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Corona: Empfehlungen der Bundesregierung zum „infektionsschutzgerechten Lüften“

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Die Bundesregierung hat am 16. September 2020 die von BMAS, Robert-Koch-Institut, Umweltbundesamt sowie Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin gemeinsam erarbeiteten Maßnahmenempfehlungen zum „infektionsschutzgerechten Lüften“ veröffentlicht. Anlass sind die anstehenden Herbst- und Wintermonate, in denen das Zusammenleben wieder vermehrt innerhalb geschlossener Räume stattfinden wird. Die Empfehlungen sollen eine Orientierung bei der Gestaltung von Lüftungskonzepten bieten.

Die Empfehlungen der Bundesregierung sind nicht rechtsverbindlich. In arbeitsrechtlicher Hinsicht folgt die Pflicht zur Erarbeitung und Umsetzung von Lüftungskonzepten jedoch schon aus § 4 Nr. 1 ArbSchG und § 3a Abs. 1 ArbStättVO. Danach sind Arbeit und Arbeitsstätten so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und psychische Gesundheit möglichst vermieden und verbleibende Gefährdungen möglichst gering gehalten werden.

Die Lüftung von Gebäudeinnenräumen, in denen sich mehrere Personen nicht nur kurzfristig aufhalten, soll insbesondere durch die Erhöhung des Luftwechsels und der Außenluftzufuhr so verbessert werden, dass Infektionsgefahren weitgehend minimiert werden. Ihre Empfehlungen fasst die Bundesregierung in fünf Punkten zusammen:

1. Intensives und fachgerechtes Lüften
Es sollen die Vorgaben der Technischen Regel für Arbeitsstätten A3.6 – Lüftung („ASR A3.6“) innerhalb von Gebäuden in allen Arbeitsräumen, die von mehreren Personen nicht nur kurzzeitig gleichzeitig genutzt werden, konsequent umgesetzt werden. Gleiches gilt für andere Bereiche mit vergleichbarer Nutzung wie öffentliche Einrichtungen, Geschäfte und Restaurants.

Die Grundformel für das sog. Stoßlüften lautet (vgl. Ziff. 5.4 der ASR A3.6):
Ein Büroraum soll alle 60 Minuten stoßgelüftet werden, ein Besprechungsraum alle 20 Minuten. Orientierungswerte für die Lüftungsdauer sind: 3 Minuten im Winter, 5 Minuten im Frühling/Herbst und 10 Minuten im Sommer. Dabei wird auf Seite 2 der Empfehlungen eine neue Formel vorgestellt:

„Erweiterung der bekannten AHA -Formel zur AHA+L-Formel … . Denn:

Wirksamer Infektionsschutz besteht aus Abstand, Hygiene, Alltagsmasken + Lüften.“

Exkurs:
Technische Regeln wie die ASR A3.6 zur Lüftung haben keinen Rechtsnormcharakter, begründen also keine unmittelbaren Verpflichtungen gegenüber Arbeitgebern. Sie beschreiben jedoch den Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse, die jeder Arbeitgeber gemäß § 4 Nr. 3 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) bei Maßnahmen des Arbeitsschutzes berücksichtigen muss. Hält der Arbeitgeber diese Regeln ein, kann er davon ausgehen, dass er die Anforderungen des Arbeitsschutzgesetzes und der auf dessen Grundlage erlassenen Verordnungen, insbesondere der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV), erfüllt. § 3a Abs. 1 Satz 3 ArbStättV begründet ausdrücklich eine entsprechende Vermutungswirkung. Das heißt nicht, dass die Arbeitsschutzregel sklavisch einzuhalten ist. Soweit sich der Arbeitgeber nicht daran hält, muss er jedoch durch andere Maßnahmen die gleiche Sicherheit und den gleichen Gesundheitsschutz gewährleisten.

2. Prüfung der RLT-Anlagen
Arbeitgeber sollen die in ihren Räumlichkeiten installierten Raumlufttechnischen Anlagen („RLT-Anlagen“) auf ihre ordnungsgemäße Funktionstüchtigkeit prüfen und ggf. erforderliche Reparatur- und Wartungsmaßnahmen durchführen bzw. von den Betreibern durchführen lassen.

3. Optimierung der RLT-Anlagen
RLT-Anlagen sollen auf Dauerbetrieb umgestellt werden. Zumindest sollen die Betriebszeiten verlängert werden. Soweit möglich, soll der Umluftbetrieb vermieden werden, d.h. die RLT-Anlagen sollen mit einem möglichst hohen Anteil an Außenluft betrieben werden.

4. Aufrüstung der RLT-Anlagen 
RLT-Anlagen, die nicht zu 100% mit Frischluft betrieben werden können, sollen – soweit möglich – mit dem Ziel einer Reduktion luftgetragener Viren aufgerüstet werden, etwa durch den Einsatz hochwertigerer Filter. Dies soll insbesondere dann notwendig sein, wenn Räume nicht nur kurzzeitig mehrfach belegt sind. Ist eine Aufrüstung der RLT-Anlage nicht möglich, sind zusätzliche Maßnahmen vorzusehen, z.B. zusätzliche Lüftung, Reduzierung der Raumbelegung, Anbringung von Abtrennungen oder das Tragen von Mund-Nase-Bedeckungen.

5. Nutzung von CO₂-Messgeräten
Wenn eine hohe Belegungsdichte in Räumlichkeiten durch organisatorische Maßnahmen nicht vermieden werden kann, empfiehlt die Bundesregierung, CO₂-Messgeräte einzusetzen, damit rechtzeitig Lüftungsmaßnahmen ergriffen werden können. Alternativ wird der Einsatz von Luftfilteranlagen empfohlen.

Die Bundesregierung bittet die zuständigen Arbeitsschutz- und Infektionsschutzbehörden, die Ordnungs- und Bauordnungsbehörden sowie die Aufsichtsdienste der Unfallversicherungsträger, ihre Beratung, Aufsicht und den Vollzug zu verstärken. Verstöße gegen die bestehenden rechtlichen Bestimmungen im Bereich der Lüftung von Gebäudeinnenräumen sollen konsequent geahndet werden. In Betracht kommen etwa Bußgelder nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 3a Abs. 1 Satz 1 ArbStättVO wegen Nichtbeachtung der ASR A3.6 zur Lüftung, insbesondere der darin enthaltenen Regelungen zur Wartung und Prüfung der RLT-Anlagen.

Dr. Detlef Grimm                                                        Dr. Stefan Freh

RA FAArbR Dr. Detlef Grimm ist Partner bei Loschelder Rechtsanwälte, Köln. Er gehört zum festen Autorenteam des Arbeits-Rechtsberaters und ist Mitautor des Arbeitsrecht Handbuchs (Hrsg. Tschöpe) sowie des Handbuchs Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst (Hrsg. Groeger).

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