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ArbRB-Blog

Keine Kündigung des katholischen Chefarztes nach dessen Wiederheirat – EuGH und BAG versus BVerfG?

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Das BVerfG hatte mit Beschluss vom 22.10.2014 (2 BvR 661/12, ArbRB 2014, 359) das Urteil des BAG vom 08.09.2011 (2 AZR 543/10, ArbRB 2012, 72), mit dem dieses die  Kündigung eines katholischen Chefarztes aus Düsseldorf nach dessen Wiederverheiratung als unwirksam angesehen hatte, als verfassungswidrig beanstandet und das Urteil des BAG aufgehoben. Nun hat der Generalanwalt Wathelet in seinen Schlussanträgen vom 31.05.2018 (EuGH Rs. C-68/17 – IR/JQ) zum Vorlagebeschluss des BAG (v. 28.07.2016 – 2 AZR 746/14 (A), ArbRB 2017, 67) die von dem in Besitz der katholischen Kirche (Caritas) stehenden Krankenhaus in der Rechtsform GmbH wegen der Wiederverheiratung des geschiedenen Chefarztes ausgesprochene Kündigung als Verstoß gegen die Gleichbehandlungs-RL 2000/78/EG (umgesetzt in den 8, 9 AGG) angesehen.

Das ist ein klarer Punktsieg für das BAG in dessen Auseinandersetzung mit dem BVerfG. Das BAG hatte schon § 9 AGG bzw. die RL 2000/78/EG problematisiert und seinem Urteil von 2011 das Privatleben des Chefarztes auch unter gründlicher Beachtung der nach dem katholischen Arbeitsrecht bestehenden Sonderkündigungsrechte als vorrangig angesehen. Es hatte daher die Kündigung, die wegen eines Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 4 Abs. 1. der sog. Grundordnung vom 22.09.1993 (Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse, dazu Dütz, NJW 1994, 1369) ausgesprochen worden war, als unwirksam angesehen.

Das BVerfG war dem auf die Verfassungsbeschwerde des beklagten Krankenhauses entgegengetreten und hatte in seinem Beschluss aus dem Jahr 2014 in einer – wie ich finde – recht tradierten Weiterführung der bisherigen Rechtsprechung zu den besonderen Regelungen des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung herausgestellt, dass bei der Auslegung der geltenden Gesetze – also auch des KSchG – durch die staatlichen Gerichte die korporative Religionsfreiheit vorbehaltlos gewährleistet ist und insofern das Selbstbestimmungsrecht und das Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften in einem „umfassenden Sinn“ (so Greiner, jM 2018, 233) besonderes Gewicht hat.

Dabei erfasst nach Ansicht des BVerfG das kirchliche Selbstbestimmungsrecht als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit durch Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirchlichen Grundauftrag dienen. Das BVerfG hatte dieses Grundrecht durch das Urteil des BAG vom 08.09.2011 als verletzt angesehen, weil das BAG dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht der Caritas nicht in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang berücksichtigt hatte. Der Kläger habe gegen die Grundordnung, die in § 10 Abs. 4 Ziffer 2 des Arbeitsvertrages ausdrücklich in Bezug auf das Leben in kirchlich ungültiger Ehe einbezogen gewesen sei, durch das Leben in seiner kirchlich ungültigen Ehe verstoßen. Dieser Loyalitätsverstoß sei gem. Art. 5 Abs. 2 der Grundordnung auch mit einer Kündigung sanktionierbar, was beim Kläger als Chefarzt und leitendem Mitarbeiter eine in der Interessenabwägung naheliegende Sanktion sei.

Mit dieser doch recht rigiden Auffassung hatte das BVerfG seine bisherige Rechtsprechung „zementiert“. Dabei war es über tatbestandliche Besonderheiten hinweggegangen: Einmal waren zwei andere katholische Chefärzte in der Klinik in zweiter Ehe – also in kirchlich ungültiger Ehe – verheiratet gewesen. Zum anderen war im Fall des konkret gekündigten Chefarztes das Zusammenleben mit der späteren zweiten Ehefrau (also die aus der katholischen Sicht „wilde Ehe“) zunächst über mindestens zwei Jahre toleriert worden. Auch besteht eine eklatante Ungleichheit zu bei der Beklagten Caritas beschäftigten evangelischen Chefärzten, bei denen ein derartiger Verstoß gegen die Grundordnung gar nicht denkbar war.

