidriges Verhalten darstellt, wenn das Jobcenter den Betroffenen „allein lässt“ und nicht die nötige Hilfe leistet.
Aktuell im ArbRB
Ein besonderer Kündigungsschutz besteht nicht nur für Beschäftigte, die aufgrund bestimmter Eigenschaften besonders schutzbedürftig sind, sondern auch für Arbeitnehmer, die aufgrund besonderer Funktionen im Betrieb leicht in Konfrontation mit dem Arbeitgeber geraten können. Zu dieser Gruppe gehören neben Betriebsratsmitgliedern auch Betriebsbeauftragte wie etwa der Datenschutzbeauftragte. Der Rechtsschutz ist hier allerdings uneinheitlich. Der Beitrag zeigt die wesentlichen Grundlinien anhand der aktuellen Rechtsprechung auf.
LAG Sachsen v. 30.12.2022 - 1 Sa 87/22
Der Arbeitnehmer darf einer vom Betriebsübernehmer eingeführten Veränderung der Bezeichnung eines Zuschlags in den regelmäßigen Entgeltabrechnungen rechtsgeschäftlichen Erklärungswert beimessen.
LAG Düsseldorf v. 13.2.2023 - 4 Ta 30/23
Widerklagend erhobene Auskunftsansprüche, die allein der Abwehr der Klageansprüche dienen (hier: Verzugslohnforderungen), verfolgen kein von der Klageforderung unabhängiges, eigenständiges Vermögensinteresse. Nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG entspricht der Wert von Klage und Widerklage daher stets dem Wert der Klage.
LAG Nürnberg v. 20.12.2022 - 7 Sa 243/22
Der Haftungsausschluss nach § 105 SGB VII entfällt nicht schon dann, wenn ein bestimmtes und für den Gesundheitsschaden ursächliches Handeln - hier die Betätigung des Signalhorns eines Feuerwehrfahrzeuges - gewollt war. Er entfällt nur dann, wenn auch der Gesundheitsschaden - hier Tinnitus - für den Fall seines Eintritts gewollt war, also mindestens gebilligt, jedenfalls aber in Kauf genommen wurde.
LAG Nürnberg v. 21.2.2023, 5 Sa 76/22
Die Abberufung eines Mitarbeiters vom Amt des Betriebsbeauftragten für Abfall unterliegt nicht den Regeln für die Ausübung des Direktionsrechts des Arbeitgebers. § 60 Abs. 3 KrWG i.V.m. § 58 Abs. 2 Satz 2 BImSchG verknüpft den nachwirkenden Kündigungsschutz an den Begriff der Abberufung des Immissionsschutzbeauftragten.
OLG Brandenburg v. 14.2.2023 - 6 U 14/20
Der Unterlassungsanspruch (§ 8 Abs. 1 UWG) unterliegt nach § 11 Abs. 1 UWG der Verjährung binnen sechs Monaten. Gem. § 11 Abs. 2 UWG beginnt die Verjährungsfrist, wenn der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.
Aktuell im ArbRB
People Analytics und künstliche Intelligenz sind aus Personalab-teilungen nicht mehr wegzudenken. Viele Personaler setzen diese Tools als zusätzliche Erkenntnisquelle für die Entscheidungsfin-dung ein. Rechtlich problematisch wird es, wenn der Computer an-stelle des Menschen Entscheidungen über die Kündigung von Ar-beitsverhältnissen oder über sonstige Personalmaßnahmen trifft. Der Beitrag nimmt ein aktuelles Urteil des Hessischen LAG zu diesem Thema in den Blick.
SG Berlin v. 16.2.2023 - S 98 U 50/21
Kommt es während einer Betriebsfahrt zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung mit einem anderen Verkehrsteilnehmer, weil dieser sich beleidigend verhält, stellen die daraus resultierenden Verletzungen keinen Arbeitsunfall dar. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass insbesondere das Zurechtweisen anderer Verkehrsteilnehmer auf dem Weg zur Arbeit oder auf Betriebswegen nicht der betrieblichen Tätigkeit dient und etwaige hieraus resultierende Verletzungen unabhängig vom Verschulden dem privaten Lebensbereich zuzurechnen sind.
ArbG Köln v. 14.12.2022 - 18 BVGa 17/22
Örtlich zuständig ist in Angelegenheiten eines nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) BetrVG durch Zusammenfassung mehrerer Betriebe gebildeten Betriebsrats das gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 ArbGG für den jeweiligen Betrieb örtlich zuständige Arbeitsgericht. Eine Begründung der örtlichen Zuständigkeit des Arbeitsgerichts am Unternehmenssitz über eine analoge Anwendung des § 82 Abs. 1 Satz 2 ArbGG scheidet aus.
