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Kurzarbeitergeld bei Betriebseinschränkungen wegen des Coronavirus

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Der Arbeitgeber bleibt bei Betriebseinschränkungen aufgrund des Coronavirus zunächst für die Arbeitsentgelte seiner Arbeitnehmer zahlungspflichtig, da die Risiken oft zu seinem Betriebsrisiko zählen. Das gilt insbesondere, wenn Vorprodukte nicht geliefert werden. Auch die Ausgleichspflicht des Staates gem. § 56 Infektionsschutzgesetz entlastet den Arbeitgeber grundsätzlich nur bei behördlichen Maßnahmen, die sich unmittelbar gegen den Arbeitnehmer richten, nicht aber bei mittelbaren Folgen der Erkrankungswelle, die den Betrieb betreffen. Der Arbeitgeber kann sich von einem Teil des Risikos über die Beantragung von Kurzarbeitergeld gemäß § 95 ff. SGB III entlasten. Der „erhebliche Arbeitsausfall“  muss auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis i.S.v. § 96 SGB III beruhen.

Coronavirus-Fälle als unabwendbares Ereignis gemäß § 96 SGB III

In der Vergangenheit haben die Sozialgerichte (insb. BSG 1.12.2014 – B 11 AL 3/14 R) Erkrankungen häufig nicht als unabwendbares Ereignis akzeptiert und Einschränkungen aufgrund einer Erkrankung des Betriebsinhabers nicht als Grund für die Gewährung von Kurzarbeitergeld gewertet: Es verwirkliche sich lediglich ein übliches, innerbetriebliches Risiko. Auch nach der allgemeinen Definition des unabwendbaren Ereignisses – jedes objektiv feststellbare Geschehen, das selbst durch äußerste, nach den Umständen des Falls gebotene Sorgfalt nicht abzuwenden ist – wäre bei vielen Betriebseinschränkungen aufgrund des Coronavirus kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld gegeben: Bei Unterbrechungen der Lieferketten würde sich, wie auch in der zivilrechtlichen Wertung, die Frage stellen, ob nicht eine Ersatzbeschaffung zu höheren Preisen möglich ist oder vergangenheitsbezogen eine Bevorratung erforderlich gewesen wäre.

Allerdings entsprechen die typischen Fälle des unabwendbaren Ereignisses – notstandsähnliche Situationen bzw. höhere Gewalt – den Folgen der Corona-Erkrankungen. Erste Pressemitteilungen der für die Gewährung von Kurzarbeitergeld zuständigen Arbeitsagentur deuten daher auch an, dass diese grundsätzlich bereit sind, bei Betriebseinschränkungen aufgrund des Coronavirus durch Gewährung von Kurzarbeitergeld zu helfen

Bereits am 6.2.2020 hat die Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit folgendes klargestellt:

„Ein auf Grund oder in Folge des Corona-Virus und/oder der damit verbundenen Sicherheitsmaßnahmen eingetretener Arbeitsausfall beruht im Regelfall auf einem unabwendbaren Ereignis oder auf wirtschaftlichen Gründen im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 1 SGB III. Ein Ausgleich des Arbeitsausfalls mit Hilfe des konjunkturellen Kurzarbeitergeldes ist damit grundsätzlich möglich.“

Dies wurde am 28.2.2020 von der Bundesagentur für Arbeit in einer weiteren Pressemitteilung noch einmal bestätigt:

„Wenn Unternehmen aufgrund der weltweiten Krankheitsfälle durch das Corona-Virus Kurzarbeit anordnen und es dadurch zu Entgeltausfällen kommt, können betroffene Beschäftigte Kurzarbeitergeld erhalten. Diese Leistung muss vom Arbeitgeber beantragt werden.

Voraussetzung für den Bezug von Kurzarbeitergeld ist, dass die üblichen Arbeitszeiten vorrübergehend wesentlich verringert sind.

Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn aufgrund des Corona-Virus Lieferungen ausbleiben und dadurch die Arbeitszeit verringert werden muss oder staatliche Schutzmaßnahmen dafür sorgen, dass der Betrieb vorrübergehend geschlossen wird.“

Damit deutet sich an, dass die Frage der Vermeidbarkeit bei Störungen der Lieferketten von den Arbeitsagenturen offensichtlich nicht allzu streng geprüft werden wird; der ausdrückliche Hinweis in der Pressemitteilung vom 28.2.2020 auf staatliche Schutzmaßnahmen zeigt, dass die wirtschaftlichen Folgen solcher betriebsbezogener Maßnahmen (auch) über das Kurzarbeitergeld aufgefangen werden sollen.