Nach Ansicht von Generalanwalt Wathelet steht das Verbot der Diskriminierung wegen der Religion dem entgegen, dass ein katholischer Chefarzt eines katholischen Krankenhauses aufgrund seiner Scheidung und danach erfolgenden Wiederheirat gekündigt wird. Dies hat er in seinen Schlussanträgen auf den Vorlagebeschluss des BAG vom 28.07.2016 (2 ARZ 764/15 (A),  ArbRB 2017, 67) am 31.05.2018 in der Rechtssache EuGH C-68/17 – IR/JQ (Pressemitteilung Nr. 73/18 des EuGH vom 31.05.2018) begründet.

Er führt dazu im Ausgangspunkt aus, wenn nicht das deutsche Verfassungsrecht den Kirchen eine Sonderstellung gäbe, wäre die Kündigung schon als unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion offenkundig rechtswidrig.

Da aber diese Sonderstellung besteht, prüft der Generalanwalt in Übereinstimmung mit § 9 AGG bzw. Art. 4 Abs. 1 bzw. Art. 4 Abs. 4 RL 2000/78 EG (Abs. 2 regelt die beruflichen Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und deren Organisationen), ob sich die Religion oder Weltanschauung einer Person nach der Art der Tätigkeit oder der Umstände der Ausübung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung darstelle. Im vorliegenden Fall sei die fragliche Anforderung – Anerkennung der katholischen Kirche und Ausschluss einer zweiten Eheschließung – die Zustimmung zu einer Überzeugung der katholischen Kirche, nämlich dem Eheverständnis im Sinne des kanonischen Rechts der katholischen Kirche, was konkret die Beachtung der religiösen Form der Ehe und des unauflöslichen Charakters des Ehebandes einschließe.

Das stelle offenkundig – so wörtlich der Generalanwalt – keine berufliche Anforderung und erst recht keine wesentliche und gerechtfertigte berufliche Anforderung dar. Dies werde auch schon dadurch bewiesen, dass auch Nichtkatholiken in Stellen mit medizinischer Verantwortung eingestellt worden seien und diese Stellen ausüben würden, auch als Chefarzt und Abteilungsleiter (hier Innere Medizin). Es fehle auch jede mögliche Verbindung zu Verwaltungsaufgaben einerseits und dem Privat- und Familienleben des gekündigten Chefarztes. Es handele sich schon nicht um eine echte berufliche Anforderung und erst recht nicht um eine wesentliche berufliche Anforderung, weil auch ein diese „katholische“ Ehe nicht beachtender Arzt seine berufliche Tätigkeit ausüben könnte, was ja auch Angehörige der evangelischen Kirche tun würden. Die Anforderung sei aus den gleichen Gründen auch nicht gerechtfertigt, man habe im Ãœbrigen noch nicht einmal verhältnismäßig reagiert, indem man den Kläger als Chefarzt von seinen Aufgaben entbinde, bevor man ihn direkt endgültig im Sinne der Beendigungskündigung kündigen würde.

Interessant sind die Bemerkungen zu den Rechtsfolgen: Hier wird dem BAG erst einmal aufgegeben, § 9 AGG in Einklang mit der Richtlinie – richtlinienkonform – auszulegen. Dabei weist der Generalanwalt auch auf den – nach Kündigung des Chefarztes in Kraft getretenen – Art. 47 der Grundrechte-Charta der EU hin, der Diskriminierungen wegen der Religion und Weltanschauung verbietet. Sollte das KSchG bzw. § 9 AGG nicht in einer Art. 4 Abs.2 RL 2000/78/EG entsprechenden Art und Weise ausgelegt werden, müsse das BAG, um für die Wirksamkeit des Diskriminierungsverbotes wegen der Religion zu sorgen, die entgegenstehenden nationalen Vorschriften unangewendet lassen.