Hessisches LAG v. 13.1.2023 - 10 Ta 3/23
Es liegt kein „Sic-non-Fall“ vor, wenn in einem Kündigungsschutzantrag bloß der Terminus „Arbeitsverhältnis“ verwendet wird. Vielmehr ist es eine Frage der Auslegung, ob der Antrag auch außerhalb eines Arbeitsverhältnisses gestellt werden soll, was gerade bei einer außerordentlichen Kündigung in Betracht kommen kann.
BGH v. 24.1.2023 - VI ZR 152/21
Von einem Geschädigten, der vom Arbeitsamt aufgrund seines Gesundheitszustandes für nicht mehr vermittlungsfähig gehalten wird, kann grundsätzlich keine weitere Eigeninitiative hinsichtlich der Aufnahme von Erwerbstätigkeit erwartet werden. Unter diesen Umständen besteht grundsätzlich auch keine weitere Darlegungslast dazu, was der Geschädigte unternommen hat, um einen angemessenen Arbeitsplatz zu erhalten.
LAG Hamm v. 8.2.2023 - 12 Ta 233/22
Ein Titel, der zur Erteilung einer „ordnungsgemäßen“ Abrechnung nach § 108 GewO verpflichtet, ist bestimmt genug und daher zur Zwangsvollstreckung geeignet (Abgrenzung zu LAG Hamm, 24.6.2019 – 12 Ta 184/19). Der Anspruch nach § 108 GewO stellt keinen selbständigen Abrechnungsanspruch zur Vorbereitung eines Zahlungsanspruchs dar, sondern eine reine Wissenserklärung und keine Willenserklärung.
BVerfG v. 8.2.2023 - 1 BvR 311/22
Erhebt eine im Bezug von Arbeitslosengeld II stehende Klägerin - nachdem das Jobcenter einen Kostenerstattungsantrag nicht beschieden hat - nach Ablauf der gesetzlichen Wartefrist des § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG und ohne sich vor Einreichung der Klage nochmals an das Jobcenter zu wenden Untätigkeitsklage zum Sozialgericht, so kann dessen Kostengrundentscheidung die Klägerin in ihrem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot verletzen, wenn das Sozialgericht § 193 SGG in nicht mehr nachvollziehbarer Weise anwendet.
Aktuell im ArbRB
Die Vollversammlung des Verbands der Diözesen Deutschlands (VDD) hat am 22.11.2022 eine Neufassung der Grundordnung des kirchlichen Dienstes (GrO) beschlossen. Die individual- und kollektivarbeitsrechtlichen Regelungen der Grundordnung bilden seit Jahrzehnten das Fundament des Arbeitsrechts der katholischen Kirche. Die jetzt beschlossene Neufassung, die der Autor im Detail vorstellt, wird in ersten Stellungnahmen als „Paradigmenwechsel“ charakterisiert. Zu Recht?
VG Koblenz v. 28.2.2023 - 5 K 1182/22.KO
Kann die einjährige Freistellung eines Beamten mit zumutbaren personellen und organisatorischen Maßnahmen nicht kompensiert werden und ist eine ordnungsgemäße Aufgabenwahrnehmung im Tätigkeitsbereich des Beamten ohne diesen nicht mehr gewährleistet, kann der Dienstherr das Sabbatjahr ablehnen.
LAG Nürnberg v. 13.12.2022 - 7 Sa 168/22
Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechtes liegt vor, wenn einem männlichen Bewerber um eine Stelle abgesagt wird mit der Begründung, "unsere sehr kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände".
EuGH, C-680/21: Schlussanträge des Generalanwalts v. 9.3.2023
Nach Ansicht von Generalanwalt Szpunar sind die UEFA-Nachwuchsspielerregelungen teilweise unvereinbar mit dem Unionsrecht. Systeme, in denen Spieler als Nachwuchsspieler gelten, die nicht nur vom betreffenden Verein, sondern auch von anderen Vereinen in derselben nationalen Liga ausgebildet wurden, seien nicht vereinbar mit den Freizügigkeitsregeln.
LAG Schleswig-Holstein v. 24.11.2022 - 4 Sa 139/22 u.a.
