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ArbRB-Blog

„Kasernierung“ von Beschäftigten wegen Corona bzw. Omikron – Was sagt das Arbeitsrecht?

avatar  Thomas Niklas / Thomas Köllmann

Ein Beitrag von Thomas Niklas und Dr. Thomas Köllmann

Durch Erkrankungen und Quarantänen kommt es aktuell verstärkt zu teilweise erheblichen Personalausfällen. Dies stellt alle Unternehmen vor große Herausforderungen, kann aber gerade im Bereich der Daseinsvorsorge massive Folgen für die Gesamtbevölkerung haben. Nachdem – laut Pressemeldungen – ein Wiener Energieversorger bereits im Dezember 2021 Beschäftigte in Kraftwerken „kaserniert“ hat, sind auch in Deutschland solche Pläne zu vernehmen. Dabei soll sich ein Team von Beschäftigten – nach umfassender medizinischer Untersuchung – beim jeweiligen Unternehmen in Isolation begeben und das Betriebsgelände nach Erbringung der Arbeitsleistung nicht verlassen. Auf diese Weise soll die Ausbreitung von Krankheiten verhindert werden.

Dabei ist die Idee keineswegs neu: Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz hat bereits im Jahr 2010 als Reaktion auf die „Schweinegrippe“ auf solche Optionen hingewiesen (vgl. Handbuch Betriebliche Pandemieplanung, S. 107, 170). Die aktuellen Entwicklungen sind Anlass genug, einen Blick auf die arbeitsrechtlichen Aspekte zu werfen.

1. Freiwillige vor!

Eine Isolation im Betrieb ist stets nur auf freiwilliger Basis möglich, da andernfalls der Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllt ist (§ 239 StGB). Der Beschäftigte muss mithin seine ausdrückliche Einwilligung geben und diese sollte dokumentiert werden. Auch im Anschluss darf er zu keinem Zeitpunkt gegen seinen Willen auf einem Gelände „festgehalten“ werden. Wichtig sind in diesem Zusammenhang eine konkrete Kommunikation und eine Festlegung der Rahmenbedingungen. So sind eine geeignete Unterbringung, Versorgung und Kommunikationsmöglichkeit für die kasernierte Belegschaft zur Verfügung zu stellen. Insbesondere sind Regelungen für die Überlassung von Wohn- bzw. Schlafraum zu finden und konkrete Beendigungsmöglichkeiten festzulegen. In diesem Zusammenhang bieten einzelne Dienstleister beispielsweise mobile Wohn- und Bürocontainer an, die kurzfristig aufgestellt werden können.

2. Problem Arbeitszeit

Arbeitsrechtlich problematisch ist bei der Kasernierung vor allem das Thema Arbeitszeit. So stellt sich die Frage, ob bzw. welche Zeiträume der Kasernierung Arbeitszeit sind und ob bzw. wie diese vergütet werden müssen. Ausgehend von der Unterscheidung zwischen der Arbeitszeit im Sinne des ArbZG bzw. des europäischen Arbeitszeitrechts, welches als öffentlich-rechtliches Recht dem Gesundheitsschutz und der Vorbeugung von Überlastungen dient, und der Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne wird nachfolgend differenziert.

a) Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinn

Bei der Einordnung der gesamten Zeit der Kasernierung als Arbeitszeit im Sinne des ArbZG wäre sie praktisch nicht durchführbar. Neben den Vorgaben des ArbZG sind in diesem Bereich die europäische Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) sowie die Rechtsprechung des EuGH zu beachten. Bereits ungeachtet der Corona-Pandemie zuletzt in den Fokus der Betrachtung gerückt sind die Einordnung von Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft sowie Reisezeit.

aa) Grundlagen

Die dort getroffenen Feststellungen sind auch für die arbeitszeitrechtliche Einordnung der Kasernierung relevant:

  • Unter Bereitschaftsdienst versteht man eine Konstellation, in dem sich der Beschäftigte an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort (innerhalb oder außerhalb des Betriebs) bereithalten und im Bedarfsfalle die Arbeit aufnehmen muss (vgl. BAG v. 19.11.2014 – 5 AZR 1101/12, ArbRB 2015, 35 [Reifschläger]). Bereits seit dem 1. Januar 2004 werden solche Zeiten als Arbeitszeit im Sinne des ArbZG eingestuft (vgl. zum Hintergrund BAG v. 11.7.2006 – 9 AZR 519/05, ArbRB 2007, 67 [Marquardt]).
  • Von Rufbereitschaft spricht man allgemein, wenn der Beschäftigte seinen Aufenthaltsort zwar selbst bestimmen darf, aber sicherstellen muss, dass er in einer angemessenen Zeit den Betrieb oder einen anderen vom Arbeitgeber bestimmten Ort erreichen kann, um seine Arbeit aufzunehmen. In der Vergangenheit wurde Rufbereitschaft nach dem nationalen Verständnis – anders als der Bereitschaftsdienst – nicht als Arbeitszeit eingestuft. Der EuGH hat im Jahr 2018 allerdings entschieden, dass Rufbereitschaft als Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitrechts zu verstehen ist, wenn der Beschäftigte für seinen Arbeitgeber verfügbar sein und auf Zuruf innerhalb von acht Minuten an seinem Arbeitsplatz erscheinen muss (EuGH v. 21.2.2018 – C-518/15, ArbRB 2018, 99 [Gröne]). Dabei stellt der EuGH – auch in Folgeentscheidungen – darauf ab, dass der Beschäftigte, durch die Rufbereitschaft an der Verfolgung seiner persönlichen Interessen derart gehindert ist, dass sich die Lage im Ergebnis wie die Anwesenheit im Betrieb gestaltet. Der EuGH weist dabei im Rahmen seiner Gesamtbetrachtung auch darauf hin, dass die Verpflichtung, persönlich an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort anwesend zu sein, die Möglichkeit der Wahrnehmung persönlicher und sozialer Interessen erheblich einschränkt (vgl. zuletzt EuGH v. 9.3.2021 – C-580/19, s. hierzu und allgemein zur Thematik Laber, ArbRB 2021, 180).
  • Für die arbeitszeitrechtliche Einordnung von Reisezeit kommt es – nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG – darauf an, ob der Beschäftigte während der Reise in einem Umfang beansprucht wird, der der Vollarbeit nahekommt (sogenannte Beanspruchungstheorie, vgl. BAG v. 11.7.2006 – 9 AZR 519/05, ArbRB 2007, 67 [Marquardt]). Wenn der Beschäftigte etwa in einem öffentlichen Verkehrsmittel einer beliebigen Tätigkeit nachgehen kann, ist die Beanspruchung eine andere, als wenn er mit der Vollarbeit belastet ist. Diese Zeit ist daher – zumindest nach dem bisherigen Verständnis des BAG – regelmäßig nicht als Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinn zu qualifizieren.

bb) Was bedeutete das für die Kasernierung?

Wendet man diese Grundsätze auf den Fall der Kasernierung an, sind dabei zwei Komponenten zu berücksichtigen: Zum einen leisten Beschäftigte auch im Fall der Kasernierung zu geregelten Zeiten Vollarbeit und müssen – jedenfalls im Grundsatz – nicht damit rechnen, plötzlich zu weiteren Einsätzen herangezogen zu werden. Zum anderen halten sich die Beschäftigten wie bei mehrtägigen Dienstreisen an einem vom Arbeitgeber vorgegeben Ort – namentlich auf dem Betriebsgelände – auf und können dort, wenn auch in begrenztem Umfang, persönlichen Interessen nachgehen.

Vor diesem Hintergrund wird man – ausgehend von der zuvor genannten Rechtsprechung – davon ausgehen können, dass es sich bei der Kasernierung als solcher nicht um Arbeitszeit im arbeitszeitrechtlichen Sinne handelt. Ähnlich wie bei einer Dienstreise in öffentlichen Verkehrsmitteln oder bei mehrtägigen Dienstreisen hält sich der Beschäftigte zwar im Interesse des Arbeitgebers an einem bestimmten Ort auf, kann dort aber in begrenztem Umfang eigenen Interessen nachgehen. Mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH stellt sich zwar die Frage, ob dem Kriterium der örtlichen Gebundenheit ein höheres Gewicht zukommen muss und insbesondere die „Beanspruchungstheorie“ noch Bestand haben kann. Zugleich hat der EuGH aber bekräftigt, dass etwa alleine das Anbieten einer Dienstunterkunft nicht ausschlaggebend sein soll (vgl. EuGH v. 9.3.2021 – C-344/19, ArbRB 2021, 162 [Kühnel]). Es dürfte ebenso unbestritten sein, dass die Gestaltungsmöglichkeiten der Freizeit größer sind als bei einer Rufbereitschaft mit kurzen Reaktionszeiträumen. Aus diesem Grund sprechen bessere Argumente dafür, die Kasernierung als solche nicht als Arbeitszeit im Sinne des ArbZG einzustufen, sondern nur die Zeiten, in denen die Beschäftigten auch tatsächlich arbeiten (Vollarbeit) oder im Rahmen der Kasernierung beispielsweise Bereitschaftsdienst leisten.

