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Wenn einer eine Reise tut…

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…  dann kann er was erzählen.

Eine Behörde schreibt diskriminierungsfrei eine Stelle für den Boten- und Pfortendienst öffentlich aus. Vorgesehen ist eine Vergütung nach der Entgeltgruppe 3 TV-L, also handelt es sich um eine Tätigkeit, für die nicht mehr als eine eingehende Einarbeitung bzw. eine fachliche Anlernung erforderlich ist, die über eine Einarbeitung im Sinne der Entgeltgruppe 2 hinausgeht. Unter den über 500 Bewerbungen befinden sich knapp 70 von schwerbehinderten Menschen. Da die Ausschreibung keine Kriterien für eine fachliche Eignung enthält, weil für die Tätigkeit auch objektiv keine nennenswerten fachlichen Voraussetzungen mitgebracht werden müssen, sind im Prinzip alle Bewerber als fachlich geeignet anzusehen. Kenner ahnen schon, wo die Reise hingeht.

Die Behörde entschließt sich zu einer Vorauswahl und sortiert die Bewerbungen aus, die offensichtlich unvollständig sind. Von den danach übrig bleibenden Bewerbungen werden einige zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Sämtliche der schwerbehinderten Bewerber, die eine vollständige Bewerbung eingereicht haben (39), werden zu einem Gespräch eingeladen. Einer  der schwerbehinderten Bewerber, der nicht eingeladen wurde, weil seine Bewerbungsunterlagen nicht vollständig waren, macht geltend, dass er wegen seiner Behinderung diskriminiert worden sei. Er verweist darauf, dass sämtliche schwerbehinderten Bewerber nach § 82 S. 2 SGB IX, also auch er, zu einem Vorstellungsgespräch hätten eingeladen werden müssen und nach S. 2 dieser Vorschrift eine Einladung nur dann entbehrlich ist, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Fraglich ist, ob auch in diesem konkreten Zusammenhang die unterbliebene Einladung ein Indiz im Sinne von § 22 AGG ist, dass die nicht eingeladenen schwerbehinderten Bewerber wegen ihrer Behinderung nicht eingeladen worden sind oder ob der Behörde der schwer zu erbringende Beweis gelingt, dass sie ausschließlich aus anderen Gründen nicht eingeladen wurden.

Wie wäre der Fall wohl zu beurteilen, wenn eine nach der niedrigsten Entgeltgruppe 1 TV-L zu bewertende Tätigkeit ausgeschrieben worden wäre und von 500 Bewerbungen jeweils 250 auf schwerbehinderte und nicht schwerbehinderte Menschen entfielen und 240 schwerbehinderte Bewerber sowie nur ein einziger nicht schwerbehinderter Bewerber zu Vorstellungsgesprächen eingeladen worden wären, weil die Behörde der Ansicht war, dass 241 Bewerbungsgespräche für eine Stelle, auf der einfachste Tätigkeiten zu verrichten sind, gut genug seien. Hätten dann die 10 nicht eingeladenen schwerbehinderten Bewerber, die nur deswegen nicht eingeladen wurden, weil ihre Bewerbungsunterlagen offensichtlich unvollständig waren,  eine realistische Chance eine Entschädigung wegen Diskriminierung zu erhalten bzw. hätte der öffentliche Arbeitgeber eine realistische Chance, sich hiergegen erfolgreich zu verteidigen?

Der Fall ist in erster Instanz anhängig und wurde auf der Fahrt zu einem Termin en passant berichtet. Was der Vertreterin der Behörde empfohlen wurde, fällt unter die anwaltliche Schweigepflicht. Dass der Autor den Fall gerne in der Berufungsinstanz übernehmen würde, ist ein offenes Geheimnis.

RA FAArbR Axel Groeger, Bonn
www.redeker.de

RA FAArbR Axel Groeger ist Partner bei Redeker Sellner Dahs, Bonn. Er gehört zum festen Autorenteam des Arbeits-Rechtsberaters und ist Herausgeber des Handbuchs Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst.

Ein Kommentar

  1. Veröffentlicht 28.11.2015 um 17:21 | Permalink

    Hierzu passt das Urteil LAG Schleswig-Holstein v. 9.9.2015 – Az. 3 Sa 36/15. Auch der im (Vor-)Auswahltest durchgefallene Bewerber muss danach eingeladen werden. Die vom Sozialstaatsprinzip gebotenen Maßnahmen der §§ 81, 82 SGB IX dürfen m.E. nicht Grundlage einer Entschädigungsindustrie werden, sonst droht Gefahr, dass der Schutz schwerbehinderter Menschen politisch unter Druck gerät. Entweder ist an dieser Stelle entweder das SGB IX oder dessen Auslegung zu weit.

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