Ob die Vorlage einer aus dem Internet ausgedruckten - vorgefertigten - ärztlichen „Bescheinigung über die vorläufige Impfunfähigkeit“ durch einen Arbeitnehmer die fristlose Kündigung eines langjährigen Arbeitsverhältnisses seitens des Arbeitgebers rechtfertigt, wird von zwei Kammern des LAG Schleswig-Holstein Holstein unterschiedlich beurteilt.
VG Hannover v. 9.2.2023 - 10 A 6199/20
Anders als zuvor die niedersächsische Datenschutzbehörde hat das VG Hannover den Einsatz von Handscannern für zulässig gehalten, mithilfe derer bestimmte Arbeitsschritte innerhalb der jeweiligen Prozesspfade von Warenein- bis Warenausgang erfasst werden. Das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten überwiege hier nicht die unternehmerischen Interessen von Amazon.
LSG Baden-Württemberg v. 27.2.2023 - L 1 U 2032/22
Unfallversicherungsschutz besteht auch, wenn ein Arbeitnehmer beim „Luftschnappen“ in einem ausgewiesenen Pausenbereich von einem Gabelstapler angefahren wird.
EuGH v. 2.3.2023 - C-477/21
Die tägliche Ruhezeit kommt zur wöchentlichen Ruhezeit hinzu, auch wenn sie dieser unmittelbar vorausgeht. Dies ist auch dann der Fall, wenn die nationalen Rechtsvorschriften den Arbeitnehmern eine wöchentliche Ruhezeit gewähren, die länger ist als unionsrechtlich vorgegeben.
LAG Niedersachsen v. 24.2.2023 - 16 Sa 671/22
Zwar kann ein Mann grundsätzlich in gleicher Weise wie eine Frau an der Gleichberechtigung von Männern und Frauen mitwirken und Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie entwickeln. Dies gilt jedoch nicht, wenn für einen Teil der Tätigkeiten das weibliche Geschlecht unverzichtbare Voraussetzung ist. Das ist etwa der Fall, wenn Gleichstellungsbeauftragte insbesondere als Ansprechpartnerin bei sexuellen Belästigungen, deren Hauptbetroffene Frauen sind, dienen.
Am heutigen 1. März 2023 starten der Bundesgerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht, der Bundesfinanzhof, das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht ihre jeweiligen Angebote auf dem Social-Media-Netzwerk Mastodon.
Aktuell in der ZFA
Das sog. „Mannheimer Modell“ beinhaltet alternative Verwendungsmöglichkeiten für diejenigen finanziellen Mittel, die der Arbeitgeber am Ende eines Arbeitsverhältnisses ansonsten als Abfindung bereitgestellt hätte. Für ältere Arbeitnehmer kann auf diesem Wege auch ein längerer Zeitraum bis zur Inanspruchnahme der Altersrente überbrückt werden. Diese Vorgehensweise stimmt – obwohl dies bei der Schaffung der entsprechenden Normen nicht vorgesehen war – mit der jeweiligen gesetzgeberischen Intention überein.
LAG Hamm v. 9.12.2022 - 13 Sa 754/22
Die Formulierung, dass ein Arbeitnehmer "bei einem 35-jährigen Dienstjubiläum" eine Jubiläumszuwendung erhält, setzt lediglich die Vollendung einer 35-jährigen Beschäftigungszeit voraus und nicht, dass das Arbeitsverhältnis über diesen Zeitpunkt hinaus auch noch am Jubiläumstag fortbesteht. Soll der Arbeitnehmer „bei Dienstjubiläum“ einen Jubiläumszuwendung erhalten, ist damit lediglich die Fälligkeit des bei Vollendung der Beschäftigungszeit entstandenen Anspruchs geregelt.
Mit Ablauf des 28.2.2023 tritt die Richterin am BAG Dr. Ulrike Brune in den Ruhestand.
LAG Berlin-Brandenburg v. 28.12.2022 - 2 SHa-EhRi 7013/22
Auch das ungebührliche Verhalten eines ehrenamtlichen Richters in der mündlichen Verhandlung kann eine grobe Amtspflichtverletzung im Sinne von § 27 ArbGG darstellen. Handelt es sich nicht um eine beharrliche, sondern um eine singuläre Pflichtverletzung, muss diese so gewichtig sein, dass ein weiteres Festhalten am ehrenamtlichen Richterverhältnis dem Ansehen der Rechtspflege entgegensteht. Ein einmaliges Lachen eines ehrenamtlichen Richters stellt nach diesen Grundsätzen keine grobe Pflichtverletzung dar.
