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Ein BEM hat kein Mindesthaltbarkeitsdatum

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Sind Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, muss der Arbeitgeber ihnen gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements („BEM“) anbieten. Noch nicht höchstrichterlich geklärt ist die Frage, ob die einmalige Durchführung eines BEM innerhalb eines Jahreszeitraums ausreicht oder das BEM nach jeder Vollendung eines Sechs-Wochen-Zeitraums erneut angeboten werden muss. Das LAG Düsseldorf hat sich der in der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte überwiegend vertretenen Auffassung angeschlossen, wonach der Abschluss eines jeden BEM-Verfahrens als „Tag Null“ einen neuen Referenzzeitraum von einem Jahr in Gang setzt (Urteil vom 9. Dezember 2020 – 12 Sa 554/20).

Der Unterschied der beiden Rechtsauffassungen lässt sich anhand des konkreten Sachverhalts gut verdeutlichen:

Der Kläger war in den Jahren 2017 bis 2019 wiederholt arbeitsunfähig erkrankt. Am 05.03.2019 führten die Parteien ein BEM durch, das am selben Tag – ohne Festlegung bestimmter Maßnahmen – abgeschlossen wurde. Im Anschluss daran war der Arbeitnehmer zunächst für drei Monate arbeitsfähig. Danach kam es zu den folgenden weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten:

03.06. – 07.06.2019 = 5 Arbeitstage

10.07. – 12.07.2019 = 3 Arbeitstage

09.08. – 17.11.2019 = 71 Arbeitstage

Am 26.02.2020 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ordentlich aus personenbedingten Gründen.

Würde man der Ansicht folgen, dass die Durchführung eines BEM innerhalb eines Jahreszeitraums ausreicht (so z.B. Hessisches LAG v. 17.02.2017 – 14 Sa 690/16), hätte das Absehen von der Durchführung eines weiteren BEM im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der krankheitsbedingten Kündigung nicht zu Lasten des Arbeitgebers gehen dürfen. Jedenfalls bis einschließlich zum 05.03.2020 wäre kein weiteres BEM durchzuführen gewesen; die Kündigung erfolgte am 26.02.2020, noch vor Ablauf dieses Jahreszeitraums.

Das LAG Düsseldorf hat ein solches „Mindesthaltbarkeitsdatum“ eines BEM jedoch ausdrücklich verneint. Vielmehr sei das Verfahren erneut durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer nach Abschluss des letzten BEM bzw. der Umsetzung der im Rahmen der BEM-Gespräche beschlossenen Maßnahmen erneut länger als sechs Wochen arbeitsunfähig gewesen sei. Die Arbeitgeberin hätte also schon im September 2019 ein weiteres BEM einleiten müssen.

Eine Begrenzung der rechtlichen Verpflichtung auf eine nur einmalige Durchführung des BEM innerhalb eines Jahreszeitraums, so das LAG, lasse sich dem Gesetz nicht entnehmen. § 167 Abs. 2 SGB IX enthalte zwar nicht die Formulierung „Immer dann, wenn [Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind …]“. Ebenso wenig folge jedoch aus der Norm, dass ein BEM „einmalig innerhalb eines Jahres“ durchzuführen sei. Einer dahingehenden Auslegung stehe auch der Schutzzweck der Vorschrift entgegen. Der Gesetzgeber habe der Gesundheitsprävention am Arbeitsplatz durch die Einführung des § 167 Abs. 2 SGB IX einen stärkeren Stellenwert verschaffen wollen. Durch die dem Arbeitgeber auferlegten Verhaltenspflichten solle möglichst frühzeitig einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses kranker Menschen begegnet und die dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erreicht werden. Diesem Schutzzweck stünde die Eingrenzung auf eine einmalige Durchführung eines BEM pro Jahr entgegen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn zwar ein BEM durchgeführt worden sei, aber zu keinerlei Maßnahmen geführt habe. Aber auch wenn im Rahmen der BEM-Gespräche Maßnahmen beschlossen werden, dürfte dies lediglich dazu führen, dass sich der Beginn des Jahreszeitraums auf den Zeitpunkt der Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen verschiebt (vgl. Rn. 71 des Urteils). Dies ist auch deshalb zutreffend, weil das BEM erst mit der Umsetzung der Maßnahmen vollständig abgeschlossen ist.

Bis auf Weiteres ist Arbeitgebern daher zu empfehlen, Arbeitnehmern stets ein erneutes BEM anzubieten, sobald diese nach Beendigung des letzten BEM-Verfahrens bzw. der Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen erneut insgesamt sechs Wochen arbeitsunfähig waren.

Das Verfahren ist derzeit beim BAG anhängig (Aktenzeichen: 2 AZR 138/21). Ich gehe allerdings davon aus, dass das BAG die Entscheidung des LAG Düsseldorf bestätigen wird.

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