Eine neben dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer besonders wichtige weitere Frage ist, was mit dem Vergütungsanspruch passiert, wenn Betriebe geschlossen werden, Beschäftigungsverbote durch die Behörden angeordnet werden und/oder der Arbeitgeber die Arbeitnehmer freistellt bzw. der Arbeitnehmer nicht zum Dienst erscheint, weil ihm die Anreise zu gefährlich ist. Diese Fragen sind weithin noch völlig ungeklärt. Es kommt teilweise auf die Nuancen an.
Die Frage der Vergütungspflicht des Arbeitgebers bei Nichterfüllung der Arbeitspflicht aufgrund von Corona-Ereignissen lässt sich in verschiedene Fallgruppen aufgliedern:
Freistellung durch den Arbeitgeber
Ernst & Young hat am 28.2.2020 alle 1500 Beschäftigten der Düsseldorfer Niederlassung freigestellt. Ein solcher Fall ist einfach zu lösen: Die Arbeitnehmer behalten infolge der Freistellung gemäß § 615 BGB ihren Vergütungsanspruch, ohne Arbeitsleistungen erbringen zu müssen (vgl. BAG, Urteil vom 9.7.2008, NZA 2008, 1407, 1409). Natürlich müssen sie – wenn sie dazu technisch und persönlich in der Lage sind – von zu Hause aus per Home Office arbeiten, um den Vergütungsanspruch zu behalten. Das wird (jedenfalls) in Produktionsbetrieben aber nicht möglich sein.
Der Arbeitnehmer bleibt zu Hause
Denkbar ist, dass Arbeitnehmer zu Hause bleiben, um Infektionsrisiken in den von ihnen genutzten öffentlichen Verkehrsmitteln zu entgehen.
In diesem Fall verlieren sie den Vergütungsanspruch. Üblicherweise tragen Arbeitnehmer das sog. Wegerisiko. Können sie – wie z.B. auch im Winter – den Betrieb nicht erreichen, liegt kein Annahmeverzug des Arbeitgebers vor und die Arbeitnehmer verlieren gemäß § 326 Abs. 1 BGB den Entgeltzahlungsanspruch. Gleiches gilt beispielsweise bei einem Smogalarm, wenn sie wegen Verkehrsverboten den Arbeitsplatz nicht erreichen können.
Auftrags- und Rohstoffmangel
Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber das sog. Wirtschaftsrisiko. Das sind Fälle, in denen wegen Auftrags- oder Absatzmangel der Betrieb technisch weitergeführt werden kann. Das hat schon das Reichsarbeitsgericht entschieden. Ein ähnlicher Fall liegt vor, wenn ein Arbeitsausfall eintritt, weil wichtige Lieferanten – wie beispielsweise aus China – ihre Vorprodukte nicht anliefern können. Hier muss der Arbeitgeber weiterhin das Arbeitsentgelt zahlen. Dass er die Arbeitsleistung nicht verwerten kann (weil er keine Aufträge oder Vorprodukte aufgrund langer Lieferketten hat), gibt ihm nicht das Recht, das Arbeitsentgelt zu verweigern.
In solchen Fällen ist aber der Ausgleich über Kurzarbeitergeld grundsätzlich möglich. Die Generaldirektion Baden-Württemberg der Agentur für Arbeit hat in einer Presseinformation vom 6.2.2020 darauf hingewiesen, dass ein aufgrund oder infolge des Coronavirus und/oder der damit verbundenen Sicherheitsmaßnahmen eingetretener Arbeitsausfall im Regelfall auf einem unabwendbaren Ereignis oder auf wirtschaftlichen Gründen im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 1 SGB III beruht. Die Bundesagentur für Arbeit stimmt dem in ihrer Pressemitteilung vom 28.2.2020 ausdrücklich zu. Wörtlich: „… oder staatliche Schutzmaßnahmen dafür sorgen, dass der Betrieb vorübergehend geschlossen wird.“ Das bedeutet, dass der Arbeitsausfall mit Hilfe des konjunkturellen Kurzarbeitergeldes damit grundsätzlich kompensiert werden kann. Arbeitsvertraglich setzt die Verkürzung der Arbeitszeit oder deren Ausfall (Kurzarbeit) voraus, dass eine entsprechende Klausel im Arbeitsvertrag enthalten ist, Kurzarbeit durch Tarifvertrag möglich ist oder – was in der Praxis der häufigste Fall sein dürfte – durch eine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat angeordnet wird.