Thüringer LAG v. 17.1.2023 - 5 Sa 243/22
Aus der Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus kann nur auf einen Rechtsfolgewillen zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses geschlossen werden, wenn Umstände hinzutreten, aus denen sich ergibt, dass der Arbeitgeber von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Ablauf der Kündigungsfrist ausging und der Arbeitnehmer darauf schließen konnte. Dabei muss vom Standpunkt eines unbeteiligten objektiven Dritten aus dem Verhalten des Arbeitgebers aufgrund aller äußeren Indizien auf einen wirklichen Willen geschlossen werden können, das Arbeitsverhältnis fortsetzen zu wollen.
LAG Düsseldorf - 3 Sa 282/22
Das LAG Düsseldorf hatte über die Kündigungsschutzklage eines Bergmanns der Zeche Prosper Haniel zu entscheiden. Die Parteien einigten sich auf einen Vergleich, nachdem der Vorsitzende auf die geringen Erfolgsaussichten der Klage hingewiesen hatte. Es liege der klassische Grund für eine wirksame betriebsbedingte Kündigung vor, nämlich eine Betriebsschließung.
BAG v. 15.11.2022 - 3 AZR 505/21
Das Bestehen eines isolierten Gewinnabführungsvertrags rechtfertigt im Rahmen der Anpassungsprüfung und -entscheidung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG keinen Berechnungsdurchgriff auf die wirtschaftliche Lage der herrschenden Gesellschaft.
BAG v. 22.2.2023 - 4 AZR 68/22
In einem Haustarifvertrag kann eine Entgelterhöhung für den Fall vereinbart werden, dass die Arbeitgeberin konkret bezeichnete Sanierungsmaßnahmen nicht bis zu einem bestimmten Datum durchführt. Die tarifliche Entgelterhöhung steht unter einer aufschiebenden Bedingung i.S.d. § 158 Abs. 1 BGB, ohne dass es sich zugleich um eine Vertragsstrafenabrede i.S.d. §§ 339 ff. BGB handelt.
BAG v. 22.2.2023 - 10 AZR 332/20
Eine Regelung in einem Tarifvertrag, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Zuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, verstößt dann nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegeben ist, der aus dem Tarifvertrag erkennbar sein muss. Ein solcher kann darin liegen, dass mit dem höheren Zuschlag neben den spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit auch die Belastungen durch die geringere Planbarkeit eines Arbeitseinsatzes in unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden sollen.
Aktuell im ArbRB
Man kennt das ja: Nur kurz eine WhatsApp-Nachricht zwischen zwei Dienstbesprechungen lesen, die E-Mails checken oder schnell einen Blick auf Instagram und Facebook werfen. Dann ist der Akku leer und das Handy wird im Betrieb aufgeladen. Eine solche private Nutzung des Smartphones am Arbeitsplatz ist für die meisten Beschäftigten völlig normal. Gleichwohl: Ist das auch erlaubt? Und kann die private Nutzung des Smartphones am Arbeitsplatz gar ein Kündigungsgrund sein?
OLG Frankfurt a.M. v. 1.2.2023 - 17 U 30/22
Ordnet die Deutsche Rentenversicherung einen Begleithebammenvertrag, der die freiberufliche Tätigkeit einer Hebamme in einem Krankenhaus vorsah, als versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis ein, so ist eine mit diesem - noch nicht bestandskräftig festgestellten - Statuswechsel begründete außerordentliche Kündigung einer anderen Hebamme unwirksam. Gleichwohl hat die Hebamme keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz, wenn sie ihren entgangenen Gewinn nicht schlüssig darlegt.
Die Europäische Kommission hat beschlossen, Tschechien, Deutschland, Estland, Spanien, Italien, Luxemburg, Ungarn und Polen vor dem EuGH zu verklagen, weil die Länder die Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, nicht vollständig umgesetzt und die Umsetzungsmaßnahmen nicht mitgeteilt haben.
LSG Niedersachsen-Bremen v. 26.1.2023 - L 11 AS 346/22
Die Rückforderung von Grundsicherungsleistungen wegen sozialwidrigen Verhaltens kann gegen das Übermaßverbot verstoßen.
LSG Sachsen-Anhalt v. 15.12.2022 - L 2 EG 3/21
Der Bereitschaftsdienst von Klinikärzten ist Arbeitszeit. Er zählt auch als Zeit der Erwerbstätigkeit im Sinne des Elterngeldrechts und kann deshalb dazu führen, dass ein Arzt keine sog. Partnerschaftsbonus-Monate beim Elterngeld bekommt.
