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Hätte ich nicht gedacht: BAG überrascht mit Urteil zur Erschütterung des Beweiswerts einer AU-Bescheinigung

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Ich möchte Ihnen die Pressemitteilung 25/21 des BAG vom heutigen Tage zur Erschütterung des Beweiswertes einer nach Kündigung eingereichten AU-Bescheinigung wiedergeben. Ich bin – angenehm – überrascht, weil so Argumentationsansätze zur Missbrauchsbekämpfung vorliegen. Zumindest steigt die Darlegungslast, vielleicht reagiert auch die Ärzteschaft etwas zurückhaltender.

Kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis und wird er am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst.

Die Klägerin war bei der Beklagten seit Ende August 2018 als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Am 8. Februar 2019 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis zum 22. Februar 2019 und legte der Beklagten eine auf den 8. Februar 2019 datierte, als Erstbescheinigung gekennzeichnete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei erschüttert, weil diese genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung der Klägerin abdecke. Die Klägerin hat demgegenüber geltend gemacht, sie sei ordnungsgemäß krankgeschrieben gewesen und habe vor einem Burn-Out gestanden. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 8. Februar bis zum 22. Februar 2019 gerichteten Zahlungsklage stattgegeben.

Die vom Senat nachträglich zugelassene Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Klägerin hat die von ihr behauptete Arbeitsunfähigkeit im Streitzeitraum zunächst mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen. Diese ist das gesetzlich vorgesehene Beweismittel. Dessen Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben. Gelingt das dem Arbeitgeber, muss der Arbeitnehmer substantiiert darlegen und beweisen, dass er arbeitsunfähig war. Der Beweis kann insbesondere durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht erfolgen. Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert. Die Koinzidenz zwischen der Kündigung vom 8. Februar zum 22. Februar 2019 und der am 8. Februar bis zum 22. Februar 2019 bescheinigten Arbeitsunfähigkeit begründet einen ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit. Die Klägerin ist im Prozess ihrer Darlegungslast zum Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit – auch nach Hinweis des Senats – nicht hinreichend konkret nachgekommen. Die Klage war daher abzuweisen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. September 2021 – 5 AZR 149/21 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 13. Oktober 2020 – 10 Sa 619/19 –

Nicht verschweigen möchte ich Ihnen eine Entscheidung des LAG Niedersachsen vom 7.5.2007  – 6 Sa 1045/05 (dazu Henssler/Willemsen/Kalb-Vogelsang, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2010, § 5 EFZG, Rn. 40): Hier hatte der Arbeitnehmer nach inhaltlicher Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber, einer vorherigen Eigenkündigung und Mitnahme aller persönlichen Gegenstände drei aufeinander folgende Erstbescheinigungen zweier verschiedener Ärzte bis zum Ablauf der Kündigungsfrist vorgelegt. Dies begründete ernstliche Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit. Die vom BAG heute entschiedene Fallkonstellation ist „einfacher“ und entspricht eher der Betriebswirklichkeit.

RA FAArbR Dr. Detlef Grimm ist Partner bei Loschelder Rechtsanwälte, Köln. Er gehört zum festen Autorenteam des Arbeits-Rechtsberaters und ist Mitautor des Arbeitsrecht Handbuchs (Hrsg. Tschöpe) sowie des Handbuchs Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst (Hrsg. Groeger).

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