Sozialversicherungsrechtlich ist es wichtig, dass Betriebe und Unternehmen dies bei der Agentur für Arbeit anzeigen. Zuständig ist die örtliche Arbeitsagentur.
Arbeitsvertraglich setzt die Verkürzung der Arbeitszeit oder deren Ausfall (Kurzarbeit) voraus, dass eine entsprechende Klausel im Arbeitsvertrag enthalten ist, Kurzarbeit durch Tarifvertrag möglich ist oder – was in der Praxis der häufigste Fall sein dürfte – durch eine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat angeordnet wird
Erkrankung des ArbeitnehmersÂ
Gem. § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) hat jeder Arbeitnehmer einen gesetzlichen Entgeltfortzahlungsanspruch bei Erkrankungen für die Dauer von sechs Wochen. Teilweise sind diese Fristen arbeits- oder tarifvertraglich länger. Arbeitsvertraglich kann dieser Zeitraum teilweise noch verlängert werden
Voraussetzung für die Entgeltfortzahlung ist, dass die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung und damit für den Verlust des Entgeltanspruchs ist. Dies nennt man die sog. Monokausalität der Erkrankung. Hat der Arbeitnehmer ohne die Erkrankung keinen Entgeltanspruch, so kann ihm die Erkrankung nicht zu einem solchen Anspruch verhelfen.
Ist der Arbeitnehmer also am Corona-Virus erkrankt und ist zugleich von den Behörden nach § 31 Satz 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) ein Beschäftigungsverbot angeordnet worden, konkurriert der Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 3 EFZG mit dessen Entschädigungsanspruch infolge des Beschäftigungsverbotes nach § 56 Abs. 1 IfSG. Danach wird derjenige, wer als Ausscheider einer Infektion, als Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne des § 31 Satz 2 IfSG einem Verbot der Ausübung seiner Arbeitstätigkeit unterliegt, vom Staat entschädigt.
Er erhält in Höhe seines Verdienstausfalles für die Dauer von sechs Wochen eine Entschädigung, die dem Arbeitsentgelt gem. § 14 SGB IV entspricht (§ 56 Abs. 2 und Abs. 3 IfSG). Der Arbeitgeber tritt in Vorleistung, ist also Auszahlstelle für den Staat (§ 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG). Die ausgezahlten Beträge werden dem Arbeitgeber auf Antrag von der zuständigen Behörde (dies sind die Bezirksregierungen in Nordrhein-Westfalen und den meisten Bundesländern) erstattet (so § 56 Abs. 5 Satz 2 IfSG). Die Erstattung erfolgt aber nur auf Antrag des Arbeitgebers bzw. des Arbeitnehmers, falls der Arbeitgeber nicht in Vorleistung getreten ist (§ 56 Abs. 5 Satz 3 IfSG).
Würde der Arbeitgeber also Entgeltfortzahlung erbringen, würde er den Staat von dessen Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG befreien.
Nach ganz h.M. geht wegen der öffentlich-rechtlichen Zwangswirkung das infektionsschutzrechtliche Beschäftigungsverbot vor. Dies ist der vorrangige Hinderungsgrund (so Müller-Glöge in MünchKomm 8. Aufl. 2020, § 3 EFZG, Rn. 10; Schaub/Linck, § 98 Rn 20a und eine sehr gründliche Stellungnahme von Greiner im Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Band I, 4. Auflage 2018, § 80, Rn. 41; nuanciert aA ErfK-Reinhard, 20. Aufl. 2020, § 3 EFZG, Rn. 19).
