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ArbRB-Blog

Die Verantwortung des Arbeitgebers für die Reduzierung von Infektionsrisiken

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Der Arbeitgeber hat seit jeher – genauer: seit Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc. im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, das Inkrafttreten des BGB verordnet hat – verpflichtet, Räume, Vorrichtungen und Gerätschaften so einzurichten und zu unterhalten sowie Dienstleistungen, die unter seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass die Arbeitnehmer soweit gegen Gefahr für Leben und Gesundheit geschützt sind, wie die Natur der Dienstleistung es gestattet (§ 618 I BGB). Er hat seit Inkrafttreten des Arbeitsschutzgesetzes, also seit August 1996, sowohl die für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundene Gefährdung als auch die danach erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu ermitteln. Die Beurteilung hat je nach Art der Tätigkeiten zu erfolgen und schließt Gefährdungen ein, die sich u.a. aus

  • biologischen Einwirkungen
  • Gestaltung von Arbeitsabläufen
  • unzureichender Unterweisung der Beschäftigten oder
  • psychischen Belastungen bei der Arbeit.

ergeben können (§ 5 ArbSchG). Darauf beruhend hat der Arbeitgeber die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen. Er hat die Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und erforderlichenfalls an sich ändernden Gegebenheiten anzupassen (§ 3 I ArbSchG). § 3 I ArbSchG baut auf § 5 ArbSchG auf, denn Maßnahmen können sinnvoll erst aufgrund der Gefährdungsbeurteilung anhand der mit der Arbeit verbundenen Gefährdungen ergriffen werden.

Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen bestimmt nunmehr § 12a II Coronaschutz-Verordnung (in der vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales am 16. April 2020 verkündeten, seit dem 20.4.2020 geltenden und vorerst bis zum 3.5.2020 befristeten Fassung) , dass Selbstständige, Betriebe und Unternehmen neben der Erfüllung ihrer arbeitsschutzrechtlichen Hygiene- und Schutzpflichten auch verantwortlich für die Reduzierung von Infektionsrisiken im Sinne des Infektionsschutzgesetzes sind. Weiter heißt es, dass sie hierzu insbesondere Maßnahmen treffen, um

1. Kontakte innerhalb der Belegschaft und zu Kunden, soweit tätigkeitsbezogen möglich, zu vermeiden,
2. Hygienemaßnahmen und Reinigungsintervalle unter Beachtung der aktuellen Erfordernisse des Infektionsschutzes zu verstärken und
3. Heimarbeit, soweit sinnvoll umsetzbar, zu ermöglichen.

Bei der Planung und Umsetzung der Maßnahmen berücksichtigen sie die Empfehlungen der zuständigen Behörden (insbesondere des Robert Koch-Instituts) und Unfallversicherungsträger.

Was bedeutet das?

§ 12a II nimmt Bezug auf das Infektionsschutzgesetz („Reduzierung von Infektionsrisiken im Sinne des Infektionsschutzgesetzes“). Zweck des Infektionsschutzgesetzes (InfSG) ist es, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern (Näher Rixen, NJW 2020, 1097). Dazu ist in erster Linie die Mitwirkung und Zusammenarbeit von Behörden des Bundes, der Länder und der Kommunen, Ärzten, Tierärzten, Krankenhäusern und wissenschaftlichen Einrichtungen gefordert und notwendig, die entsprechend dem jeweiligen Stand der medizinischen und epidemiologischen Wissenschaft und Technik gestaltet und unterstützt werden soll (§ 1 II 1 InfSG). § 1 II 1 InfSG erwähnt aber auch „sonstige Beteiligte“, ohne sie zu benennen und nach § 1 II 2 InfSG soll auch die Eigenverantwortung der Träger und Leiter von Gemeinschaftseinrichtungen, Lebensmittelbetrieben, Gesundheitseinrichtungen sowie des Einzelnen bei der Prävention übertragbarer Krankheiten verdeutlicht und gefördert werden. Offen ist, ob alle Arbeitgeber, unabhängig davon, ob sie Gemeinschaftseinrichtungen, Lebensmittelbetriebe oder Gesundheitseinrichtungen betreiben, als „sonstige Beteiligte“ i.S.v. § 1 II 1 InfSG anzusehen sind, was meines Erachtens zu verneinen ist.

