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Nach Reise in Corona- bzw. Covid-19-Risikogebiet: Haben Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entschädigung für Dienstausfall infolge Quarantäne oder Tätigkeitsverbot?

avatar  Philipp S. Fischinger / Silas Hengstberger

Nach Auffassung von Detlef Grimm besteht für Arbeitnehmer[1], die im Anschluss an eine Reise in eine offiziell von der Bundesregierung zum Risikogebiet erklärte Gegend in behördlich angeordnete Quarantäne (§ 30 IFSG) müssen oder gegen die ein behördliches berufliches Tätigkeitsverbot (§ 31 IfSG) verhängt wird, kein Anspruch aus § 56 Abs. 1 IfSG auf Entschädigung für den Verdienstausfall während der Quarantäne/dem Tätigkeitsverbot (vgl. Blogbeitrag vom 27.8.2020). Auch wenn dieses Ergebnis zweifellos rechtspolitisch sympathisch und wünschenswert ist, bestehen an dieser Ansicht de lege lata erhebliche Zweifel. Eine Reform des § 56 IfSG tut deshalb dringend Not. Im Einzelnen:

Anders als z.B. § 616 BGB oder § 3 EFZG sieht § 56 IfSG keinen generellen Ausschluss vor, wenn den Arbeitnehmer an der (möglichen) eigenen Infektion – z.B. wie hier wegen der Reise in ein ausgewiesenes Risikogebiet – ein Verschulden trifft. Versagt wird der Anspruch allein unter den Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 S. 3 IfSG.

Auf diesen stützt sich nun aber Grimm bei Reisen in Risikogebiete mit dem Argument, der Anspruch sei für denjenigen ausgeschlossen, der „öffentlichen Empfehlungen, deren Befolgung eine Quarantäne hätte verhindern können, zuwiderhandelt“. Da das Auswärtige Amt vor Reisen in Risikogebiete warne, liegt mit einer Reise eine solche Zuwiderhandlung vor, so dass ein Arbeitnehmer, der in ein Risikogebiet reist, einen Gehaltsausfall für die Dauer von 14 Tagen riskiert.

Das überzeugt jedoch nicht, weil es dem klaren Wortlaut von § 56 Abs. 1 S. 3 IfSG widerspricht, der nach seiner Fassung keine beispielhafte, sondern eine abschließende Aufzählung enthält. Denn ein Anspruchsausschluss besteht danach nur, wenn „durch die Inanspruchnahme einer Schutzimpfung oder andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die gesetzlich vorgeschrieben ist oder im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Betroffenen öffentlichen empfohlen wurde, ein Verbot in der Ausübung seiner bisherigen Tätigkeit oder eine Absonderung (vulgo: Quarantäne) hätte (vermieden werden) können“. Die Beachtung einer Reisewarnung kann unter keine dieser beiden Alternativen subsumiert werden. Insbesondere handelt es sich nicht um eine „andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe“, ist darunter nach der Legaldefinition in § 2 Nr. 10 IfSG doch die „Gabe von Antikörpern […] oder die Gabe von Medikamenten [..]“ zu verstehen.

§ 56 Abs. 1 S. 3 IfSG rechtfertigt somit jedenfalls in unmittelbarer Anwendung nicht die Versagung eines Entschädigungsanspruchs.

Im Ergebnis kann man einen Anspruchsausschluss auch nicht damit begründen, dass § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG eine Kausalität zwischen behördlich angeordneter Quarantäne/dem behördlichen Tätigkeitsverbot und dem Verdienstausfall voraussetzt („dadurch einen Verdienstausfall“), vorliegend aber die Reise in ein Risikogebiet und eben gerade nicht die spätere behördliche Anordnung kausal für den Verdienstausfall ist. Dafür ließe sich zwar anführen, dass bereits die Reise in das Risikogebiet den Anspruch des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung aus § 3 EFZG wegen „Verschuldens gegen sich selbst“ entfallen lässt und so zum Verdienstausfall führt. Der Arbeitnehmer hätte somit auch ohne Anordnung der Quarantäne/Ausspruch des Tätigkeitsverbots einen Verdienstausfall erlitten, so dass es an der erforderlichen Kausalität zu fehlen scheint.

Allerdings überzeugt diese Sichtweise nicht. Das lässt sich durch einen einfachen Vergleich illustrieren: Man stelle sich einen seit wenigen Monaten im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer vor, der sich vollkommen unverschuldet mit dem Corona-Virus bzw. Covid-19 ansteckt. Obwohl er sich wohlfühlt und arbeitsfähig ist, ordnet die zuständige Behörde eine zweiwöchige Quarantäne an. In einer solchen Situation greift weder § 3 EFZG (es fehlt an der Arbeitsunfähigkeit i.S.v. § 2 ArbeitsunfähigkeitsRL)[2] noch § 615 BGB (es fehlt an der Leistungsfähigkeit)[3] noch § 616 BGB (zu lange Verhinderungsdauer)[4] ein, um dem Lohnanspruch des Arbeitnehmers aufrechtzuerhalten. Strenggenommen ist damit auch in einem solchen Fall nicht erst die behördliche Anordnung der Quarantäne oder des Tätigkeitverbots, sondern bereits die Ansteckung mit Covid-19 kausal für den Verdienstausfall. Als Folge wäre § 56 Abs. 1 S. 1 IFSG nicht anwendbar. Das kann aber schon deshalb nicht richtig sein, weil bei dieser Lesart für § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG so gut wie keinerlei Anwendungsbereich verbliebe. Überdies widerspräche dieses Ergebnis dem Zweck des § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG. Dieser ist darin zu sehen, dass Personen, denen im Allgemeininteresse an der Eindämmung von Seuchen ein „Sonderopfer“ auferlegt wird, eine Kompensation aus Geldern der Allgemeinheit erhalten sollen. „Klebte“ man hingegen eng am Wortlaut des § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG, würde dieser Zweck konterkariert und der Vorschrift jeglicher praktischer Anwendungsbereich genommen.