Im Rahmen der Gesamtbetrachtung wird man zudem die Umstände des Einzelfalls berücksichtigen müssen: Da es nach Ansicht des EuGH um die Wahrnehmung persönlicher und sozialer Interessen geht, ist zu beachten, dass solche Interessen zunehmend in einem „virtuellen Raum“ wahrgenommen werden können. Stehen den Beschäftigten also Internet sowie andere „Unterhaltungselektronik“ zur Verfügung und gibt es auf dem Betriebsgelände andere Optionen, die Freizeit zu gestalten (z.B. Sportmöglichkeiten), wird das Risiko deutlich geringer sein und zugleich die „Motivation“ von Beschäftigten leichter gelingen.

b) Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinn – Kasernierung löst Vergütungspflicht aus

Die Rechtsprechung des EuGH wirkt sich nicht auf die Frage der Vergütung bestimmter Zeiten aus. Allerdings stuft auch das BAG den Bereitschaftsdienst insgesamt als vergütungspflichtige Arbeit ein und stellt klar, dass für diese Zeiträume gesonderte Vergütungsregelungen getroffen werden können und ein geringeres Entgelt als für Vollarbeit vorgesehen werden kann (vgl. BAG v. 17.4.2019 – 5 AZR 250/18, ArbRB online https://online.otto-schmidt.de/db/dokument?id=rs.bag.20190417.5azr250/18). Für Reisezeiten hat das BAG ebenfalls entschieden, dass diese regelmäßig fremdnützig und vergütungsrechtlich Arbeitszeit sind, wenn sie ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers erfolgen und in untrennbarem Zusammenhang mit der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung stehen. Erforderliche Reisezeiten sind mithin mit der für die eigentliche Tätigkeit vereinbarten Vergütung zu bezahlen, sofern nicht durch Arbeits- oder Tarifvertrag eine gesonderte Vergütungsregelung hierfür eingreift (BAG v. 17.10.2018 – 5 AZR 553/17, ArbRB 2019, 35 [Groeger]). Auch Fahrten von der Betriebsstätte oder der Wohnung des Beschäftigten zu einem auswärtigen Kunden stellen – unabhängig von der Belastung – vergütungspflichtige Arbeitszeit dar. Diese Fahrten gehören – anders als der Arbeitsweg – zur vertraglichen Hauptleistungspflicht und sind somit zu vergüten (vgl. BAG v. 18.3.2020 – 5 AZR 36/19, ArbRB 2020, 206 [Esser]). Das wesentliche Kriterium des BAG ist dabei, ob die verlangte Tätigkeit fremdnützig für den Arbeitgeber erbracht wird und mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt.

Eine Kasernierung kann zwar nur einvernehmlich erfolgen, dennoch wird der Beschäftigte dies nicht eigennützig, sondern alleine im Interesse des Arbeitgebers – insbesondere zur Aufrechterhaltung des Betriebes – tun. Hinzu kommt, dass der Arbeitgeber für diese Aufrechterhaltung des Betriebes verantwortlich ist und dazu Vorkehrungen ergreifen muss. Damit wird man diese Zeiträume als Arbeitszeit im vergütungsrechtlichen Sinne einstufen müssen.

Damit ist noch keine Aussage über die Höhe der Vergütung getroffen: So können für Zeiträume, in denen die Beschäftigten „kaserniert“ sind und nicht Vollarbeit leisten, abweichende Vergütungsvereinbarungen getroffen werden. Neben der Beachtung des Transparenzgebotes und des Mindestlohngesetzes sind dabei insbesondere bei tarifgebundenen Unternehmen die Vorgaben der jeweiligen Tarifverträge zur Vergütung der Arbeitszeit zu beachten (vgl. auch unter nachfolgender Ziffer 3.).