Das BMAS folgt – aus fiskalpolitischen Erwägungen? – in einer Stellungnahme vom 23.3.2020 der Auffassung von ErfK/Reinhard und schreibt, dass für Erkrankte in behördlich angeordneter Quarantäne die Entschädigungspflicht nicht gelten soll: „Erkrankte fallen nicht unter diese Entschädigungsregelung, weil diese bereits Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Krankengeld erhalten.“
Entgeltfortzahlungsrechtlich fehle es am Tatbestand der Arbeitsunfähigkeit, wenn ein vorrangiges, von der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit unabhängiges infektionsschutzrechtliches Beschäftigungsverbot zum Entfall der Arbeitspflicht führe. Die durch den öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruch gem. § 56 Abs. 7 IfSG eintretende Entlastung des Arbeitgebers sei plausibel, weil das Beschäftigungsverbot vor allem im gesamtgesellschaftlichen Interesse des Infektionsschutzes liege (so Greiner a.a.O.). Das sehe ich auch so.
Für die Praxis ist einiges zu bedenken:
- Der Arbeitgeber kann einen Vorschuss für die Entgeltzahlungen verlangen, so § 56 Abs. 12 IfSG. Das kommt insbesondere bei Kleinbetrieben, die durch Absatz- oder Produktionsausfälle noch stärker gebeutelt sind als größere Einheiten, in Betracht.
- Zuschüsse des Arbeitgebers – die er ggfls. freiwillig aufgrund Arbeits- oder Tarifvertrag zahlt – sind aber zugunsten des Staates auf die Entschädigung anzurechnen (§ 56 Abs. 8 Satz 1 IfSG). Solche Zuschüsse sollten also – jedenfalls vergütungsrechtlich – unterbleiben. Ob man sie aus Gründen der Fürsorge und Personalpolitik zahlt, ist eine andere – nicht eine rechtliche – Frage.
- Anträge des Arbeitgebers auf Erstattung sind innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Einstellung der verbotenen Tätigkeit (aufgrund Beschäftigungsverbots gem. § 31 IfSG) oder dem Ende der Absonderung bei der zuständigen Behörde (Bezirksregierung) zu stellen (so § 56 Abs. 11 Satz 1 IfSG).
Der Vorrang der staatlichen Entschädigung gegenüber der Lohnfortzahlung ist für das „alte Bundesseuchengesetz“ im Jahre 1978 auch vom BGH im Grunde bejaht worden (BGH, Urteil v. 30.11.1978 – III ZR 43/77, AP § 49 Bundesseuchengesetz Nr. 1). Allerdings war im entschiedenen Fall noch eine andere Norm im Spiel. Dies ist der schillernde § 616 BGB, der noch weiter geprüft werden musste und hier zum Schluss erörtert wird.
Zuständig in NRW ist der Landschaftsverband: https://www.lvr.de/de/nav_main/soziales_1/soziale_entschaedigung/taetigkeitsverbot/taetigkeitsverbot.jsp.Die Service Tel.-Nr: 0221 809-5444.
Verdacht einer Ansteckung mit Covid 19 (Corona)
Der Entschädigungsanspruch nach § 56 IfSG besteht auch bei Ansteckungsverdächtigen (§ 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG, siehe oben ). Auch hier besteht ein Entschädigungsanspruch bei beruflichen Tätigkeitsverboten nach § 31 Satz 1 und 2 IfSG in Bezug auf einzelne Arbeitnehmer und behördlich definierte Gruppen. Dies gilt auch bei einer behördlich angeordneten Quarantäne gem. § 30 IfSG. Der Entschädigungsanspruch gilt auch zugunsten freier Mitarbeiter, da § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG nicht auf den Arbeitnehmerbegriff abstellt sondern auf einen „Verdienstausfall“.
