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Ist „stets zur vollen Zufriedenheit“ der Durchschnitt?

avatar  Gerhard Schäder

Streitigkeiten über die Bewertung in Zeugnissen werden häufig nach der Darlegungs- und Beweislast entschieden. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ist grundsätzlich ein Zeugnis mit einer durchschnittlichen Leistung zu erteilen (Bewertung: „zur vollen Zufriedenheit“).  Begehrt der Arbeitnehmer eine gute oder sehr gute Bewertung, muss er dies darlegen und beweisen, erstellt der Arbeitgeber eine ausreichende oder noch schlechtere Bewertung aus, muss er dies ebenfalls darlegen und beweisen. Der zwischenzeitlich ausgeschiedene Vorsitzende des 9. Senates des BAG, Herr Düwell, hat auf zwei empirische Untersuchungen hingewiesen, aus denen sich ergibt, dass die Mehrzahl der Zeugnisse mit gut oder sehr gut bewertet werden (NZA 2011, 958), und angekündigt, dass sich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes dazu möglicherweise ändern wird. Die Instanzrechtsprechung hat durch ein Urteil des LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 21.03.2013 – 18 Sa 2133/12) reagiert und entsprechend festgestellt, dass ein durchschnittliches Zeugnis der Bewertung gut, also „stets zur vollen Zufriedenheit“ entspricht.

Bei der Prüfung, ob der Arbeitgeber mit dem erteilten Zeugnis den Zeugnisanspruch erfüllt hat, stellt diese Rechtsprechung tatsächlich eine Revolution dar. Bei Zugrundelegung dieser Entscheidung würde sich die Darlegungs- und Beweislast um eine Note (von 3 auf 2) verschieben . Es wird daher sehr spannend, wie das Bundesarbeitsgericht im Rahmen der eingelegten Revision (9 AZR 584/13) mit dieser Frage umgehen wird. Bei den Untersuchungen sind im Jahr 2010 ca. 800 und im Jahr 2011 ca. 1.000 Zeugnisse untersucht worden. Diese Ergebnisse entsprechen auch der praktischen Erfahrung, nach der die meisten Zeugnisse gut oder sehr gut sind. Deshalb erscheint es nicht ausgeschlossen, dass das BAG dies auch entsprechend bestätigen wird. Seitens der Arbeitgeber wird derzeit intensiv dagegen argumentiert. Momentan kann sich jeder Arbeitnehmer auf diese aktuelle Rechtsprechung berufen; aus der Sicht des Arbeitgebers verbleibt die Argumentation, dass das BAG die Rechtsprechungänderung (jedenfalls noch) nicht vollzogen hat.

3 Kommentare

  1. Veröffentlicht 19.11.2013 um 11:22 | Permalink

    Sollte das BAG den angekündigten Weg beschreiten, würden Zeugnisse noch weiter entwertet. Niemandem ist damit gedient, weder den Arbeitgebern noch den Arbeitnehmern, vor allem nicht den „Guten“. Erfahrene PersonalerInnen treffen ihre Auswahlentscheidung längst nicht mehr aufgrund eines Zeugnisses. gerade bei Bestnoten sind sie besonders skeptisch – und häufig auch zu Recht!

  2. Veröffentlicht 20.11.2013 um 12:40 | Permalink

    Naturgemäß gibt es zwei Sichtweisen auf diese Problematik. Natürlich wird kein Arbeitnehmer aufgrund eines Zeugnisses eingestellt. Auch werden Personaler nicht aufgrund eines sehr guten Zeugnisses den Arbeitnehmer gerade nicht zum Vorstellungsgespräch einladen. Letztlich sind neben einem Zeugnis die nachgewiesen Qualifikationen und das Auftreten bei der Vorstellung entscheidend. Auf der einen Seite trifft es zu, dass Zeugnisse bei der Anhebung des Durchschnitts auf „gut“ etwas entwertet werden, auf der anderen Seite muss die Rechtsprechung auch die Realität, die wohl mit „gut“ als durchschnittlich zutreffen dürfte, berücksichtigen. Insoweit wird uns das BAG die zukünftige Richtlinie durch seine Entscheidung vorgeben.

  3. Veröffentlicht 20.11.2013 um 14:27 | Permalink

    Ich kann Herrn Schulte nur Recht geben. Als langjähriger Berater im Bereich Recruitment habe ich festgestellt, dass Zeugnisse regelmäßig nicht die wirklichen Leistungen der Bewerber spiegeln. Oft, und das habe ich selber häufig praktiziert, unterschreiben Arbeitgeber Zeugnisse, die von den scheidenden Mitarbeitern selbst oder deren Anwälten gefertigt waren. Bei Vergleichen vor den Arbeitsgerichten ist es ebenfalls usus, sich ein „wohlwollendes“Zeugnis ausstellen zu lassen.
    Die wohl noch einzig aussagekräftigen Unterscheidungsmerkmale sind individuelle Beschreibungen der erbrachten Leistungen und deren Qualität. Allerdings fehlt es auch hieran häufig.
    CD-ROM sei Dank können heute Arbeitszeugnisse vorformuliert übernommen werden. Dabei braucht der AG lediglich noch darauf zu achten, dass er die Formulierungen wählt, die eine bestimmte Note ausmachen. Das hat mit einem Leistungsnachweis, und das soll ein Zeugnis ja schließlich sein, nicht mehr ansatzweise etwas zu tun.
    Die sich hier abzeichnende Rechtsprechung führt in den meisten Fällen lediglich dazu, dass ein AG ein gutes Zeugnis ausstellt, um einen Rechtsstreit zu vermeiden. Aber machen wir uns doch nichts vor: Ob es nun zulässig ist oder nicht, die Praxis ist doch so, dass die persönliche Rückfrage beim bisherigen AG inzwischen die Regel ist. Auch wenn dies stets offiziell abgestritten wird. Durch die neue Rechtsprechung wird aus dem Zeugnis zunehmend das, was ohnehin schon den Trend ausmacht: Eine nichtssagende und für die Personalpraxis nachgerade unbedeutende Formalie!

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