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No right to switch off?

avatar  Dr. Nathalie Oberthür

Das Recht auf Nichterreichbarkeit gewinnt an Bedeutung in einer Welt, in der die digital-mobile Erreichbarkeit von Arbeitnehmern nahezu schrankenlos gewährleistet ist. Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 23.8.2023 (- 5 AZR 349/22 -), das nun im Volltext bereitgestellt wurde, wichtige Aspekte in die Diskussion eingebracht, die indes einer Verallgemeinerung nur sehr begrenzt zugänglich sind.

Der 5. Senat hat eine (sanktionsfähige) arbeitsvertragliche Nebenpflicht von Arbeitnehmern angenommen, Weisungen der Arbeitgeberin zum Arbeitsantritt am folgenden Tag auch in der Freizeit und auf privaten Endgeräten zur Kenntnis zu nehmen. Diese Wertung beruht allerdings auf der konkreten Ausgestaltung der Arbeitszeit durch eine Betriebsvereinbarung: Der Arbeitnehmer war planmäßig zu einem unkonkreten Springerdienst mit einem Arbeitsbeginn zwischen 6.00 und 9.00 Uhr eingeteilt. Eine Konkretisierung dieses Dienstes durch einseitige Anweisung der Arbeitgeberin war bis 20.00 Uhr des Vortages zulässig. Sofern daher das individual- oder kollektivrechtlich ausgestaltete Arbeitszeitregime zulässigerweise eine Ausübung des Direktionsrechts durch Weisungen außerhalb der Arbeitszeit gestattet, sind Arbeitnehmer verpflichtet, diese Weisungen zur Kenntnis zu nehmen. Eine Verpflichtung, auch bei feststehenden Arbeitszeiten während der Freizeit Weisungen zur Kenntnis zu nehmen, geht damit nicht einher.

Der 5. Senat hat weiterhin überprüft, ob die Verpflichtung zur Kenntnisnahme von Weisungen dazu führt, diese Zeit als Arbeitszeit zu werten. Er hat dies (als nicht vorlagebedürftigen acte éclairé) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in der konkreten Situation verneint: Die Verpflichtung des Arbeitnehmers, vor Beginn eines unspezifischen Springerdienstes einmalig eine Weisung zur Kenntnis zu nehmen, stelle keine Einschränkung dar, die seine Möglichkeiten, seine Zeit frei zu gestalten und sich seinen eigenen Interessen zu widmen, ganz erheblich beeinträchtige. Sofern daher eine Rufbereitschaft keine Einschränkungen beinhaltet, die die gesamte Zeit als Arbeitszeit erscheinen lassen, ist der „Ruf“ zur Arbeit selbst noch keine Arbeitszeit. Ob die Grenze der noch zulässigen Einschränkungen überschritten ist, ist allerdings in jedem Einzelfall zu überprüfen; je enger das Korsett der notwendigen Bereitschaft, desto eher ist Bereitschaftszeit als Arbeitszeit zu werten.

Die Entscheidung liegt damit auf Kurs mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Arbeitszeit. Die weitere Rechtsentwicklung bleibt jedoch abzuwarten. Die Kommission der Europäischen Union hat in ihren „Mitteilungen über eine umfassende Herangehensweise im Bereich der psychischen Gesundheit“ vom 7.6.2023 ihre Absicht bekräftigt, die Sozialpartner in ihren Bemühungen zu unterstützen, eine neue Vereinbarung über Telearbeit und das Recht auf Nichterreichbarkeit auszuhandeln, die in eine verbindliche Richtlinie münden soll. Bis dahin gibt § 3 ArbSchG den Rahmen vor, innerhalb dessen die Arbeitsbedingungen so auszugestalten sind, dass sie auch die Gefahren psychischer Gefährdungen von Arbeitnehmern möglichst wirksam begrenzen.

 


Zur Autorin: RAin FAinArbR Dr. Nathalie Oberthür Dr. Nathalie Oberthür ist Partnerin der Kanzlei RPO Rechtsanwälte Köln und Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im Deutschen Anwaltverein.

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