Kausal für die Arbeitsverhinderung ist dann nicht die (vermutete) Krankheit als solche, sondern das Beschäftigungsverbot. Deshalb besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 EFzG. Häufig wird überdies ja noch nicht einmal eine Krankheit vorliegen, da nur ein Verdachtsfall besteht.
Behördliche Schließung des Betriebes      Â
Wird der Betrieb geschlossen, weil in Bezug auf den gesamten Betrieb oder Gruppen von Arbeitnehmern des Betriebes ein Infektionsrisiko besteht (in der Presse haben wir dies schon in Bezug auf Stadtverwaltungen, Schulen, Kindergärten usw. gelesen), stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber nach der Schließung des Betriebes den Arbeitslohn an die Arbeitnehmer weiterzahlen muss. Eine solche Betriebsschließung ist z.B. auf der Grundlage des § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG denkbar.
Dazu hat die Rechtsprechung schon vor langer Zeit (das Reichsgericht im Jahr 1923) die sog. Betriebsrisikolehre geschaffen. Diese klärt die Frage, wer bei einer Betriebsstörung das Betriebsrisiko zu tragen hat. Konkret: Muss der Arbeitgeber bei einer Betriebsstörung den Lohn weiterzahlen.
Betriebsrisikofälle sind in der Vergangenheit bei der zufallsbedingten Unterbrechung von der Energieversorgung, der Einwirkung von Naturereignissen, dem Ausbleiben von Rohstoffen oder dem Auftreten von Maschinenschäden dann erörtert worden, wenn der Betrieb eingestellt oder eingeschränkt werden muss und deshalb keine Arbeit geleistet werden kann. In all diesen Fällen liegt überdies kein Verschulden des Arbeitgebers vor. Auch der gegenwärtige Mangel an Rohmaterial bei Zulieferungen aus China war nicht vorhersehbar. Eine solche Pandemie gab es vorher noch nicht. Daher liegt auch insoweit kein Verschulden des Arbeitgebers (etwa mit dem Argument: man hätte ja außerhalb von China beschaffen können) vor.
Entscheidend für die Risikozurechnung ist die Beherrschbarkeit des Risikos und der Umstand, ob das Risiko in der Eigenart des Betriebes angelegt ist.
Das ist beispielsweise der Fall, wenn Störungen der Energieversorgung, Maschinenschäden und vorhersehbarer Rohstoffmangel, sowie Betriebsstörungen infolge Naturereignissen und vorhersehbarer behördlicher Maßnahmen erfolgen.
Nach der Rechtsprechung trägt der Arbeitgeber dann das Betriebsrisiko infolge behördlicher Maßnahmen, wenn das Risiko der behördlichen Maßnahme im Betrieb durch dessen besondere Art (so die Formulierung von Preis in ErfK, 20. Aufl. 2020, § 615 BGB, Rn. 132 zu Sicherheitsmaßnahmen am Flughafen) angelegt gewesen war.
Es kommt also darauf an, ob die Eigenart des Betriebes es mit sich bringt, dass dieser von einer behördlichen Maßnahme in besonderer Weise betroffen ist.
- Dies war beispielsweise 1934 beim Verbot öffentlicher „Lustbarkeiten“ wegen Staatstrauer nach Hindenburgs Tod der Fall. Eine in einem Tanzlokal engagierte Tanzkapelle durfte nicht auftreten. Sie behielt aber ihren Lohnanspruch. Dem Tanzlokal wohne also das besondere „betriebliche“ Risiko inne, solche Maßnahmen erdulden zu müssen, so das Reichsarbeitsgericht.
- Das BAG (30.5.1962, AP BGB § 615 Betriebsrisiko Nr. 15) hat ähnliches bei einer Landestrauer wegen eines Brandunglücks in Nürnberg im Jahr 1963 entschieden.
