LAG Berlin-Brandenburg v. 17.2.2025 - 10 TaBV 29/25
Einsetzung einer Einigungsstelle nach Beschwerde einer Arbeitnehmerin über Abmahnung?
Die Beschwerde einer Arbeitnehmerin über eine Abmahnung rechtfertigt nicht die Einsetzung einer Einigungsstelle. Es handelt sich hierbei um einen Rechtsanspruch nach § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG. Zur Durchsetzung solcher Rechtsansprüche dient allein der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten.
Der Sachverhalt:
Eine Mitarbeiterin der Arbeitgeberin war im August 2024 schwanger, der Mutterschutz begann am 13.9.2024. Am 6.8.2024 erhielt sie eine Abmahnung. Grund dafür waren Verstöße gegen arbeitsvertragliche Pflichten wie das Fehlen in einem Meeting bzw. die verspätete Mitteilung des Nichterscheinens sowie eine fehlende Information über eine Abwesenheit.
Mit E-Mail vom 23.8.2024 wandte sich die Arbeitnehmerin an den Betriebsrat und bat um Unterstützung bezüglich der Entfernung der Abmahnung. Sie bemängelte u.a., dass sie vor Erhalt der Abmahnung nicht angehört worden war. Weiterhin teilte sie mit, dass sie sich ungerecht behandelt und ausgenutzt fühle, ggf. aufgrund ihrer beginnenden Mutterschaftszeit.
Der Betriebsrat teilte der Arbeitgeberin am 9.9.2024 mit, dass er die Beschwerde für berechtigt anerkenne und bat um Mitteilung, welche Abhilfemaßnahmen getroffen würden. Die Arbeitgeberin erklärte per E-Mail vom 20.9.2024, dass sie die Beschwerde nicht für gerechtfertigt halte. Mit Beschluss vom 4.10.2024 erklärte der Betriebsrat die Verhandlungen über die Beschwerde für gescheitert und beschloss, die Einigungsstelle anzurufen.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrates zurückgewiesen. Es war der Ansicht, dass die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig sei. Das LAG hat die hiergegen gerichtete Beschwerde des Betriebsrates zurückgewiesen.
Die Gründe:
Die Einrichtung einer Einigungsstelle kam vorliegend nicht in Betracht, da diese offensichtlich unzuständig war (§ 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG).
Diese Voraussetzung liegt vor, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Frage kommt. Diese Grundsätze resultieren aus den Besonderheiten des Einigungsstellenbildungsverfahrens, dass darauf gerichtet ist, den Betriebspartnern, die keine ständige Einigungsstelle eingerichtet haben, im Bedarfsfalle beim Auftreten von Meinungsverschiedenheiten möglichst zeitnah eine funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung zu stellen. Ist hingegen in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zusteht und fehlt es an einer Klärung durch das BAG, kann die Zuständigkeit der Einigungsstelle im Rahmen des Verfahrens nach § 100 ArbGG nicht verneint werden.
Bei Beachtung dieses Maßstabes erwies sich die Einigungsstelle im vorliegenden Fall als offensichtlich unzuständig. Nach § 85 Abs. 2 S. 1 BetrVG kann der Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen, wenn zwischen ihm und dem Arbeitgeber eine Meinungsverschiedenheit über die Berechtigung einer Beschwerde besteht. Deren Spruch ersetzt gem. § 85 Abs. 2 S. 2 BetrVG die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Dies gilt jedoch gem. § 85 Abs. 2 S. 3 BetrVG nicht, wenn Gegenstand der Beschwerde ein Rechtsanspruch eines Arbeitnehmers ist. Zur Durchsetzung solcher Rechtsansprüche dient allein der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten (vgl. BAG 22.11.2005 – 1 ABR 50/04). Aus dieser Einschränkung folgt zugleich, dass die Einigungsstelle für die Behandlung von Beschwerden, die einen Rechtsanspruch betreffen, nicht zuständig ist.
Auch ist die Einigungsstelle nicht entscheidungsbefugt, wenn Arbeitgeber und Betriebsrat über die Berechtigung einer ausschließlich vergangenheitsbezogenen Beschwerde des Arbeitnehmers streiten. In einem solchen Fall fehlt es an einem betrieblichen Regelungskonflikt, dessen Lösung mit der Eröffnung der Einigungsstelle nach § 85 Abs. 2 S. 1 BetrVG angestrebt werden könnte. Aus diesem Grund verneint die herrschende Meinung auch die Zuständigkeit der Einigungsstelle jedenfalls dann, wenn der Betriebsrat mit seinem Antrag den individualrechtlichen Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte verfolgt.
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Oliver Fröhlich
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