3. Beteiligung und Einbindung des Betriebsrates

In jedem Fall sollte der Betriebsrat beteiligt und eingebunden werden, da derartige Maßnahmen nur mit einem Rückhalt der Belegschaft zu realisieren sind. Dies gilt umso mehr, als in der Regel ohnehin zwingende Mitbestimmungsrechte bestehen. So liegt nach § 87 Abs. 1 Nr. 9 BetrVG ein Mitbestimmungstatbestand vor bei der Überlassung von Wohnraum im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis. Ebenso kann § 87 Abs. 1 Nr. 8 BetrVG einschlägig sein, wenn Kantinen, Erholungsräume oder andere Sozialeinrichtungen während der Kasernierung zur Verfügung gestellt werden. Bei Regelungen zur Lohngestaltung ist § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beachten, wobei folgende Aspekte zu berücksichtigen sind:

  • Die Bewertung von Zeitspannen oder bestimmten Tätigkeiten als Arbeitszeit ist nicht möglicher Gegenstand betrieblicher Regelungen (BAG v. 22.10.2019 – 1 ABR 11/18, ArbRB 2020, 77 [Hülbach]).
  • Wird in einer Betriebsvereinbarung geregelt, welche Arbeitszeiten konkret zu vergüten sind, ist – auch bei nicht tarifgebundenen Arbeitgebern – regelmäßig die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG zu beachten. Wird in einem anwendbaren Tarifvertrag die Vergütung von Arbeitsleistungen abschließend geregelt, dann können die Betriebsparteien keine davon abweichenden Regelungen vornehmen (BAG v. 18.3.2020 – 5 AZR 36/19, ArbRB 2020, 206 [Esser]).
  • Allerdings ist die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 BetrVG ausgeschlossen, wenn es sich um einen Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG handelt, was bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen der Fall ist. In diesem Bereich ist es den Betriebsparteien nur dann verwehrt, eine Regelung zu treffen, wenn nach § 87 Eingangshalbs. BetrVG eine zwingende tarifliche Regelung besteht, an die der Arbeitgeber gebunden ist.

Für die Gestaltungsmacht der Betriebsparteien im Bereich der Entlohnung wird man daher wie folgt differenzieren können: Der nicht tarifgebundene Arbeitgeber kann im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung Entlohnungsgrundsätze mit dem Betriebsrat festlegen. Der tarifgebundene Arbeitgeber wird die Frage beantworten müssen, ob die jeweilige tarifliche Regelung alle Formen der Vergütung der Arbeitsleistung abschließend regeln wollte. Da der Fall der Kasernierung auf der Sonderkonstellation der Pandemie beruht, lässt sich annehmen, dass die Vergütung für diese Sonderform nicht abschließend tariflich geregelt ist. Weiterhin ist zu prüfen, inwiefern durch die Betriebsvereinbarung zur Regelung der Vergütung von Zeiträumen der Kasernierung in das arbeitsvertragliche Synallagma eingegriffen wird und dies mit Blick auf das Günstigkeitsprinzip und die Grundsätze der „Betriebsvereinbarungsoffenheit“ zulässig ist.

Die Gestaltung der Vergütung ist folglich sehr komplex: Es kommt letztendlich auf den Einzelfall und die jeweilige Branche sowie die anwendbaren Tarifverträge an. Das Risiko für Unternehmen ist dabei erheblich, da die Betriebsvereinbarung im Falle des Verstoßes gegen Tarifsperre oder Tarifvorrang (teilweise) nichtig ist.

4. Fazit

Eine Kasernierung sollte nur in besonderen Notsituationen in Erwägung gezogen werden und setzt das Einverständnis der Beschäftigten voraus. Die erste Hürde dürfte somit bereits sein, Beschäftige für das Vorhaben zu mobilisieren. Da es sich nach hiesigem Verständnis nicht um Arbeitszeit im arbeitsschutzrechtlichen Sinne handelt, steht das Arbeitszeitgesetz der Kasernierung nicht grundsätzlich entgegen. In diesem Bereich können Unternehmen die Risiken durch eine möglichst „attraktive“ Gestaltung auf dem Betriebsgelände minimieren. Eine weitere Herausforderung wird es sein, die Vergütung für die Zeiträume der Kasernierung rechtsicher zu regeln. Hier spielt das komplexe Verhältnis zwischen Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung und Tarifvertrag eine entscheidende Rolle.

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