- Gleiches gilt bei einem Flugverbot aufgrund einer Aschewolke oder einem auf einen einzelnen Betrieb bezogenen Verbots wegen Smogalarms. In all diesen Fällen ist gemein, dass das Risiko im Betrieb angelegt ist.
- Wird der Betrieb aufgrund bankaufsichtsrechtlicher Maßnahmen vorübergehend eingestellt, so trägt der Arbeitgeber das Betriebsrisiko und muss den Lohn weiter zahlen (LSG Hessen v. 20.8.2010, ZIP 2010, 2019).
Die allgemeinen Gefahrenlagen etwa durch Kriege, Unruhe, Terroranschläge gehören aber nicht in diese „besondere Zuordnung des Risikos durch den Arbeitgeber bzw. den Betrieb“. Sie beeinträchtigen nicht die Funktionsfähigkeit des Betriebes als solches.
Das gilt grundsätzlich auch für Epidemien (so auch die Kommentierung von Krause in HWK, Arbeitsrecht Kommentar, 8. Auflage 2018, § 615 BGB, Rn. 116).
Ob dieser m.E. zutreffenden rechtlichen Ableitung gefolgt werden wird, ist nicht zwingend sicher, weil gerade die Betriebsrisikolehre von vielen sehr weitgehend zu Lasten der Arbeitgeber interpretiert wird. Es ist nicht auszuschließen, dass der Fall der behördlichen Schließung eines Betriebes auch dann als dem Arbeitgeber zurechenbares Risiko angesehen wird, wenn kein spezifisches im Betrieb angelegtes Risiko besteht (wie dies aber in den Tanzkapellenfällen der Fall war oder wie dies beispielsweise bei Hochschulen, bei denen breiter Personenkontakt besteht, Veranstaltungsunternehmen, Kaufhäusern usw. der Fall ist). Auch wenn vieles gegen eine solche Erweiterung spricht, ausschließen kann man eine andere Bewertung durch einzelne Arbeitsgerichte nicht.
Dies zeigt, dass in solchen Fällen in jedem Fall die Entschädigungsansprüche nach § 56 IfSG von Seiten der Arbeitgeber bzw. der Arbeitnehmer geltend zu machen sind. Der Arbeitgeber zahlt ja ohnehin sechs Wochen als Zahlstelle gem. § 56 Abs. 5 IfSG das Arbeitsentgelt weiter und kann sich dies dann bei der zuständigen Behörde erstatten lassen. Anträge auf Verdienstausfallentschädigung finden sich auf der Homepage der jeweiligen Bezirksregierung.
Entscheidet sich der Arbeitgeber selbst – ohne behördliche Anordnung – aufgrund der Umstände, den Betrieb ganz oder teilweise einzustellen, so behält der Arbeitnehmer den Lohnanspruch. Für witterungsbedingte Umstände hat dies das BAG (Urteil v. 9.7.2008 – 5 AZR 810/07, NZA 2008, 1407, 1409) entschieden. Das ist ganz eindeutig und schon oben unter Ziffer 1 angesprochen.
Vergütungsanspruch nach § 616 Satz 1 BGB
Ein Anspruch zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts kann auch noch aufgrund einer ein Schattendasein führenden, von vielen gleichwohl sehr extensiv ausgelegten Norm bestehen.
Es handelt sich um § 616 Satz 1 BGB. Danach wird der Arbeitnehmer des Anspruchs auf die Arbeitsvergütung „nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird.“ Die Norm gilt im übrigen auch für Freie Mitarbeiter und Selbständige (BGB v. 6.4.1995 – VII ZR 36/94, NJW 1995, 2629), arbeitnehmerähnliche Personen und Organe (Krause in HWK, Arbeitsrecht Kommentar, 8. Auflage 2018, § 616 BGB, Rn. 8).
Das sind normalerweise die Fälle von Hochzeit, Beerdigung, Pflege einer nahen Angehörige oder Kinder.
