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ArbRB-Blog

Mittelbare Drittwirkung der Whistleblower-Richtlinie nach Ablauf der Umsetzungsfrist?

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Ein Beitrag von RA Prof. Dr. Martin Reufels, LL.M. und Ass. iur. Christina Gruber

Wie eine ganze Reihe anderer Mitgliedstaaten der EU hat Deutschland die Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie in nationales Recht nicht mehr rechtzeitig vorgenommen. Das deutsche Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz hatte zwar 2020 für das sog. „Hinweisgeberschutzgesetz“ einen Referentenentwurf vorgelegt, dieser wurde aber vom Bundestag vor Ablauf der Legislaturperiode im September 2021 nicht mehr verabschiedet. Streitpunkt war zuletzt noch insbesondere der sachliche Anwendungsbereich des künftigen Gesetzes, d.h. ob man bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht über das EU-rechtlich vorgegebene Maß hinausgehen sollte. Dies betrifft insbesondere die Frage, bei welchen Meldungen – nur bei Verstößen gegen Unionsrecht oder darüber hinaus auch bei nationalen Rechtsverstößen – Hinweisgeber nach dem Gesetz geschützt sein sollten. Zwar geht aus dem Koalitionsvertrag von SPD, FDP und BÃœNDNIS 90 / DIE GRÃœNEN hervor, dass diese einen weiten Anwendungsbereich und somit eine „überschießende Umsetzung“ anstreben. Gleichwohl dürfte sich die Verabschiedung des neuen Gesetzes durch den Bundestag wohl noch zumindest bis Mitte des Jahres 2022 verzögern.
Die Mitgliedstaaten der EU mussten die Richtlinie bis spätestens zum 17. Dezember 2021 in nationales Recht umsetzen. Da die Frist abgelaufen ist, stellt sich nun die Frage, ob Unternehmen in Deutschland bereits jetzt schon an die Regelungen der Whistleblower-Richtlinie gebunden sind.

Keine unmittelbare Drittwirkung der Richtlinie
Grundsätzlich sind Richtlinien an die Mitgliedsstaaten gerichtet mit der Maßgabe, den Inhalt der Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Ausnahmsweise können sich Bürger aber schon vor einer Umsetzung durch den Mitgliedstaat unmittelbar auf eine Richtlinie berufen, nämlich dann, wenn der Mitgliedstaat die Richtlinie nicht oder nicht rechtzeitig umsetzt. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Richtlinie ein subjektiv-öffentliches Recht, also einen Anspruch des Bürgers gegen den Staat gewährt (sog. vertikale unmittelbare Drittwirkung). Eine horizontale Drittwirkung zwischen Privaten wird allerdings überwiegend abgelehnt. Die Whistleblower-Richtlinie statuiert Verpflichtungen von Arbeitgebern, weswegen eine unmittelbare Drittwirkung ausscheidet, sich also Arbeitnehmer nicht ihrem Arbeitgeber gegenüber auf die Richtlinie berufen können.

Mittelbare Wirkung der Richtlinie
Die Richtlinie vermag jedoch bereits mittelbare Wirkung zu entfalten, aufgrund derer es Unternehmen gleichwohl anzuraten ist, schon jetzt gewisse Anpassungen vorzunehmen.

Die mittelbare Wirkung der Richtlinie fußt auf dem Umstand, dass die nationalen Rechtsprechungsorgane aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts schon vor Umsetzung einer Richtlinie jedenfalls nach Ablauf der Umsetzungsfrist dazu verpflichtet sind, das nationale Recht so auszulegen, dass es – soweit möglich – mit dem Wortlaut und den Zielen der konkreten Richtlinie übereinstimmt (richtlinienkonforme Auslegung). Die Grenze zur Pflicht der richtlinienkonformen Auslegung bilden der Wortlaut des nationalen Rechts sowie die gängigen Auslegungsregeln.

Insofern ist denkbar, dass die Beweislastumkehr nach Art. 21 Abs. 5 der Whistleblower-Richtlinie schon vor der Umsetzung in nationales Recht Berücksichtigung finden wird. Nach Art. 19 ff. der Whistleblower-Richtlinie ist es Arbeitgebern untersagt, gegenüber Whistleblowern wegen einer Meldung arbeitsrechtlich nachteilige Maßnahmen auszusprechen. Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie beinhaltet eine Beweislastregelung, um Hinweisgebern in prozessualer Hinsicht die Durchsetzung ihrer Rechte zu erleichtern. Demnach wird, wenn ein Hinweisgeber in einem Arbeitsgerichtsprozess behauptet, Grund für die arbeitsrechtliche Maßnahme sei seine vorherige Meldung gewesen, vermutet, dass diese Maßnahme tatsächlich eine Maßregelung für die vorherige Meldung war. Es obliegt dann dem Unternehmen zu beweisen, dass die Maßnahme keine nach der Richtlinie unzulässige Repressalie darstellt, sondern auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basiert. Arbeitsgerichte könnten diese Grundsätze bereits jetzt zur Anwendung bringen.

Auch wenn das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz noch auf sich warten lässt, ist es Unternehmen im Übrigen anzuraten, sich auf die Einrichtung der künftig zu implementierenden internen Hinweisgebersysteme vorzubereiten.

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Hinweis der Redaktion: Zur Vertiefung empfohlen sei der Beitrag „Die neue Whistleblowing-Richtlinie der EU – Regelungsinhalte und Aufgaben für den deutschen Gesetzgeber“ von Dr. Detlef Grimm und Dr. Jonas Singraven in ArbRB 2019, 241, auch abrufbar im Rahmen eines Gratis-Tests des Aktionsmoduls Arbeitsrecht.

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