BAG v. 16.2.2023 - 8 AZR 450/21
Frauen haben Anspruch auf gleiches Entgelt wie ihre männlichen Kollegen für gleiche oder gleichwertige Arbeit. Zahlt der Arbeitgeber Männern mehr, können sie daher eine entsprechend höhere Vergütung verlangen. Das gilt auch, wenn Grund für die bessere Bezahlung das besondere Verhandlungsgeschick des männlichen Kollegen ist.
Aktuell im ArbRB
Das Strompreisbremsegesetz (StromPBG) und das Erdgas-Wärme-Preisbremsen-Gesetz (EWPBG) sehen Entlastungen für Unternehmen vor, die einen hohen Strom-bzw. Gasverbrauch haben. Die Unternehmen können bestimmte Strom- bzw. Gas- und Wärmemengen zu einem garantierten Preis abnehmen. Hiermit sollen Arbeitsplätze in energieintensiven Unternehmen gesichert werden. Der Gesetzgeber hat hierfür allerdings arbeitsrechtliche bzw. personalwirtschaftliche Hürden errichtet, die der Beitrag erläutert.
Lesen Sie Ihre Zeitschrift via App mobil auf Ihrem Smartphone oder Tablet. Sammeln Sie dabei auch Fortbildungspunkte: mit der integrierten Lernerfolgskontrolle im Selbststudium gem. § 15 FAO. Exklusiv für Abonnenten der Zeitschriften und Beratermodule.
Der Bundestagsbeschluss zum Schutz von Whistleblowern hat am 10.2.2023 nicht die erforderliche Zustimmung im Bundesrat erhalten. Es kann daher nicht in Kraft treten. Bundesregierung und Bundestag haben nun die Möglichkeit, den Vermittlungsausschuss anzurufen, um mit den Ländern über einen Kompromiss zu beraten.
Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall hat mehrere Gutachten (u.a. von Prof. Dr. Gregor Thüsing und Prof. Dr. Clemens Höpfner) zum Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Neuregelung des Arbeitszeitrechts in Auftrag gegeben und die Ergebnisse jetzt vorgestellt. Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Dr. Stefan Wolf, fordert in der Konsequenz, die Arbeitszeitgesetzgebung in einem Gesamtpaket grundlegend zu erneuern. Es gelte dabei, den tatsächlichen Spielraum voll auszuschöpfen, den das europäische Recht biete.
Die BAG-Rechtsprechung im vergangenen Jahr war einmal mehr besonders von der Durchdringung des deutschen Arbeitsrechts durch das europäische Arbeitsrecht geprägt. Darauf hat die Präsidentin des BAG Inken Gallner bei der Vorstellung des BAG-Jahresberichts 2022 hingewiesen. Sie verwies insoweit beispielhaft auf die urlaubsrechtlichen Entscheidungen des EuGH vom 22.9.2022 in den Sachen Fraport u.a. und LB (Rs. C-518/20, C-727/20 u. C-120/21, ArbRB 2022, 291 [Windeln]) sowie die Folgeentscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 20.12.2022 (Az. 9 AZR 245/19 u. 9 AZR 266/20) und 31.1.2023 (Az. 9 AZR 244/20 u. 9 AZR 456/20). Außerdem sprach sie die Entscheidungen des EuGH und des BAG zur Arbeitszeiterfassung an, die erhebliche Kontroversen in Wissenschaft und Praxis ausgelöst haben (EuGH v. 14.5.2019 – C-55/18 – [CCOO], ArbRB 2019, 162 [Marquardt], u. BAG v. 13.9.2022 – 1 ABR 22/21, ArbRB 2023, 9 [Hülbach]).
LAG Baden-Württemberg v. 3.2.2023 - 7 Sa 67/22
Ungeimpfte Pflegekräfte, die zum Zeitpunkt 15.3.2022 bereits beim Arbeitgeber beschäftigt waren, unterfielen nicht automatisch einem Tätigkeitsverbot in Einrichtungen des Gesundheitswesens. Ein Tätigkeitsverbot bedurfte vielmehr einer Anordnung des Gesundheitsamts. Der Arbeitgeber war auch nicht berechtigt, die Arbeitnehmer kraft seines Weisungsrechts bereits vor einer Entscheidung des Gesundheitsamts freizustellen.
LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 6.1.2023 - 5 Ta 37/22
Die Pauschale nach § 3 Abs. 6 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII soll nicht die Gesamtkosten eines Pkw, der üblicherweise nicht nur beruflich angeschafft, sondern auch privat genutzt wird, in vollem Umfang abdecken. Vielmehr dient sie dazu, die reinen Betriebskosten eines angemessenen Fahrzeugs einschließlich der Steuern annähernd auszugleichen. Darlehensschulden und Abzahlungsverpflichtungen, welche die Partei in Kenntnis bestehender oder bevorstehender Verfahrenskosten aufgenommen hat bzw. die sie in Ansehung des Prozesses oder nach dessen Aufnahme eingegangen ist, sind in der Regel nicht als besondere Belastungen gem. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 ZPO zu berücksichtigen.
EuGH v. 9.2.2023 - C-453/21 u.a.
Der EuGH hat sich vorliegend mit den Voraussetzungen für die Abberufung eines Datenschutzbeauftragten auseinandergesetzt.
Die Entscheidung des BAG vom 13.9.2022 (Az.: 1 ABR 22/21) zur Arbeitszeiterfassung ist ein Politikum, räumte die BAG-Präsidentin Inken Gallner auf der Jahrespressekonferenz des Gerichts ein. Die Diskussionen seien allerdings vorhersehbar gewesen. Der Erste Senat habe nur über das "Ob" einer Pflicht zur Arbeitszeiterfassung entschieden; das "Wie" liege jetzt in den gestaltenden Händen des Gesetzgebers.
Aktuell in der ZFA
Im Lichte jüngster Tarifverhandlungen im Bereich der Universitätsklinika untersucht der Beitrag die Zulässigkeit von Tarifforderungen nach sog. quantitativen Besetzungsklauseln für Pflegekräfte. Insbesondere das Gemeinwohl wird als denkbare Schranke entsprechender Tarifabschlüsse betrachtet. Neben der Zulässigkeit der tariflichen Regelung steht auch die Zulässigkeit des hierauf gerichteten Arbeitskampfs im Fokus.
LSG Sachsen-Anhalt, v. 14.12.2022 - L 6 U 61/20
Das Anbringen einer Frostschutz-Abdeckung an der Autoscheibe gehört nicht zum Arbeitsweg. Wer dabei umknickt, erleidet keinen Arbeitsunfall. Das gilt jedenfalls dann, wenn das Anbringen der Abdeckung den eigentlichen Weg deutlich unterbricht.
VG Mainz v. 10.1.2023 - 5 K 353/22.MZ
Die von einem Behördenleiter angeordnete Beschränkung des Zugangs zu dem Dienstgebäude außerhalb der regulären Dienstzeiten ist auch von dem Personalratsvorsitzenden zu beachten.
OLG Hamm v. 19.12.2022 - 11 W 69/22
Zu der Frage, ob das unzulässige Speichern personenbezogener Daten im Rahmen der Arbeitsverwaltung auch dann, wenn die Daten nicht weiter verarbeitet wurden, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in einem Umfang verletzt, der einen Schadensersatzanspruch aus einer Amtshaftung oder gem. Art. 82 DSGVO begründen kann.
VG Koblenz v. 24.1.2023 - 5 K 924/22.KO
Kennt der Beamte den vorläufigen Charakter einer Stufenfestsetzung, hat er überzahlte Dienstbezüge gegebenenfalls zurückzuzahlen.
LAG Düsseldorf v. 2.2.2023 - 11 Sa 433/22
Die Vorlage eines gefälschten Impfausweises in der Absicht die Nachweispflicht des § 28b Abs. 1 IfSG zu umgehen, stellt eine Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht dar. Die Verletzung wiegt so schwer, dass sie geeignet ist, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.
LAG Nürnberg v. 19.1.2023, 8 Sa 164 22
Eine Abfindungsregelung in einem Sozialplan, die für die Arbeitnehmer, die vor Stichtag das 62. Lebensjahr vollendet haben und die nach dem 24-monatigen Bezug von Arbeitslosengeld I entweder eine vorzeitige Altersrente mit Abschlägen oder die Regelaltersrente in Anspruch nehmen können, eine Kürzung der Standardabfindung auf ¼ vorsieht, stellt eine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nach § 10 Nr. 6 AGG dar. Die Betriebsparteien haben dabei die Höhe der den betroffenen Arbeitnehmern konkret zustehende Altersrente nicht zu berücksichtigen.