Die Norm wird teilweise weit ausgedehnt, weshalb deren Anwendung im Corona-Fall naheliegt. Der BGH hat am 30.11.1978 in einem Urteil vom 30.11.1978 (Aktenzeichen III ZR 43/77, AP BSeuchG § 49 Nr. 1) zu der Vorgängernorm des 2001 in Kraft getretenen § 56 IfSG – nämlich § 49 Bundesseuchengesetz – entschieden: „Steht einem Arbeitnehmer, gegen den ein seuchenpolizeiliches Tätigkeitsverbot verhängt worden ist, für den Verbotszeitraum ein Lohnfortzahlungsanspruch nach § 616 Abs. 1 BGB zu, besteht ein Entschädigungsanspruch (nach Seuchenrecht) nicht.“ Im konkreten Fall hatten zwei Metzgergesellen Salmonellenausscheidungen. Sie durften nicht arbeiten. Der Arbeitgeber hatte darauf die Erstattung des fortgezahlten Arbeitslohns nach der Vorgängernorm des § 56 IfSG verlangt.
Hier muss aus Sicht der Zivilgerichte im Entschädigungsverfahren erst § 616 BGB geprüft werden. Gibt der einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, scheiden Ansprüche auf Entschädigung für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer nach § 56 IfSG aus. Ähnlich hat es 1966 das LG Düsseldorf (Urteil vom 18.5.1966 – 11 b S 43/66, AP § 616 BGB Nr. 39, dazu Henssler in MünchKomm, 8. Aufl. 2020, § 616 BGB, Rn. 25) im Falle eines (!) Arbeitnehmers, der Parathyphusträger gewesen war, entschieden.
Im Corona-Fall muss man unterscheiden: Der § 616 BGB betrifft Umstände, die in der persönlichen Sphäre des Dienstberechtigten liegen. Das ist beispielsweise bei pflegebedürftigen Angehörigen und in anderen geschilderten Fällen der Fall. Besteht also ein auf eine Person (oder eine einzelne abgrenzbare Gruppe) wegen des bei dieser Person oder der Gruppe bestehenden Verdachts des Corona-Virus ein Tätigkeitsverbot nach § 31 IfSG, so handelt es sich um eine vom Arbeitnehmer ausgehende („subjektive“) Gefahr, die das Hindernis für die Erbringung der Arbeitsleistung ist. In diesem Fall kann § 616 BGB dem Ausgangspunkt nach greifen. Der Salmonellen-Fall zeigt dies sehr deutlich: Bei den beiden Metzgergesellen (nur bei diesen!) lagen Salmonellen-Ausscheidungen vor.
Handelt es sich dagegen um ein nicht auf einzelne Arbeitnehmer oder definiert abgrenzbare Arbeitnehmergruppen bezogenes Tätigkeitsverbot, sondern wird ein Unternehmen in der Gesamtheit von den Gesundheitsbehörden mit einem Tätigkeitsverbot nach § 31 IfSG belegt, liegt ein objektives Leistungshindernis, dass sich nicht auf einzelne Personen bezieht, sondern die Leistungserbringung objektiv unmöglich macht, vor.
Entscheidend für die Frage, ob ein solch objektives Leistungshindernis vorliegt ist, ob es sich um ein Ereignis handelt, das mit der Person des Dienstverpflichteten nichts zu tun hat, sondern jeden anderen ebenso treffen kann. Bestehen die objektiven Leistungshindernisse zur selben Zeit für eine Vielzahl von Arbeitnehmern gleichzeitig, so kommt § 616 Satz 1 BGB zu Gunsten der Arbeitnehmer nicht zur Anwendung. Preis in ErfK, 20. Aufl. 2020, § 616 BGB, Rn. 3 schließt den Anspruch auf Lohnzahlung schon aus, wenn die objektiven Hindernissen „für mehrere Arbeitnehmer“ bestehen, also wohl schon bei zwei Betroffenen.
