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ArbRB-Blog

Die „Rider“-Entscheidungen des BAG: „Blaupause“ für die Bewertung neuer Beschäftigungsformen?

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Der Anspruch auf ein bestimmtes Arbeitsmittel

Diensthandy, mehrfach höhenverstellbarer Schreibtisch oder Dienstfahrrad: Ob aufgrund einer Tätigkeit ein konkreter Anspruch auf ein ganz bestimmtes Arbeitsmittel besteht, hängt letztlich von einer Vielzahl von Faktoren ab. In Betracht kommen zudem ganz unterschiedliche Anspruchsgrundlagen.

Anlässlich der Presseerklärung des BAG zur sogenannten „Rider-Entscheidung“ (5 AZR 334/21 vom 10.11.2021) ist dies im Arbeits-Rechtsberater aktuell bereits an anderer Stelle etwas ausführlicher dargestellt worden (Lentz, Der Anspruch auf notwendige Arbeitsmittel: Neue Beschäftigungsformen, neue Antworten?, ArbRB 2022, 93, auch abrufbar im Rahmen eines Gratis-Tests des Aktionsmoduls Arbeitsrecht). In der vorbezeichneten Entscheidung hatte bekanntlich ein Fahrradbote (sog. „Rider“) seinen Arbeitgeber darauf verklagt, ihm für seine Lieferfahrten ein Fahrrad und ein Mobiltelefon zur Verfügung zu stellen, und damit schließlich vor dem BAG Recht bekommen. Der Arbeitsvertrag sah hingegen vor, dass er dazu sein eigenes Fahrrad und sein eigenes Mobiltelefon benutzen sollte.

Aktuelle Tendenzen in der Rechtsprechung des 5. Senats

Da der 5. Senat nunmehr gestern – nach Drucklegung des obigen Beitrags – auch seine Entscheidungsgründe veröffentlicht hat, lohnt im Rahmen des ArbRB-Blog ein ergänzender Blick auf die dortigen Ausführungen. Es macht zudem Sinn, dabei auch die ebenfalls vom 5. Senat kurz zuvor veröffentlichten Entscheidungsgründe zu den zahlreichen Parallelentscheidungen zur Auslegung des TV-L (Vergütung für Wege- und Rüstzeiten) (u.a. 5 AZR 295/20 vom 13.10.2021) in den Blick zu nehmen. Dort hatte derselbe Senat unter anderem darüber zu entscheiden, in welchen Konstellationen die Aufbewahrung einer Dienstwaffe außerhalb der Dienststelle dazu führen kann, dass das damit verbundene An- und Ablegen zuhause vergütungspflichtig ist.

Denn beide Entscheidungskomplexe setzen sich mit Fallkonstellationen auseinander, die – wie viele moderne Beschäftigungsformen – vom ehemals klassischen Tätigkeitsbild abweichen. Sei es, weil die Arbeitsmittel nicht vom Arbeitgeber gestellt werden. Sei es, weil die Tätigkeit nicht in der Betriebsstätte, sondern zuhause erfolgt.

Typische Fragestellungen

Dabei gilt es stets dieselben Fragestellungen in den Blick zu nehmen:

  • Worin genau liegen die vertraglich vereinbarten wechselseitigen Pflichten, wo verbleiben im Rahmen des Direktionsrechts nach § 106 GewO für den Arbeitgeber Gestaltungsspielräume (Beispiel: Einstellung als „Bote“ oder „Fahrradbote“)?
  • Enthält die Vereinbarung Regelungen, die gemessen an den maßgeblichen gesetzlichen Wertungen und der daraus abzuleitenden Benachteiligung des Arbeitnehmers zur Unwirksamkeit gemäß § 307 Abs. 2 BGB (AGB-Kontrolle) führen (Beispiel: mitzubringende Arbeitsmittel)?
  • Ist bei dieser Prüfung ausreichend berücksichtigt, ob diese Benachteiligung nicht ggf. durch anderweitige Regelungen/Wertungen angemessen ausgeglichen sein könnte? (Beispiel: angemessene Pauschalzahlung? Nahezu ausschließliches Eigeninteresse?)

Rückschlüsse

Losgelöst von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls lassen die vorbezeichneten Entscheidungen und ihre Parallelentscheidungen aus meiner Sicht insoweit folgende allgemeine Tendenzen erkennen, die nach meiner Einschätzung bspw. auch für Tätigkeiten im Home-Office gelten dürften:

  • Nach dem gesetzlichen Leitbild des § 611a BGB ist der Arbeitnehmer nur verpflichtet, dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Die essentiell erforderlichen Arbeitsmittel hat der Arbeitgeber bereitzustellen. Essentiell sind die Arbeitsmittel, ohne die die vereinbarte Tätigkeit nicht ausgeübt werden kann (BAG 5 AZR 334/21 vom 10.11.2021, Rz. 29).
  • Der Arbeitgeber ist dafür verantwortlich, weil er die Arbeitsabläufe organisiert und dem Arbeitnehmer die auszuübenden Arbeiten im Wege des Weisungsrechts (§ 106 GewO) zuweist (BAG 5 AZR 334/21 vom 10.11.2021, Rz. 30).
  • Eine etwaige Benachteiligung durch hiervon abweichende Regelungen kann durch anderweitige ausdrücklich im Vertrag enthaltene Regelungen ausgeglichen werden. (BAG 5 AZR 334/21 vom 10.11.2021, Rz. 33)
  • Zwischen der benachteiligenden Regelung und dem zugestandenen Vorteil muss ein sachlicher Zusammenhang bestehen und der anderweitige Vorteil muss auch vom Gewicht her geeignet sein, einen angemessenen Ausgleich zu bieten (BAG 5 AZR 334/21 vom 10.11.2021, Rz. 38)
  • Besteht offensichtlich ein erhebliches Eigeninteresse des Arbeitnehmers an der abweichenden Handhabung und nimmt er insbesondere aufgrund eigener Entscheidung eine angebotene Option nicht war, mag dies eine andere Bewertung rechtfertigen (5 AZR 295/20 vom 13.10.2021 Rz. 20, BAG 5 AZR 334/21 vom 10.11.2021, Rz. 44)

Offene Fragen

Trotz dieser wichtigen Klärungen dürften nach meiner Einschätzung insbesondere zwei Fragestellungen die Gerichte weiterhin beschäftigen.:

  • Welche Gestaltungspielräume bestehen im Hinblick auf die zu vereinbarende Tätigkeit und das Direktionsrecht?
  • Woran bemisst sich, ob ein „angemessener Ausgleich“ vorliegt?

Letzteres vor allem deshalb, weil die Entscheidung keine Ausführungen enthält, ob – und vor allem wie – bspw. die Kosten für ein „Ausfallrisiko“ eines einzubringenden Arbeitsmittels in einer Pauschale „angemessen“ einzupreisen wäre. Für einen angestellten Fahrer, der bspw. sein KFZ zur Verfügung stellt, dürfte es bspw. aus Sicht der Arbeitsgerichte eine durchaus signifikante Größe sein, dass er ein Ersatzfahrzeug anzumieten hätte / einen insoweit erweiterten Versicherungsschutz benötigt.

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