Otto Schmidt Verlag

ArbRB-Blog

Geplantes Gesetz zur mobilen Arbeit – Ein gestoppter Eingriff in die Vertrags- und Unternehmerfreiheit?

avatar  Wolfgang Kleinebrink

Am 4.10.2020 wurden durch ein Interview des Bundesarbeitsministers mit einer Sonntagszeitung erste Überlegungen für ein geplantes Gesetz für mobile Arbeit bekannt. Auf der Internetseite des BMAS finden sich einige Eckpunkte. Inoffiziell liegt außerdem nun der Referentenentwurf vor, der nach Presseinformationen in der sogenannten Frühkoordination im Kanzleramt gestoppt wurde, da – so die Presseinformationen – nach dortiger Auffassung der Koalitionsvertrag keinen Anspruch auf Home-Office vorsieht. Eine Ressortabstimmung soll deshalb nach jetzigem Stand nicht mehr stattfinden. Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass dies noch nicht das politische Ende des Vorhabens ist; zumindest ist denkbar, dass einzelne Regelungen des Entwurfs – wie zum Beispiel die Arbeitszeiterfassung bei mobiler Arbeit – an anderer Stelle wieder aufgegriffen werden. Es lohnt sich deshalb, sich diesen Entwurf näher anzusehen. Er setzt sich aus vier Elementen zusammen:

  • Anspruch auf mobile Arbeit von mindestens 24 Tagen, der vom Arbeitnehmer individualrechtlich geltend gemacht werden kann
  • eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung
  • erweiterte Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats
  • Änderungen oder Präzisierung der gesetzlichen Unfallversicherung im Rahmen mobiler Arbeit, insbesondere im Home-Office.

Die angestrebten Gesetzesänderungen sind in einem Artikelgesetz – Gesetz zur mobilen Arbeit (mobile Arbeitsgesetz – MAG) zusammengefasst. Die Neuregelungen zur mobilen Arbeit sollen nach Art. 1 dieses Entwurfs in der Gewerbeordnung zusammengefasst werden. Art. 2 sieht Änderungen im Betriebsverfassungsgesetz vor; Art. 3 beinhaltet Änderungen im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung.

  1. Anspruch auf 24 Tage mobile Arbeit

Kernstück der angedachten Gesetzesänderung ist § 111 GewO-E. In dieser Vorschrift wird zunächst der Begriff der mobilen Arbeit definiert. Demnach behandelt das Gesetz nicht nur Regelungen zum Home-Office, sondern generell die Möglichkeit eines Arbeitnehmers, an einem Ort oder von Orten seiner Wahl zu arbeiten, sofern nicht mit dem Arbeitgeber eine entsprechende Ortsbestimmung vereinbart wurde.

Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis länger als 6 Monate bestanden hat, kann nach § 111 Abs. 2 Satz 1 GewO-E. verlangen, dass der Arbeitgeber regelmäßiger mobiler Arbeit an bis zu 24 Tagen im Jahr zustimmt. Die Zahl der möglichen Tage ähnelt zwar der Vorschrift des § 3 BUrlG. Nach dieser Bestimmung beträgt der gesetzliche Urlaub jährlich mindestens 24 Werktage. Als Werktage gelten dabei alle Kalendertage, die nicht Sonn- und gesetzliche Feiertage sind. Bei dieser Berechnung kommt man auf 4 Wochen gesetzlichen Urlaub. Diesen Weg geht der Entwurf aber nicht. Er geht ausdrücklich von einer jahresdurchschnittlichen Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit auf 5 Tage in der Woche aus. Bei Teilzeitarbeitnehmern würde sich dann – entsprechend dem Urlaubsrecht – die Zahl der möglicher Home-Office Tage mobiler Arbeit im Verhältnis zur Zahl der Wochenarbeitstage verringern.