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld bei staatlichen Schutzmaßnahmen liegen nicht nur die Schließung von Produktionsbetrieben vor, sondern auch in Fällen, die den Publikumsverkehr betreffen wie die Schließung von Ladengeschäften oder privater Schulen. Grundsätzlich ist auch davon auszugehen, dass Unternehmen, die von staatlichen Schutzmaßnahmen lediglich mittelbar betroffen sind, Anspruch auf Gewährung von Kurzarbeitergeld haben – zu denken wäre etwa an Hotelbetriebe oder Messebauunternehmen im Fall der Absage von Messen aufgrund staatlicher Schutzmaßnahmen.

Gleiches sollte rechtlich gelten, wenn solche Absagen nicht aufgrund staatlicher Schutzmaßnahmen erfolgen, sondern aufgrund der freien Entscheidung eines Dritten. Zu denken wäre etwa an die nicht staatlich angeordnete Absage eines Kongresses, da der Veranstalter mit einem Einbruch der Teilnehmerzahlen aus Angst vor Infektionen rechnet. Jedenfalls die mittelbar betroffenen Unternehmer wie Hotels oder Veranstaltungsagenturen werden von einem unabwendbaren Ereignis betroffen. Das kann sogar für den absagenden Veranstalter selbst gelten, wenn dieser lediglich auf die Stornierungen von Teilnehmern reagiert.

Zumindest nach den bisherigen Ansichten zum Kurzarbeitergeld nicht mehr gedeckt wäre dagegen der Fall, dass ein Unternehmen aus freier Entscheidung zur Risikominimierung beschließt, den Betrieb vorübergehend einzustellen. In diesem Falle läge wäre die Betriebseinschränkung durch die Corona-Erkrankungen nicht mehr ursächlich begründet.

Was muss der Arbeitgeber tun, um Kurzarbeitergeld zu erlangen?

Die Gewährung von Kurzarbeitergeld kann nicht einfach nachträglich beantragt werden. Vielmehr ist der Arbeitsausfall bei der Arbeitsagentur unverzüglich gemäß § 99 SGB III anzuzeigen und die Gewährung von Kurzarbeitergeld zu beantragen; die Arbeitsagentur berät den Arbeitgeber und erlässt einen Bescheid gemäß § 99 Abs. 3 SGB III darüber, ob ein erheblicher Arbeitsausfall vorliegt und ob die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Insoweit gelten die allgemeinen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld. Der Arbeitgeber muss grundsätzlich alle Maßnahmen zur Vermeidung des Arbeitsausfalls ergreifen. Hierzu gehört ggf. auch die Gewährung von Urlaub nach den gesetzlichen Regeln oder die Nutzung von im Betrieb zulässigen Arbeitszeitschwankungen, etwa die Auflösung von Arbeitszeitguthaben. Hier wird sich zeigen, wie flexibel die Arbeitsagenturen bei diesen Fragen sind.

Der Arbeitgeber kann im Regelfall nicht einseitig Kurzarbeit anordnen. Die Absenkung der betrieblichen Arbeitszeit, die zum Arbeitsausfall und damit zum Anspruch auf Gewährung von Kurzarbeitergeld führt, bedarf einer Grundlage in einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung  oder einzelvertraglicher Vereinbarungen. Wenn im Betrieb ein Betriebsrat vorhanden ist, unterliegt die Kurzarbeit zwingend dessen Mitbestimmung (§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG).

Es empfiehlt sich, mit dem Betriebsrat schon im Vorfeld möglicher Einschränkungen abzuklären, ob und wie im Betrieb Kurzarbeit wegen des Coronavirus eingeführt werden kann und muss.

