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Darlegungslast bei alkoholbedingter Arbeitsunfähigkeit – ArbG Köln stellt BAG in Frage

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Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer, der durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, nur dann Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber für die Dauer von bis zu sechs Wochen, wenn ihn kein Verschulden trifft.

Alkoholabhängigkeit ist eine Krankheit im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts. Maßgebend für die Beurteilung, ob den Arbeitnehmer an der krankhaften Alkoholabhängigkeit ein Verschulden trifft, ist sein Verhalten vor dem Zeitpunkt, in dem die Alkoholabhängigkeit eingetreten ist. Es gibt keinen Erfahrungssatz, wonach eine krankhafte Alkoholabhängigkeit in der Regel selbst verschuldet ist (BAG v. 1.6.1983 – 5 AZR 536/80, NJW 1983, 2659 unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung). Maßgebend ist die Beurteilung im Einzelfall. Der Arbeitnehmer, der Entgeltfortzahlung wegen krankhafter Alkoholabhängigkeit fordert, muß an der Aufklärung aller für die Entstehung des Anspruchs erheblichen Umstände mitwirken. Er muß den Arbeitgeber über die Gründe aufklären, die nach seiner Auffassung zur Krankheit geführt haben. Soweit bei einem Streit über die Ursachen der Erkrankung medizinische Wertungen erforderlich werden, werden die Gerichte in der Regel einen Sachverständigen hinzuziehen müssen. Kann ein Verschulden des Arbeitnehmers nicht festgestellt werden, muß der Arbeitgeber den Lohn fortzahlen.

Der Arbeitnehmer, der eine Entziehungskur durchgemacht hat, kennt die Gefahren des Alkohols für sich sehr genau. Er ist bei der Behandlung eingehend darauf hingewiesen und weiter dringend ermahnt worden, in Zukunft jeden Alkoholgenuß zu vermeiden. Wird der Arbeitnehmer nach erfolgreicher Beendigung einer Entwöhnungskur und weiter nach einer längeren Zeit der Abstinenz dennoch wieder rückfällig, so spricht die Lebenserfahrung dafür, daß er die ihm erteilten dringenden Ratschläge mißachtet und sich wieder dem Alkohol zugewandt hat. Dieses Verhalten wird im allgemeinen den Vorwurf eines „Verschuldens gegen sich selbst“ begründen: der Arbeitnehmer verstößt gröblich gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise und handelt damit schuldhaft im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts.  Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, die Beweisführung des Arbeitgebers zu widerlegen und zunächst im einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen sein Verhalten als nicht schuldhaft anzusehen sei (BAG v. 11.11.1987 – 5 AZR 497/86, NJW 1988, 1546).

Nach Auffassung der 9. Kammer des ArbG Köln kommt es nicht auf die Frage an, ob der Arbeitnehmer seine Alkoholabhängigkeit selbst verschuldet hat oder nicht. Die Frage des Verschuldens eines alkoholabhängigen Arbeitnehmers an seiner Suchterkrankung sei nur dann im Sinne von § 3 Abs. 1 EFZG relevant, wenn es sich zugleich unmittelbar auf die Ursachen der aktuellen Arbeitsunfähigkeit bezieht. Dies wird regelmäßig nicht der Fall sein. Das Verschulden an der „Grunderkrankung“ sei zudem regelmäßig nicht justitiabel, weil die Ursachen einer Alkoholabhängigkeit vielfältig, regelmäßig aus der Privat- oder Intimsphäre des Arbeitnehmers herrührend und nach Verursachungsbeiträgen oftmals kaum zu bestimmen seien. Entsprechend scheint der Kammer die auf diese Ursachen zielende Verschuldensfrage nicht mit einer für die objektive Rechtsfindung notwendigen Eindeutigkeit zu beantworten zu sein (ArbG Köln, Urt. v. 29.5.2013 – 9 Ca 9134/12).

RA FAArbR Axel Groeger, Bonn
www.redeker.de

RA FAArbR Axel Groeger ist Partner bei Redeker Sellner Dahs, Bonn. Er gehört zum festen Autorenteam des Arbeits-Rechtsberaters und ist Herausgeber des Handbuchs Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst.

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