  1. Ablehnungsmöglichkeiten des Arbeitgebers

Einem entsprechenden Begehren hat der Arbeitgeber hinsichtlich des gewünschten Beginns sowie der gewünschten Dauer und Verteilung der mobilen Arbeit sowie der gewünschten Art der mobilen Arbeit nach § 111 Abs. 2 Satz 2 GewO-E zuzustimmen; ein Ablehnungsrecht besteht lediglich dann, wenn die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit für mobile Arbeit nicht geeignet oder der mobilen Arbeit betriebliche Gründe entgegenstehen. Diese Ablehnungsmöglichkeiten des Arbeitgebers ähneln stark Regelungen im Teilzeit- und Befristungsrecht. Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG hat ein Arbeitgeber in diesem Gesetz der Verringerung der Arbeitszeit zuzustimmen und ihre Verteilung entsprechend den Wünschen des Arbeitnehmers festzulegen, soweit betriebliche Gründe nicht entgegenstehen. Aus dieser Vorschrift folgt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast, dass diese dem Arbeitgeber obliegt. Gelingt es ihm nicht, das Gericht zu überzeugen, dass eine Verringerung der Arbeitszeit aus betrieblichen Gründen nicht möglich ist, verliert er den Prozess und hat die entsprechende Teilzeit zu gewähren.

Überträgt man diese Grundsätze auf die angedachten Regelungen zur mobilen Arbeit, wäre der Arbeitgeber auch insoweit dem Risiko der Darlegungs- und Beweislast ausgesetzt. Im Zweifelsfall würde der Arbeitnehmer die entsprechenden Tage und die Art der mobilen Arbeit gerichtlich durchsetzen können. Erschwerend kommt hinzu, dass dem Arbeitnehmer ein Auskunftsanspruch zustehen soll, aus welchen Gründen der Arbeitgeber den Antrag abgelehnt hat, um dem Arbeitnehmer schon vorgerichtlich eine Überprüfungsmöglichkeit zu geben. Nach § 111 Abs. 4 GewO-E hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer seine ablehnende Entscheidung sowie deren Gründe spätestens 2 Monate nach dem Antrag des Arbeitnehmers in Textform zu erklären. Kommt der Arbeitgeber dieser Erklärungspflicht oder seiner Erörterungspflicht, die § 111 Abs. 3 GewO-E vorsieht, nicht nach, gilt die von dem Arbeitnehmer beantragt mobile Arbeit für die mitgeteilte Dauer, längstens für die Dauer von 6 Monaten, kraft Gesetzes als festgelegt. Eine solche Regelung würde § 15 Abs. 7 Satz 4 BEEG ähneln. Für eine begehrte Teilzeit während einer Elternzeit gilt demnach, dass der Arbeitgeber eine schriftliche Begründung abgeben muss, wenn er die beanspruchte Verringerung oder Verteilung der Arbeitszeit während der Elternzeit ablehnen will. Dies würde folglich die dem Arbeitgeber obliegende Darlegungs- und Beweislast weiter verschärfen.

Eine Besonderheit des Entwurfs ist eine Kündigungsmöglichkeit. Nach § 111 Abs. 7 GewO-E können Arbeitgeber oder Arbeitnehmer jeweils durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil die Beendigung der mobilen Arbeit mit einer Frist von 3 Monaten zum Ende eines Kalendermonats, frühestens jedoch zum Ende des sechsten Kalendermonats seit dem Beginn der mobilen Arbeit, in Textform erklären.

  1. Pflicht zur Arbeitszeiterfassung

112 GewO-E sieht einen Arbeitszeitnachweis für mobil arbeitende Arbeitnehmer vor. Der Arbeitgeber soll demnach verpflichtet sein, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer am Tag der Arbeitsleistung aufzuzeichnen. Das Gesetz ermöglicht allerdings, dass die Aufzeichnung durch den Arbeitnehmer erfolgt, wobei der Arbeitgeber für die ordnungsgemäße Aufzeichnung verantwortlich bleibt. § 147 GewO-E sieht bei einem Verstoß eine Geldbuße bis zu 30.000 € vor. Bedenkt man, dass ein Arbeitgeber kaum kontrollieren kann, ob ein Arbeitnehmer im Rahmen einer mobilen Arbeit die Aufzeichnungen ordnungsgemäß vornimmt, würde dies in der Praxis wohl dazu führen, dass der Arbeitgeber zur Vermeidung von Haftungsfolgen die Aufzeichnungen selbst vornehmen müsste. Dabei ist er dann aber wieder auf Angaben des Arbeitnehmers angewiesen, die er regelmäßig nicht überprüfen kann. Die im Entwurf vorgesehene „Verantwortung“ kann daher leicht zur Gefährdungshaftung des Arbeitgebers werden.

