BAG v. 28.1.2025 - 1 AZR 41/24
Zulässigkeit eines per eBO übermittelten Schriftsatzes
Die Übermittlung eines nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen elektronischen Dokuments aus einem besonderen elektronischen Bürger- und Organisationenpostfach, das für eine juristische Person oder eine sonstige Vereinigung eingerichtet worden ist, verlangt nicht, dass die – einfach – signierende Person gesetzlicher Vertreter des Postfachinhabers ist. Der Gesetzgeber wollte mithilfe des eBO gerade auch Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in den elektronischen Rechtsverkehr einbeziehen.
Der Sachverhalt:
Der Kläger war seit 2000 bei der Schuldnerin beschäftigt. Nachdem im März 2022 über ihr Vermögen die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet worden war, entschied der Geschäftsführer ihrer persönlich haftenden Gesellschafterin am 10.5.2022 einvernehmlich mit dem – zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellten – Beklagten, den Betrieb zum Ende des Monats stillzulegen. Ein mit dem Betriebsrat geführtes Gespräch über den Abschluss eines Interessenausgleichs blieb erfolglos. Die Einigungsstelle wurde hierzu nicht angerufen.
Am 1.6.2022 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. In der Folgezeit kündigte er die Arbeitsverhältnisse aller Arbeitnehmer. Der Beklagte beantragte am 14.6.2022 beim Arbeitsgericht nach § 122 InsO die Zustimmung zur Betriebsstilllegung ohne vorherige Durchführung eines Interessenausgleichsverfahrens. Der Antrag wurde am 29.9.2022 als unbegründet abgewiesen. Mit Schreiben vom 19.7.2022 hat der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31.10.2022 gekündigt.
Der Kläger hat die Zahlung eines Nachteilsausgleichs i.H.v. 4.334 € brutto begehrt. Er war der Ansicht, dass der Beklagte einen Interessenausgleich nicht hinreichend versucht habe. Es handele sich um eine Masseforderung, weil der Beklagte erst nach Insolvenzeröffnung mit der Durchführung der Betriebsänderung i.S.v. § 113 Abs. 3 BetrVG begonnen habe. Der Beklagte hielt dagegen, Verhandlungen zum Interessenausgleich seien mangels realistischer Alternativen zum „Ob“ der Betriebsstilllegung nicht erforderlich gewesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Zahlung des Nachteilsausgleichs abgewiesen. Das LAG hat die Entscheidung bestätigt. Mit seiner Revision verfolget der Kläger sein Klagebegehren weiter. Revisions- und Revisionsbegründungsschrift waren aus einem besonderen elektronischen Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) der DGB Rechtsschutz GmbH versandt worden. Beide Schriftsätze enthielten am Ende die – maschinenschriftliche – Angabe „DGB Rechtsschutz GmbH handelnd durch … Ass. jur.“.
Das BAG hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückgewiesen.
Die Gründe:
Die Revision war zunächst einmal zulässig. Sie war unter Wahrung der erforderlichen – elektronischen – Form eingelegt und begründet worden. Aufgrund des vertrauenswürdigen Herkunftsnachweises stand fest, dass die DGB Rechtsschutz GmbH bei der Übersendung des Schriftsatzes iSv. § 11 Abs. 3 ERVV authentisiert war. Die Übermittlung eines nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen elektronischen Dokuments aus einem besonderen elektronischen Bürger- und Organisationenpostfach, das für eine juristische Person oder eine sonstige Vereinigung eingerichtet worden ist, verlangt nicht, dass die – einfach – signierende Person gesetzlicher Vertreter des Postfachinhabers ist.
Die damit einhergehende Unmöglichkeit, die versandte Nachricht zweifelsfrei einer handelnden Person zuordnen zu können, war hinzunehmen. Zwar enthalten die Regelungen über das eBO in Kapitel 4 der ERVV keine den Vorgaben des § 8 ERVV für das beBPo entsprechenden Bestimmungen für den Zugang und die Zugangsberechtigung, insbesondere keine gesonderte Pflicht zur Dokumentation wie in § 8 Abs. 4 ERVV (vgl. BAG 19.12.2024 – 8 AZB 22/24; vgl. für das beBPo BAG 24.10.2024 – 2 ABR 38/23). § 11 Abs. 3 ERVV schreibt lediglich vor, dass sich der Postfachinhaber beim Versand eines elektronischen Dokuments nach Maßgabe der dortigen Vorgaben zu authentisieren hat. Der Gesetzgeber wollte aber mithilfe des eBO gerade auch Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in den elektronischen Rechtsverkehr einbeziehen
Die Revision des Klägers war auch begründet. Zwar war das LAG zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 BetrVG zu. Allerdings hat es auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen zu Unrecht angenommen, dieser Anspruch sei nicht als Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO zu berichtigen. Nach § 113 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 BetrVG kann ein Arbeitnehmer vom Unternehmer die Zahlung einer Abfindung verlangen, wenn der Unternehmer eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, und der Arbeitnehmer infolge der Maßnahme entlassen worden ist oder andere wirtschaftliche Nachteile erlitten hat. Die Vorschrift gilt auch im Insolvenzverfahren und sanktioniert ein objektiv betriebsverfassungswidriges Verhalten des Verwalters
Zum Zeitpunkt des Beginns der Betriebsstilllegung hatte der Beklagte einen Interessenausgleich nicht hinreichend versucht. Er war der Obliegenheit, die Einigungsstelle anzurufen, nicht nachgekommen. Unerheblich war, ob die geplante Betriebsstilllegung angesichts der Insolvenz der Schuldnerin alternativlos war. Auch in einem solchen Fall bestehen grundsätzlich Gestaltungsspielräume des Insolvenzverwalters, an deren Ausfüllung der Betriebsrat zu beteiligen ist (vgl. BAG 7.11.2017 – 1 AZR 186/16). Die Sache war allerdings nicht entscheidungsreif, weil es an den erforderlichen Feststellungen für die Beurteilung der angemessenen Abfindungshöhe fehlte.
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