Das bedeutet im Klartext, dass das BAG sich mit Rückendeckung des EuGH gegen das BVerfG stellen könnte, vorausgesetzt natürlich, der EuGH folgt den Schlussanträgen des Generalanwalts Wathelet. Anderes erwarte ich nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Eggenberger (v. 17.04.2018, Rs. C-414/16, ArbRB 2018, 131, dazu sehr kritisch Greiner in jM 2018, 233, 235, nach dem der EuGH „Ultra-Vires“ gehandelt haben könnte) aber nicht, insbesondere nicht bei Berücksichtigung der Rz. 62 bis 68.

Anzumerken ist noch – und deshalb wundert man sich, warum der Rechtsstreit so hochgetrieben worden ist –, dass die aus dem Jahre 1993 stammende Grundordnung durch die Deutsche Bischofskonferenz 2015 liberalisiert worden ist. Eine Kündigung kommt wegen des unzulässigen Abschlusses einer zweiten Ehe danach nur noch dann in Betracht, wenn diese Ehe  objektiv geeignet ist, „ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis zu erregen und die Glaubwürdigkeit in der Kirche zu beeinträchtigen“ (so Art. 5 Abs. 2 Ziffer 2 lit. c der Grundordnung 2015 des kirchlichen Dienstes). Heute könnte dem Chefarzt „JQ“ damit nicht mehr gekündigt werden.

Nun wird man abwarten dürfen, wie sich das BAG im europäischen Mehrebenensystem BAG – BVerfG – EuGH nach der Rückenstärkung durch den EuGH positionieren wird.

RA FAArbR Dr. Detlef Grimm ist Partner bei Loschelder Rechtsanwälte, Köln. Er gehört zum festen Autorenteam des Arbeits-Rechtsberaters und ist Mitautor des Arbeitsrecht Handbuchs (Hrsg. Tschöpe) sowie des Handbuchs Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst (Hrsg. Groeger).

2 Kommentare

  1. Veröffentlicht 3.6.2018 um 07:57 | Permalink

    Man kann nur hoffen, dass der EuGH den Schlussanträgen nicht blindlings folgt, sondern einige Gesichtspunkte insbesondere aus seinem Urteil vom 17.4.2018 stärker akzentuiert, auch wenn letztlich weder vom Generalanwalt noch vom EuGH eine Entscheidung des Falles erwartet werden kann. Diese Aufgabe fällt dem BAG, möglicherweise aber nicht allein dem BAG, zu.

    Die Frage, ob die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche angesichts des Ethos der katholischen Kirche eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung an einen Chefarzt darstellt (nein), ist von der Frage, welche Anforderungen das Recht der katholischen Kirche an einen ihr angehörenden Chefarzt stellt, zu unterscheiden. Das hat das BAG erkannt und deswegen in erster Linie den EuGH gefragt, ob Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass die katholische Kirche verbindlich bestimmen kann, bei einem an Arbeitnehmer in leitender Stellung gerichteten Verlangen nach loyalem und aufrichtigem Verhalten zwischen Arbeitnehmern zu unterscheiden, die der Kirche angehören, und solchen, die einer anderen oder keiner Kirche angehören. Der Generalanwalt meint jedoch, dass diese Frage untrennbar mit dem zweiten Teil der zweiten Vorlagefrage verbunden sei, mit dem sich das BAG nach den Voraussetzungen erkundigt hat, die ein Erfordernis eines loyalen und aufrichtigen Verhaltens nach Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2000/78 erfüllen muss. Der wesentliche und entscheidende Unterschied besteht aber darin, dass die Ehe nach katholischem Ethos ein Sakrament ist (Can. 1055 — § 1. Der Ehebund, durch den Mann und Frau unter sich die Gemeinschaft des ganzen Lebens begründen, welche durch ihre natürliche Eigenart auf das Wohl der Ehegatten und auf die Zeugung und die Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet ist, wurde zwischen Getauften von Christus dem Herrn zur Würde eines Sakramentes erhoben. § 2. Deshalb kann es zwischen Getauften keinen gültigen Ehevertrag geben, ohne dass er zugleich Sakrament ist. Can. 1056 — Die Wesenseigenschaften der Ehe sind die Einheit und die Unauflöslichkeit, die in der christlichen Ehe im Hinblick auf das Sakrament eine besondere Festigkeit erlangen.), was sie nach evangelischem Verständnis jedoch nicht ist.