  1. Fehlende Notwendigkeit eines erweiterten Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats

Nach Art. 2 des Entwurfs soll in § 87 Abs. 1 BetrVG eine neue Nummer 14 eingefügt werden. Demnach soll dem Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht auch bei der Einführung und Ausgestaltung von mobiler Arbeit zustehen. Da anerkannt ist, dass einem Betriebsrat bei den erzwingbaren Mitbestimmungsrechten, die in § 87 Abs. 1 BetrVG aufgezählt sind – mit Ausnahme des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG – ein Initiativrecht zusteht, kann ein Betriebsrat versuchen, den Arbeitgeber – notfalls über den für den Arbeitgeber kostenträchtigen Weg einer Einigungsstelle iSd § 87 Abs. 2 BetrVG – zu zwingen, mobile Arbeit einzuführen Schon heute bestehen jedoch regelmäßig bei einer vorübergehenden oder dauernden Tätigkeiten eines Arbeitnehmers im Home-Office zahlreiche Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats. Zu denken ist insbesondere an:

  • das Ordnungsverhalten nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG,
  • Regelung zur Arbeitszeit § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG,
  • ggf. technische Einrichtungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG und
  • den Arbeitsschutz/Gesundheitsschutz gemäß § 87Abs. 1 Nr. 7 BetrVG.

Zusätzliche Beteiligungsrechte des Betriebsrats wären kontraproduktiv. Es besteht die Gefahr, dass insbesondere bei einer notwendigen Entscheidung durch die Einigungsstelle nach § 87 Abs. 2 BetrVG eine Spaltung der Belegschaft in einen im Betrieb arbeitenden Teil und einen im Rahmen mobiler Arbeit tätigen Teil entstehen würde.

  1. Erneuter Eingriff in die Vertrags– und Unternehmerfreiheit

Der Gesetzgeber hat bereits in vielen arbeitsrechtlichen Gesetzen in die Vertragsfreiheit und Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers eingegriffen, die über Art. 2 und Art. 12 bzw. Art. 14 GG verfassungsrechtlich geschützt sind. Zu denken ist insbesondere an die bereits erwähnten Regelung zur Teilzeit in § 8 TzBfG, an die erst kürzlich eingeführte „Brückenteilzeit“ nach § 9a TzBfG und an die Bestimmungen im BEEG. In allen Fällen ermöglicht es der Gesetzgeber dem Arbeitnehmer, einseitig in das vertraglich geregelte Arbeitszeitvolumen einzugreifen, sofern nicht vom Arbeitgeber entgegenstehende betriebliche Gründe dargelegt und bewiesen werden können. Ferner muss man berücksichtigen, dass der Gesetzgeber durch das Arbeitsschutzkontrollgesetz weitere erhebliche Eingriffe in die Vertrags- und Unternehmerfreiheit vornehmen will, indem für die Fleischindustrie der Abschluss von Werk- und Arbeitnehmerüberlassungsverträgen nahezu unmöglich gemacht werden soll. Die angestrebten Regelungen zur mobilen Arbeit würden dem Arbeitnehmer nun erstmals die Möglichkeit eröffnen, einseitig den im Arbeitsvertrag festgelegten Arbeitsort zu ändern. Ferner würde der Arbeitgeber in erheblichem Umfang finanziell belastet, da er den Arbeitsplatz im Home-Office für den Arbeitnehmer elektronisch einrichten müsste.

Ein derartiger Eingriff in verfassungsrechtliche Positionen des Arbeitgebers ist nicht erforderlich. Gerade die gegenwärtige Corona-Pandemie hat gezeigt, dass die Betriebsparteien bzw. Arbeitgeber und Arbeitnehmer ohne Druck durch den Gesetzgeber in der Lage sind, mobile Arbeit, insbesondere Home-Office, fast flächendeckend einzuführen. Ein gesetzlicher Zwang könnte für Arbeitgeber sogar abschreckend wirken. Waren sie bisher noch bereit, weit über die angestrebten 24 Tage mobile Arbeit zu ermöglichen, könnten sie durch eine derartige gesetzgeberische Neuregelung verleitet sein, die entsprechende Zahl der Tage auf das gesetzliche Minimum herunterzufahren.

Es ist deshalb richtig, dass das Gesetzgebungsvorhaben bereits im Kanzleramt gestoppt wurde. Zu hoffen bleibt, dass dies auch das tatsächliche Ende dieses nicht notwendigen und verfassungsrechtlich zweifelhaften Vorhabens ist.

Prof. Dr. Wolfgang Kleinebrink

Schreiben Sie einen Kommentar

Sie müssen sich einloggen um einen Kommentar schreiben zu können.