BAG v. 31.1.2023 - 9 AZR 244/20
Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, nicht genommenen Urlaub nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten, kann nach Maßgabe einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist verfallen. Endete das Arbeitsverhältnis vor der Entscheidung des EuGH vom 6.11.2018 (C-684/16) und oblag es dem Arbeitnehmer aufgrund der gegenläufigen Senatsrechtsprechung nicht, den Anspruch innerhalb der tarifvertraglichen Ausschlussfrist geltend zu machen, begann die Ausschlussfrist erst mit der Bekanntgabe des Urteils.
BAG v. 31.1.2023 - 9 AZR 456/20
Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, nicht genommenen Urlaub nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzugelten, unterliegt der Verjährung. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt in der Regel mit dem Ende des Jahres, in dem der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Endete das Arbeitsverhältnis vor der Entscheidung des EuGH vom 6.11.2018 (C-684/16) und war es dem Arbeitnehmer nicht zumutbar, Klage auf Abgeltung zu erheben, konnte die Verjährungsfrist nicht vor dem Ende des Jahres 2018 beginnen.
Aktuell im ArbRB
Der Erholungsbedarf von Arbeitnehmern ist individuell unter-schiedlich. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Modell attraktiv, bei dem die Arbeitnehmer durch eine Reduzierung oder Erhöhung ihrer Vergütung Einfluss auf die Zahl der Urlaubstage nehmen können. Der Beitrag stellt die rechtlichen Rahmenbedingungen für ein solches Kaufen und Verkaufen von Urlaubstagen dar und gibt praktische Tipps für die Umsetzung. Ein Exkurs behandelt das Spenden von Urlaubstagen.
LAG Düsseldorf v. 2.8.2022 - 3 Sa 285/22
Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses im Kleinbetrieb ist nicht am Maßstab des § 1 Abs. 2 KSchG auf ihre soziale Rechtfertigung zu überprüfen, denn diese Norm findet auf den Kleinbetrieb gemäß § 23 Abs. 1 KSchG keine Anwendung. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn der Arbeitgeber „aus betriebsbedingten Gründen“ kündigt.
BAG v. 24.11.2022 - 2 AZR 11/22
Das Kündigungsverbot aus § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG beginnt 280 Tage vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin.
Die Bundesregierung hat die vorzeitige Aufhebung der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung beschlossen. Die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung wird zum 2. Februar 2023 aufgehoben. Die Aufhebung der sog. Corona-Arbeitsschutzverordnung erfolgt damit zeitgleich zur Aufhebung der Maskenpflicht im Personenfernverkehr.
BAG v. 25.1.2023 - 4 ABR 4/22
Der gewerkschaftliche Anspruch auf Unterlassung der Durchführung tarifwidriger Betriebsvereinbarungen nach § 1004 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 9 Abs. 3 GG erfordert eine unmittelbare und zwingende Tarifgebundenheit des in Anspruch genommenen Arbeitgebers an die maßgebenden Tarifbestimmungen. Endet diese, kann das Recht auf koalitionsgemäße Betätigung durch von diesem Tarifvertrag abweichende betriebliche Regelungen nicht mehr beeinträchtigt werden.
LG Frankfurt a.M. v. 25.1.2023 - 2-16 O 22/21
Einem Schiedsrichter steht eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung zu, wenn er aufgrund des Erreichens der Altersgrenze von 47 Jahren nicht mehr in die Schiedsrichterliste des DFB aufgenommen worden ist. Es ist willkürlich und daher nach den Regeln des Antidiskriminierungsgesetzes nicht gerechtfertigt, auf eine feste Altersgrenze von 47 Jahren abzustellen. Adäquate und ggf. wiederholte Leistungstests und -nachweise sind gegenüber einer starren Altersgrenze vorzugswürdig.
LAG Hamm v. 23.11.2022 - 9 Sa 682/22
Die Arbeitsvertragsparteien können ihre vertraglichen Absprachen dahingehend gestalten, dass sie einer Abänderung durch betriebliche Normen unterliegen. Eine Vereinbarung, nach der „ein monatliches Fixum in Höhe von […] sowie Provisionen und Prämien gemäß der jeweils gültigen Betriebsvereinbarung“ gewährt werden, ist auch bzgl. des monatlichen Fixums betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet.
LSG NRW v. 1.9.2022 - L 9 AL 106/22 B ER
Wird eine abhängige Beschäftigung zwecks Wiederaufnahme einer pandemiebedingt aufgegebenen Selbständigkeit gekündigt, liegt zumindest ein Härtefall vor, sodass eine Verkürzung der Sperrzeit des Anspruchs auf Arbeitslosengeld geboten sein kann.
