Otto Schmidt Verlag

BGH v. 27.3.2025 - I ZB 40/24

Kein Ausschluss von der Ausübung des Richteramtes wegen Mitwirkung an angefochtenem Versäumnisurteil in Vorinstanz

Ein Richter, der in der Vorinstanz an einem ersten Versäumnisurteil mitgewirkt hat, das im die Instanz abschließenden und nunmehr angefochtenen streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist, ist nicht nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen. In einem solchen Fall kommt eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nur im Einzelfall in Betracht, wenn besondere Umstände darauf hindeuten, dass der Richter nicht bereit ist, seine frühere Beurteilung ergebnisoffen zu überprüfen.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin macht wettbewerbs- und markenrechtliche Ansprüche gegen die Beklagte geltend. Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht K. war, damals noch als Vorsitzender einer Zivilkammer des LG, am 8.3.2023 in erster Instanz am Erlass eines (ersten) Versäumnisurteils gegen die Beklagte beteiligt. Durch Urteil vom 23.11.2023, erlassen ohne die Beteiligung von Vorsitzendem Richter am Oberlandesgericht K., erhielt die Zivilkammer des LG das Versäumnisurteil im Wesentlichen aufrecht. Hiergegen legte die Beklagte Berufung ein.

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht K. sitzt dem zuständigen Berufungssenat des OLG vor. Die Beklagte meint, er sei wegen Mitwirkung an der angefochtenen Entscheidung nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen. Der Richter hat um Entscheidung nach § 48 Fall 2 ZPO über die Frage seines Ausschlusses gebeten.

Der Berufungssenat des OLG erklärte das Ablehnungsgesuch der Beklagten für unbegründet (OLG Frankfurt a.M. v. 8.5.2024 - 6 U 212/23, MDR 2024, 1067). Die Rechtsbeschwerde der Beklagten hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das OLG hat zu Recht entschieden, dass der betroffene Richter zur Mitwirkung in zweiter Instanz berufen ist.

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht K. ist im vorliegenden Berufungsverfahren nicht nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen. Danach ist ein Richter in Sachen, in denen er in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, sofern es sich nicht um die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters handelt, von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen. Dieser Ausschlussgrund greift nicht ein, wenn der Richter - wie hier - in der Vorinstanz an einem ersten Versäumnisurteil mitgewirkt hat, das in dem die Instanz abschließenden und nunmehr angefochtenen streitigen Urteil ohne Mitwirkung des Richters aufrechterhalten worden ist. Auf Anfrage des Senats gem. § 11 Abs. 3 Satz 1 RsprEinG hat der 5. Senat des BAG geantwortet, dass er an seiner entgegenstehenden Rechtsauffassung zu § 41 Nr. 6 ZPO nicht festhält (BAG v. 12.2.2025 - 5 AS 1/25).

Es liegt zwar eine Mitwirkung in einem früheren Rechtszug vor, die sich nicht lediglich auf die Tätigkeit eines beauftragten oder ersuchten Richters erstreckt. Die Mitwirkung betrifft jedoch nicht den Erlass der angefochtenen Entscheidung. Nach § 511 Abs. 1 ZPO findet die Berufung gegen die im ersten Rechtszug erlassenen Endurteile statt. Vorliegend ist das die erste Instanz beendende Urteil nicht das Versäumnisurteil vom 8.3.2023, an dem Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht K. mitgewirkt hat, sondern das Urteil vom 23.11.2023 aufgrund streitiger mündlicher Verhandlung, an dem Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht K. nicht mitgewirkt hat. Dass mit dem angefochtenen Urteil ein unter Mitwirkung des Richters erlassenes Versäumnisurteil aufrechterhalten worden ist (§ 343 Satz 1 ZPO), stellt keine Mitwirkung des Richters an der angefochtenen Entscheidung dar. Somit besteht kein entscheidender Unterschied zum Fall eines in der dritten Instanz tätigen Richters, der bereits an der erstinstanzlichen Entscheidung mitgewirkt hat. Auch für diesen Fall hat der BGH einen Ausschluss nach § 41 Nr. 6 ZPO verneint.

Vorliegend kann auch offenbleiben, ob das in der angefochtenen Entscheidung zum Ausdruck kommende Verständnis des OLG, die Beklagte habe Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht K. auch wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 42 Abs. 1 Fall 2, Abs. 2 ZPO) abgelehnt, zutreffend ist. Auch ein dahingehendes Ablehnungsgesuch wäre unbegründet. Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Laut BGH-Rechtsprechung ist eine richterliche Vorbefassung, die nicht zu einem Ausschluss gem. § 41 Nr. 4 bis Nr. 8 ZPO führt, in der Regel nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. In diesen Fällen kommt eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nur im Einzelfall in Betracht, wenn besondere Umstände darauf hindeuten, dass der Richter nicht bereit ist, seine frühere Beurteilung ergebnisoffen zu überprüfen. Solche besonderen Umstände sind hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Mehr zum Thema:

Rechtsprechung (Entscheidung Vorinstanz)
Befangenheit bei Mitwirkung an Versäumnisurteil in erster Instanz
OLG Frankfurt vom 08.05.2024 - 6 U 212/23
MDR 2024, 1067
MDR0069686

Kommentierung | ZPO
§ 41 Ausschluss von der Ausübung des Richteramtes
G. Vollkommer in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023

Kommentierung | ZPO
§ 42 Ablehnung eines Richters
G. Vollkommer in Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Aufl. 2024
10/2023

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 22.05.2025 11:06
Quelle: BGH online

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