LAG Düsseldorf v. 14.1.2025 - 3 SLa 317/24
Unwirksamkeit einer Probezeitkündigung wegen widersprüchlichen Verhaltens
Erklärt der Vorgesetzte eines in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses zugleich noch in der Probezeit wie auch in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG befindlichen Arbeitnehmers diesem kurz vor Ende der Probe- und Wartezeit, er werde „natürlich“ übernommen, und spricht derselbe Vorgesetzte dann kurz darauf namens und in Vollmacht des Arbeitgebers die ordentliche Probezeitkündigung aus, kann die Kündigung wegen widersprüchlichen Verhaltens treuwidrig und damit nach § 242 BGB nichtig sein.
Der Sachverhalt:
Der Kläger war seit dem 15.6.2023 bei der Beklagten Rückversicherung als Wirtschaftsjurist in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis beschäftigt. Der Arbeitsvertrag beinhaltete allerdings eine Probezeit von sechs Monaten. Der Abteilungsdirektor und Dienstvorgesetzte des Klägers Herr U., der Prokura besitzt und der als Führungskraft für Personalfragen in der Abteilung Recht/Compliance zuständig ist, hatte den Anstellungsvertrag des Klägers unterschrieben.
Nach einem Jour Fixe am 17.11.2023 teilte Herr U. dem Kläger mit, dass er die Anfrage von der Personalabteilung erhalten habe, ob der Kläger mit Blick auf die Probezeit übernommen werden solle. Unstreitig hat Herr U. dann gesagt: „Das tun wir natürlich.“ Am 4.12.2023 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten Kündigung des Klägers in der Probezeit an. Als Kündigungsgrund wurde angeführt, dass der Kläger keine ausreichenden Leistungen erbringe und nicht geeignet sei, die ihm übertragenen Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen. Der Betriebsrat erklärte am 7.12.2023, dass er der Kündigung in der Probezeit zustimme.
Am 8.12.2023 fand ein Gespräch zwischen dem Kläger und Herrn U. statt, in dessen Verlauf dieser dem Kläger mitteilte, dass sein Arbeitsverhältnis in der Probezeit beendet werden solle. Er bot ihm allerdings als einvernehmliche Lösung an, befristet bis zum 30.6.2024 für die Beklagten tätig zu bleiben. Der Kläger nahm dieses Angebot nicht an. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 8.12.2023 zum 22.12.2023, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt.
Der Kläger war der Ansicht, die Kündigung verstoße im Hinblick auf die Äußerung des Herrn U. vom 17.11.2023 gegen Treu und Glauben. Das Arbeitsgericht hat die gegen die Kündigung gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das LAG die Entscheidung abgeändert und der Klage stattgegeben. Das Berufungsurteil ist rechtskräftig.
Die Gründe:
Die Kündigung mit Schreiben vom 8.12.2023 ist wegen Treuwidrigkeit nach § 242 BGB nichtig.
§ 242 BGB ist mithin auf Kündigungen neben § 1 KSchG nur in beschränktem Umfang anwendbar. Das Kündigungsschutzgesetz hat die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und abschließend geregelt, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes geht. Eine Kündigung verstößt deshalb nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind (BAG v. 5.12.2019 – 2 AZR 107/19). Als solche typische Anwendungsfälle einer treuwidrigen Kündigung sind insbesondere anerkannt ein widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers, der Ausspruch der Kündigung zur Unzeit oder in ehrverletzender Form und eine diskriminierende Kündigung sowie eine solche, die auf einer Auswahlentscheidung beruht, die jede soziale Rücksichtnahme vermissen lässt (BAG v. 11.6.2020 – 2 AZR 374/19.
Dementsprechend ist anerkannt, dass § 242 BGB dann zur Nichtigkeit einer Kündigung führen kann, wenn mit dieser ein widersprüchliches Verhalten des kündigenden Arbeitgebers vorliegt (venire contra factum proprium, vgl. BAG v. 30.3.2023 – 2 AZR 309/22). Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses kann rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Kündigende sich damit in unvereinbaren Gegensatz zu seinem früheren Verhalten setzt. Zwar begründet nicht jedes widersprüchliche Verhalten den Vorwurf der Treuwidrigkeit nach § 242 BGB. Doch erklärt der Vorgesetzte eines in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses zugleich noch in der Probezeit wie auch in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG befindlichen Arbeitnehmers diesem kurz vor Ende der Probe- und Wartezeit, er werde „natürlich“ übernommen, und spricht derselbe Vorgesetzte dann kurz darauf namens und in Vollmacht des Arbeitgebers die ordentliche Probezeitkündigung aus, kann die Kündigung wegen widersprüchlichen Verhaltens treuwidrig und damit nach § 242 BGB nichtig sein.
Voraussetzung ist zudem, dass der Vorgesetzte Prokurist der Gesellschaft und zugleich die maßgebliche Führungskraft für Personalfragen in der betreffenden Abteilung ist und dass zwischen seiner Erklärung und der nachfolgenden Kündigung keine Vorkommnisse vorgefallen sind, die den Meinungsumschwung sachlich nachvollziehbar und damit nicht willkürlich erscheinen lassen. Für solche, ein durch die übrigen Umstände bereits hinreichend indiziertes widersprüchliches und damit treuwidriges Verhalten rechtfertigende Umstände ist der Arbeitgeber im Rahmen seiner gestuften Darlegungslast darlegungspflichtig.
Erklärt somit - wie hier - ein erkennbar personalentscheidungsbefugter Vertreter der Beklagten im sechsten Monat der Probezeit und somit angesichts des nahenden Endes derselben, man werde den Kläger „mit Blick auf die Probezeit“ „natürlich“ übernehmen, wird damit ein berechtigtes Vertrauen auf Arbeitnehmerseite geschaffen, dass die Probezeit „bestanden“ und das Arbeitsverhältnis nunmehr gesichert ist, nämlich unter dem Schutz des KSchG steht. Hierbei kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, ob – wie der Kläger es behauptet – zusätzlich noch geäußert wurde, er werde „unbefristet übernommen“. Rechtlich wäre diese Aussage ohnehin ohne Belang, da der Kläger sich bereits in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis befand.
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