    Vor diesem Hintergrund hätte der Generalanwalt nicht zwei völlig unterschiedliche Fragen undifferenziert zu einer „untrennbaren“ zusammenfassen dürfen. Diese „holzschnittartige“ Herangehensweise an eine entscheidenden Stelle verkennt nicht nur diese Glaubenslehre der katholischen Kirche (die man nicht teilen muss, die aber der EuGH gemäß seinem Urteil vom 17.4.2018 zugrunde legen würde), sondern nimmt die Fragen des BAG im Vorlagebeschluss auf die allzu „leichte Schulter“.

    Würde der EuGH dem Generalanwalt folgen, brächte dies das BAG in eine prekäre Lage, weil das BVerfG aufgrund Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV anders akzentuieren muss – und dies im Hinblick auf Art. 17 Abs. 1 AEUV auch kann.

    Gerade wegen der Änderung der Grundordnung nach der Kündigung des Chefarztes drängt es sich geradezu auf, dass das BAG nach einer Entscheidung des EuGH von der vom BVerfG bereits in seinem Beschluss vom 4.6.1985 aufgezeigten Obliegenheit bzw. Verpflichtung Gebrauch macht und die zuständigen kirchlichen Behörden befragt (BVerfG vom 4.6.1985 – BVerfGE 70, 138, 168; dazu Richardi in: Groeger, Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst, 2. Auflage 2014, Teil 14 Rd. 219).

    RA FAArbR Axel Groeger, Bonn

  2. Veröffentlicht 4.6.2018 um 10:12 | Permalink

    Ich sehe es wie Sie, lieber Herr Groeger, dass ein Konflikt zwischen BVerfG und EuGH auftreten kann, wenn der EuGH und dann das BAG dieser Auffassung folgt. Man darf darüber spekulieren, ob die damit verbundene Klärung zum Verhältnis von Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV zu der RL 2000/78/EG bzw. § 9 AGG ein (Fern-)Ziel der Verfassungsbeschwerde war. Jacobs (S. 10 seines Vortrages, zu finden auf der Homepage des BAG) hat auf dem Europarechtlichen Symposium des BAG am 20.4.2018 zu Recht (S. 10 seines Vortrages, zu finden auf der Homepage de BAG) ausgeführt: „Die ausstehende Entscheidung hat jedenfalls das Potential, das bisherige nationale Verfassungsverständnis zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen zumindest in ihren privatrechtlich organisierten Institutionen grundlegend zu verändern.“

    Auch wenn man wie das BVerfG das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen sehr stark betont, folgt daraus nicht, dass eine nach kirchlichem Verständnis schwere Loyalitätsverletzung eine Kündigung nach staatlichem Recht (§ 1 KSchG, § 626 BGB) automatisch bzw. „absolut“ begründen kann (so zu Recht ErfK-Schmidt, 18. Aufl. 2018, Art. 4 GG, Rz. 45 unter Hinweis auf Fischermeier, RdA 2014, 257).

    Soweit es die ärztliche Tätigkeit betrifft, halte ich es mit dem Bonmot Jobst-Hubertus Bauers auf dem Europarechtlichen Symposium des BAG am 20.4.2018 (zitiert nach Greiner, jM 2018, 233, 238), wonach es beim ärztlichen Personal (auch) in einem kirchlichen Krankenhaus per se nicht mehr auf die Konfessionszugehörigkeit ankommen könne, weil es dessen Aufgabe sei zu heilen und nicht zu beten. Das kann man m.E. auf die Frage der Wiederverheiratung übertragen.

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