Höhe der Leistungen aus dem Kurzarbeitergeld

Die Gewährung von Kurzarbeitergeld führt nicht zu einer vollständigen Entlastung des Arbeitgebers. Dieser bleibt zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge auf das gesamte Entgelt weiterhin verpflichtet. Das Kurzarbeitergeld gleicht auch nicht den gesamten Entgeltausfall des Arbeitnehmers aus, sondern lediglich 60 % der Nettoentgeltdifferenz bzw. bei einem erhöhten Leistungssatz nach den Vorschriften über das Arbeitslosengeld 67 %. Inwieweit der Arbeitgeber gegebenenfalls verpflichtet ist, dieses Kurzarbeitergeld noch für den Arbeitnehmer aufzustocken, hängt von der Vereinbarung mit dem Betriebsrat unter dem Arbeitnehmer über die Verringerung der Arbeitszeit ab.

Verhältnis zu § 56 Infektionsschutzgesetz (IfSG)    

Die Leistungen aus dem Kurzarbeitergeld bleiben hinter denen aus § 56 IfSG (vergleiche hierzu den Artikel zur Entgeltfortzahlung bei Corona) zurück. Auch ist das Verfahren aufgrund der im Regelfall erforderlichen Beteiligung des Betriebsrats bzw. des Erfordernisses einer Einigung mit den Arbeitnehmern deutlich komplexer. In allen Fällen, in denen Ansprüche aus § 56 IfSG gegeben sind, sind diese daher weitaus besser. Dies gilt insbesondere, wenn Arbeitnehmer als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige, Krankheitsverdächtige oder sonstiger Träger von Krankheitserregern sie persönlich betreffenden Einschränkungen unterliegen.

Keine Ansprüche nach § 56 IfSG bestehen dagegen bei Betriebseinschränkungen, die nicht auf staatliche Maßnahmen nach dem IfSG beruhen; sehr zweifelhaft sind solche Ansprüche bei einer bloß mittelbaren Betroffenheit des Betriebes von solchen Schutzmaßnahmen. In beiden Fällen sollte der Arbeitgeber Kurzarbeit einführen.

Im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt ist, welche Ansprüche sich bei einer Inanspruchnahme des Arbeitgebers etwa bei einer Betriebsstilllegung ergeben. Hier spricht aus unserer Sicht viel dafür, dass, wenn solche Maßnahmen überhaupt unter engen Voraussetzungen zulässig sind, die Entschädigungspflicht nach § 56 IfSG eingreift. Allerdings kann die Pressemitteilung der Bundesagentur vom 28.2.2020, die als Grund für die Gewährung von Kurzarbeitergeld ausdrücklich auch „staatliche Schutzmaßnahmen“ nennt, darauf hindeuten, dass die zuständigen Behörden die Entschädigungspflicht nach § 56 IfSG eher eng auslegen könnten.

Im Hinblick hierauf sollte in allen Fällen, in denen sich aus dem Gesetzestext nicht sicher Ansprüche aus § 56 IfSG ergeben, geprüft werden, ob es sinnvoll ist, vorsorglich jedenfalls die Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld zu schaffen. Weitergehende Ansprüche nach § 56 IfSG werden hierdurch, wie § 56 Abs. 9 IfSG zeigt, nicht ausgeschlossen.

Ausblick

Die Wirtschaftskrise 2008/2009 wurde in Deutschland erfolgreich mit Kurzarbeitergeld aufgefangen. Hierbei zeigten die Arbeitsagenturen eine erhebliche Flexibilität und eine hohe Kooperationsbereitschaft. Die vorliegenden Pressemitteilungen deuten darauf hin, dass die Arbeitsagenturen die Arbeitgeber auch bei den Corona-Fällen aktiv bei der Abmilderung der Folgen unterstützen werden.

Sache der Arbeitgeber ist es, durch Abschluss der entsprechenden innerbetrieblichen Vereinbarungen (Betriebsrat gem. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG) und rechtzeitige Information und Antragstellung der Arbeitsagenturen die Voraussetzungen zu schaffen.

Dr. Detlef Grimm                                   Dr. Martin Brock

RA FAArbR Dr. Detlef Grimm ist Partner bei Loschelder Rechtsanwälte, Köln. Er gehört zum festen Autorenteam des Arbeits-Rechtsberaters und ist Mitautor des Arbeitsrecht Handbuchs (Hrsg. Tschöpe) sowie des Handbuchs Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst (Hrsg. Groeger).

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