Solche objektiven Leistungshindernisse sind beispielsweise Epidemien (so Krause in HWK, 8. Auflage 2018, § 616 BGB, Rn. 35, 17). Solche allgemeinen Risiken gehören nicht zu den vom Arbeitgeber einzukalkulierenden und auch versicherbaren Risiken.
Übertragen auf die konkrete Situation bedeutet dies, dass bei auf einzelne Mitarbeiter bezogenen Tätigkeitsverboten der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 616 BGB für eine verhältnismäßig nicht geringe Zeit bleibt. Verhältnismäßig nicht gering ist ein Zeitraum von sechs Wochen (so der BGH in dem oben zitierten Urteil unter II. 4 am Ende der Gründe). Bei mehreren betroffenen Arbeitnehmern scheidet der Anspruch aus.
Liegt hingegen eine „allgemeine Untersagung des Geschäftsbetriebs“ durch die Behörden vor, handelt es sich um eine nicht auf den einzelnen Arbeitnehmer beziehbaren, sondern objektiven Verhinderungsgrund. In diesem Fall besteht kein Anspruch nach § 616 BGB auf Vergütungszahlung für den Arbeitnehmer, sondern der Entschädigungsanspruch gegen den Staat nach § 56 Abs. 1 IfSG ist vorrangig. Im Übrigen hat das BAG (Urteil vom 24.06.1960 – 1 AZR 96/58, AP zu § 8 MuSchG Nr. 1) entschieden, dass sogar ein Beschäftigungsverbot nach den §§ 5, 6, 11 und 12 MuSchG nicht die Anwendung des § 616 BGB rechtfertigt und daher aus dieser Norm kein Entgeltfortzahlungsanspruch der Schwangeren gegen den Arbeitgeber besteht.
Auch wenn danach die Begründung eines Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 616 BGB für die Arbeitnehmer nur im Einzelfall Betracht kommt, sollten Ansprüche nach § 616 BGB arbeitsvertraglich oder tarifvertraglich zukünftig ausgeschlossen werden. Das ist nach der Rechtsprechung des BAG problemlos möglich. Insoweit bietet sich ein „Merker“ für zukünftige Arbeitsvertragsgestaltungen an.
Gestaltungen in Bezug auf Abbau von Ãœberstundenguthaben: Â
Muss der Arbeitgeber aufgrund des Betriebsrisikos (siehe die Darstellung oben in Ziffer 6) oder aufgrund § 616 BGB (siehe oben bei Ziffer 7) die Vergütung (ausnahmsweise) fortzahlen, macht es Sinn, die durch den Zeitraum der Freistellung der Arbeitnehmer verbrauchte Arbeitszeit auf vorhandene Arbeitszeitguthaben oder den Urlaubsanspruch anzurechnen. Zur einseitigen Festlegung von Zeiten des Freizeitausgleichs bei Überstunden ist ein Arbeitgeber nur berechtigt, wenn dafür eine rechtliche Grundlage besteht. Dies kann einmal im Individualvertrag oder – was häufiger ist – kollektivrechtlich in Betriebsvereinbarungen erfolgen.
Wird ein Betrieb aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen, ist denkbar, dass die Betriebsparteien kurzfristig Betriebsferien vereinbaren und insoweit die Abwesenheitszeit auf den Erholungsurlaub angerechnet wird. Das setzt aber praktisch voraus, dass eine solche kurzfristige Betriebsvereinbarung (§ 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG) zustande kommt, was gegenwärtig eher die Ausnahme sein wird. Auch sind bereits geplante Urlaube für die Arbeitnehmer bei der Ausgestaltung der Betriebsvereinbarung zu berücksichtigen. Daher dürfte dies praktisch kaum nutzbar sein. Immerhin: Eine Gestaltung für die Zukunft ist denkbar.
Zusammenfassung:Â
Die Fälle der Lohnfortzahlung und des Entgeltrisikos bei Corona lassen sich kategorisieren. Dessen ungeachtet bedarf es der Einzelfallbewertung.