Otto Schmidt Verlag

ArbG Herne v. 8.5.2025 - 4 Ca 208/25

Kündigung wegen verspäteter Rückkehr aus dem Urlaub

Allein die Ungewissheit über eine Rückkehr an den Arbeitsplatz ohne Schilderung weiterer konkreter betrieblicher Ablaufstörungen vermag nur dann eine Kündigung zu rechtfertigen, wenn diese deutlich länger als die vorliegenden rund drei Monate andauert.

Der Sachverhalt:
Bei der Beklagten handelt es sich um ein international tätiges Paketspeditionsunternehmen. Der Kläger ist bei ihr seit August 2019 als Logistikarbeiter mit einer 20-Stunden-Arbeitswoche bei einer Bruttomonatsvergütung i.H.v. 1.631 € beschäftigt. In der Zeit vom 16.9. bis 25.10.2024 hatte der Kläger gewährten Urlaub, den er in seiner Heimat Somalia verbrachte, wohin er über den Flughafen in Addis Abeba / Äthiopien jeweils mit einem äthiopischen Transitvisum eingereist war und am 26.10.2024 wieder ausreisen wollte. Er hatte dafür einen Rückflug gebucht. Der Kläger trat seine Arbeit am 28.10.2024 jedoch nicht wider an und meldete sich auch nicht persönlich ab oder krank. An diesem Tag ging allerdings im Betrieb der Beklagten der Anruf eines Dritten ein, der zumindest davon berichtete, dass der Kläger noch in Afrika sei.

Am 26.11.2024 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung sowie ebenfalls am 4.12.2024 jeweils wegen unentschuldigten Fehlens. Am 8.1.2025 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten ordentlichen, fristgerechten Kündigung des Klägers an. Dieser ließ die Anhörungsfrist verstreichen. Mit Schreiben vom 20.1.2025 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich fristgerecht zum 31.3.2025. Mit einem Flug aus Afrika kam der Kläger am 4.2.2025 nach Deutschland zurück und bot am 5.2.2025 der Beklagten seine Arbeitskraft wieder tatsächlich an.

Der Kläger behauptete, ihm sei unmittelbar vor Antritt des Rückflugs im Flughafen sein Aufenthaltstitel gestohlen worden, ohne den er den Flug nicht habe antreten können. Er habe den Diebstahl sofort bei der Flughafenpolizei angezeigt und sich an die Deutsche Botschaft gewendet. Einen Termin habe er dort über eine Agentur buchen müssen und für den 21.11.2024 bekommen. Am 31.1.2025 habe ihn der Sachbearbeiter der Botschaft angerufen um mitzuteilen, dass das Visum fertig sei. Mit dem nächstmöglichen Flug sei er am 4.2.2025 nach Deutschland zurückgekehrt.

Die gegen die die Kündigung vom 20.1.2025 gerichtete Kündigungsschutzklage war vor dem Arbeitsgericht erfolgreich.

Die Gründe:
Die Kündigung vom 20.1.2025 war sozial nicht gerechtfertigt und damit gem. § 1 Abs. 1 und 2 KSchG rechtsunwirksam.

Die von der Beklagten vorgetragenen beanstandeten Verhaltensweisen des Klägers rechtfertigten keine verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Da der Kläger nach dem Ende seines Urlaubs seit dem 28.10.2024 arbeitsfähig war und er nicht mehr zur Arbeit erschien, war objektiv zwar eine langanhaltende und zum Kündigungszeitpunkt erhebliche Verletzung der arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflicht gegeben. Allerdings war diese Verletzung nach den Umständen des vorliegenden Falles nicht vorwerfbar und daher keine geeignete Grundlage für die streitgegenständliche Kündigung.

Allein die Ungewissheit über eine Rückkehr an den Arbeitsplatz ohne Schilderung weiterer konkreter betrieblicher Ablaufstörungen vermag nur dann eine Kündigung zu rechtfertigen, wenn diese deutlich länger als die vorliegenden rund drei Monate andauert. Soweit kürzere Fehlzeiten bzw. Ungewissheit der Rückkehr an den Arbeitsplatz vorliegen, werden konkrete betriebliche Ablaufstörungen wie etwa eine fehlende Planbarkeit des Arbeitseinsatzes im Betrieb sowie die fehlende Möglichkeit der Umorganisation der verbleibenden Beschäftigten bzw. Beschäftigung von Vertretungskräften als erforderlich angesehen, damit deutlich wird, dass die Arbeitgeberin den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers nicht länger hat offenhalten können.

Wegen einer Fehlzeit des Klägers von allein rund drei Monaten zum Zeitpunkt der Kündigungsentscheidung und von der Beklagten nicht dargestellter konkreter betrieblicher Auswirkungen vermochte das Gericht nicht von einer derart schwerwiegenden (objektiven) Pflichtverletzung auszugehen, welche die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger rechtfertigen konnte. Selbst bei gedanklicher Unterstellung der Richtigkeit des Vorbringens der Beklagten ließe sich vorliegend damit keine zureichend schwerwiegende (Neben-)Pflichtverletzung durch den Kläger feststellen, die auch nach Durchführung der gebotenen Interessenabwägung eine verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit ihm rechtfertigen könnte.

Unter Berücksichtigung des offenbar bis Oktober 2024 beanstandungsfrei und bis dahin auch tatsächlich praktizierten Arbeitsverhältnisses mit einer mehr als fünfjährigen Betriebszugehörigkeit des Klägers und seinem unwiderlegten Vortrag, er habe wiederholte Versuche der Kontaktaufnahmen mit der Beklagten vorgenommen bzw. veranlasst, schloss die (Neben-)Pflichtverletzung ordnungsgemäßen Meldeverhaltens hinsichtlich seiner fehlenden Möglichkeit zur Wiederaufnahme seiner Arbeitsleistung nach dem Ende des Urlaubs ab dem 28.10.2024 zwar nicht aus. Jedoch ließen sie mit dem vom Kläger vorgelegten E-Mails und dem von ihm veranlassten Anruf durch einen Dritten bei der Beklagten noch am 28.10.2024 sein konsistentes Bemühen um eine rechtzeitige Information der Beklagten erkennen. Dass der Kläger ggf. weitere Möglichkeiten zur Information gehabt, aber nicht genutzt haben soll, wie z.B. die Meldung an einem Stützpunkt der Beklagten in Addis Abeba, führte nicht zu der Bewertung eines besonders nachlässigen Verhaltens des Klägers.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.06.2025 15:49
Quelle: Justiz NRW

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