Weil Kausalität kein an Verschuldensparametern zu bestimmender Faktor ist, kann es sich in Fällen, in denen der Arbeitnehmer nach einer Reise in ein offizielles Risikogebiet in Quarantäne muss bzw. einem Tätigkeitsverbot unterliegt, nicht anders verhalten. Mit fehlender Kausalität zwischen behördlich angeordneter Quarantäne/behördlichem Tätigkeitsverbot und Verdienstausfall kann daher die Anwendung von § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG dogmatisch auch in den hier im Mittelpunkt stehenden Konstellationen nicht überzeugend abgelehnt werden.

Der einzig denkbare Weg, den Entschädigungsanspruch aus § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG auszuschließen, wäre daher eine analoge Anwendung von § 56 Abs. 1 S. 3 IfSG. Das setzt eine vergleichbare Interessenlage und eine planwidrige Regelungslücke voraus. Beide ließen sich zwar möglicherweise bejahen, es bestehen aber auch jeweils nicht unerhebliche Zweifel:

§ 56 Abs. 1 S. 3 IfSG enthält die Wertung, dass derjenige, der öffentlichen Empfehlungen, deren Befolgung eine Quarantäne hätte verhindern können, zuwiderhandelt, nicht in den Genuss einer Entschädigung aus § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG kommen soll. Man könnte nun durchaus anführen, dass die Nichtdurchführung einer verpflichtenden oder empfohlenen Impfung/sonstigen spezifischen Prophylaxe vom „Unwertgehalt“ her vergleichbar ist mit demjenigen einer Reise in ein Gebiet, für das bei Reiseantritt eine behördliche Reisewarnung bestand. Andererseits kann aber auch argumentiert werden, dass der mit einer Reisewarnung für ein ganzes Land verbundene Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit weitreichender ist als derjenige, der mit einer Impfpflicht/-empfehlung einhergeht. Letzteres könnte man als Argument gegen eine Vergleichbarkeit beider Konstellationen anführen bzw. dafür, dass eine Gleichstellung beider Szenarien einer expliziten gesetzgeberischen Anordnung bedarf.

Unabhängig davon ist fraglich, ob eine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Dafür müsste der Gesetzgeber übersehen haben, dass zur Vermeidung von Infektionen neben Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe auch Reisewarnungen/-verbote notwendig werden können, bei deren Missachtung ebenfalls ein Entschädigungsausschluss die angemessene Sanktion ist. Daran bestehen Zweifel, weil das Auswärtige Amt schon seit Jahren, ja Jahrzehnten immer wieder Reisewarnungen für Gebiete ausspricht, in denen eine Seuche grassiert, gegen die noch kein effektiver Impfstoff und/oder kein wirksames Heilmittel entwickelt wurde. Angesichts dessen hätte es doch nahegelegen, auch solche Konstellationen in § 56 Abs. 1 S. 3 IfSG aufzunehmen. Die Tatsache, dass dies nicht geschehen ist, spricht dafür, dass das „Schweigen“ des § 56 Abs. 1 S. 3 IfSG ein bewusstes ist und der Gesetzgeber keine planwidrige Lücke gelassen hat. Dafür spricht auch, dass der Gesetzgeber im Zuge der Einfügung von § 56 Abs. 1a IfSG eine Anpassung von § 56 Abs. 1 S. 3 IfSG unterlassen hat – und das, obwohl schon früh in der Covid-19-Krise die Problematik von Reisen in Risikogebiete bekannt war.

Es zeigt sich also: De lege lata ist eine Versagung des Entschädigungsanspruchs in Konstellationen, in denen das „Bauchgefühl“ eine solche für richtig hielte, nur schwer lege artis verwirklichbar. Um Rechtssicherheit zu schaffen und um unbillige Ergebnisse zu vermeiden, sollte das geltende Recht deshalb schnellstmöglich geändert werden. Das könnte zum einen dadurch geschehen, dass eine Entschädigung für den Verdienstausfall ausgeschlossen wird, wenn die Anordnung einer Quarantäne bzw. eines Tätigkeitsverbots aufgrund einer vermeidbaren Reise in ein bei Reiseantritt ausgewiesenes Risikogebiet erforderlich wurde. Denkbar wäre zum anderen, den Entschädigungsanspruch ganz allgemein bei einem schuldhaften Handeln – verstanden als ein grobes Verschulden gegen sich selbst wie im Rahmen von § 3 EFZG oder § 616 BGB[5] – auszuschließen. Letzteres ging zwar mit mehr Rechtsunsicherheit einher, erlaubte es aber, auch andere Konstellationen – wie z.B. die Teilnahme an Corona-Partys oder massive Verstöße gegen die Maskentragungspflicht – zu „sanktionieren“.

Prof. Dr. Philipp S. Fischinger, LL.M. (Harvard) und Wiss. Mit. Silas Hengstberger, LL.B. (beide Universität Mannheim)

[1] Erfasst sind selbstverständlich auch Arbeitnehmerinnen sowie Personen dritten Geschlechts.

[2] Düwell, BB 2020, 89; MüKo-BGB/Müller-Glöge, § 3 EFZG, Rn. 10; Fischinger/Hengstberger, JA 2020, 561, 565.

[3] Fischinger/Hengstberger, JA 2020, 561, 566.

[4] Fischinger/Hengstberger, JA 2020, 561, 566.

[5] S. z.B. BAG NZA 2015, 801; Fischinger, Arbeitsrecht, Rn. 523 f.

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