Aktuell im ArbRB
Die Frage der Anwendbarkeit von Arbeitnehmer-Schutzvorschriften auf (Fremd-)Geschäftsführer beschäftigt schon seit Jahren die Rechtsprechung und Literatur. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über den Status quo und stellt die Auswirkungen der unionsrechtlichen Rechtsprechung auf die nationale Rechtsanwendung dar.
LAG München v. 10.10.2022 - 4 Sa 290/22
Es gibt keinen Generalverdacht der Diskriminierung. Die bloße Behauptung „ins Blaue hinein“ ohne tatsächliche Anhaltspunkte genügt nicht: allein die Aussage, ein Merkmal gem. § 1 AGG zu erfüllen und deshalb eine ungünstigere Behandlung als eine andere Person erfahren zu haben, begründet kein Indiz.
Rechtliche Konflikte lösen ohne Streit vor Gericht - für diesen ressourcenschonenden Weg der Konfliktbeilegung wirbt das neue Streitschlichtungsportal "Recht ohne Streit". Die Initiatoren bieten Menschen, Unternehmen oder Institutionen, die von einem zivilrechtlichen Konflikt betroffen sind, konkrete digitale Hilfestellungen.
Vor dem LAG Düsseldorf wurde am 19.1.2023 ein Schadensersatz-Prozess durch Vergleich beendet, in dem die Verwendung von Aufnahmen einer Dashcam zu Beweiszwecken streitig war. Das LAG hielt die Aufnahmen für verwertbar, obwohl ein Datenschutzverstoß vorlag.
LAG Berlin-Brandenburg v. 28.12.2022 - 2 SHa-EhRi 7013/22
Auch das ungebührliche Verhalten eines ehrenamtlichen Richters in der mündlichen Verhandlung kann eine grobe Amtspflichtverletzung i.S.v. § 27 ArbGG darstellen. Handelt es sich nicht um eine beharrliche, sondern um eine singuläre Pflichtverletzung, muss diese so gewichtig sein, dass ein weiteres Festhalten am ehrenamtlichen Richterverhältnis dem Ansehen der Rechtspflege entgegensteht. Fraglich ist, wie das einmalige Lachen eines ehrenamtlichen Richters zu bewerten ist?
BAG v. 18.1.2023 - 5 AZR 108/22
Geringfügig Beschäftigte, die in Bezug auf Umfang und Lage der Arbeitszeit keinen Weisungen des Arbeitgebers unterliegen, jedoch Wünsche anmelden können, denen dieser allerdings nicht nachkommen muss, dürfen bei gleicher Qualifikation für die identische Tätigkeit keine geringere Stundenvergütung erhalten als vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, die durch den Arbeitgeber verbindlich zur Arbeit eingeteilt werden.
Aktuell im ArbRB
Kaum ein Thema beschäftigt die arbeitsrechtliche Fachwelt und betriebliche Praxis seit langem so sehr wie die rechtliche Behandlung der Arbeitszeit. Kritisiert wird insbesondere, dass es seit Jahren nicht gelingt, einheitliche und handhabbare Kriterien zu entwickeln. Vor dem Hintergrund dieser Gemengelage erließ der EuGH sein CCOO-Judikat. Dem folgt nun der 1. Senat des BAG mit seinem Beschluss zur Arbeitszeiterfassung, den der Autor analysiert und dessen Konsequenzen er aufzeigt.
EuGH v. 12.1.2023 - C-395/21
Eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet, genügt ohne weitere Angaben nicht dem Erfordernis der Klarheit und Verständlichkeit. Das nationale Gericht kann die Lage wiederherstellen, in der sich der Verbraucher ohne eine missbräuchliche Klausel befunden hätte, auch wenn der Gewerbetreibende für die erbrachten Leistungen dann keine Vergütung erhält.
LAG Schleswig-Holstein v. 27.9.2022 - 1 Sa 39 öD/22
Ein Mitarbeiter ist nicht verpflichtet, sich in seiner Freizeit zu erkundigen, ob sein Dienstplan geändert worden ist. Er ist auch nicht verpflichtet, eine Mitteilung des Arbeitgebers - etwa per Telefon - entgegenzunehmen oder eine SMS zu lesen. Nimmt er eine Information über eine Dienstplanänderung nicht zur Kenntnis, geht ihm diese erst bei Dienstbeginn zu.