Offen ist auch, ob § 12a II Coronaschutz-Verordnung lediglich die Eigenverantwortung verdeutlichen oder eine rechtlich relevante Verantwortung, insbesondere eine Rechtspflicht begründen soll. Zunächst ist festzuhalten, dass ein Verstoß gegen § 12a II Coronaschutz-Verordnung jedenfalls nach § 16 Coronaschutz-Verordnung keine Ordnungswidrigkeit darstellt und nicht bußgeldbewehrt ist. Das beantwortet jedoch noch nicht die Frage, welchen Regelungsgehalt die Vorschrift hat. Nach § 32 S. 1 InfSG sind die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 InfSG maßgebend sind, durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Zu diesen Voraussetzungen, unter denen die für den Infektionsschutz zuständigen Behörden Maßnahmen ergreifen können, gehört eine sog. Gefahren(verdachts)lage (Näher Rixen, NJW 2020, 1097, 1099 f.). Diese muss bei mindestens einer Person im Zuständigkeitsbereich der Behörde vorliegen. Während man von einer Gefahr bei einer Sachlage spricht, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führt, wobei der Grad der zu fordernden Wahrscheinlichkeit unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie der betroffenen Rechtsgüter zu bestimmen ist, genüg für eine Gefährdung bereits die Möglichkeit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung ohne besondere Anforderungen an ihre Eintrittswahrscheinlichkeit oder ihr Ausmaß. Für die Beurteilung eines infektionsrechtlichen Ansteckungsverdachts – also eine Wahrscheinlichkeitsbetrachtung – sind die Eigenheiten der Krankheit, epidemiologische Erkenntnisse und Wertungen sowie die jeweiligen Erkenntnisse über Zeitpunkt, Art und Umfang der möglichen Exposition und über die Empfänglichkeit der Person für den Erreger zu berücksichtigen. Die Feststellung eines Ansteckungsverdachts setzt voraus, dass Ermittlungen zu infektionsrelevanten Kontakten des Betroffenen angestellt wurden; die gebotene Ermittlungstiefe wird insbesondere durch die Ansteckungsfähigkeit des Erregers sowie durch die epidemiologischen Erkenntnisse vorgegeben (BVerwG 22.3.2012 – 3 C 16/11, NJW 2012, 2823).

Auf den ersten Blick feststellbare begriffliche Ãœbereinstimmungen könnten dazu verleiten, eine Rechtspflicht des Arbeitgebers, also ein rechtlich verbindliches Gebot anzunehmen. Bei genauerem Hinsehen sprechen jedoch der Wortlaut und die Systematik gegen eine Rechtspflicht: erstens hätte es nahegelegen, anstelle „verantwortlich“ das Wort „verpflichtet“ zu verwenden, wenn die Verordnung Rechtspflichten des Arbeitgebers hätte begründen sollen; zweitens nimmt sie Bezug auf arbeitsschutzrechtliche Hygiene- und Schutzpflichten und erklärt ausdrücklich, dass die Verantwortung des Arbeitgebers für den Infektionsschutz daneben steht. Auch der letzte Satz, wonach Empfehlungen zu „berücksichtigen“ (nicht: „beachten“) sind, spricht eher für eine Norm, die keine Rechtspflicht begründet, sondern die Eigenverantwortung verdeutlicht.

Es spricht angesichts dieser Gesichtspunkte nichts dafür, dass Arbeitgebern durch § 12a II Coronaschutz-Verordnung zusätzliche Pflichten auferlegt werden. Die Unterscheidung zwischen Verpflichtung und Verantwortung ist im geltenden Recht geläufig und man kann unterstellen, dass sie dem Ministerium für Arbeit, Gesudheit und Soziales bekannt ist. Als Beispiele sind zu nennen: § 1 II 2 InfSG, wonach die Eigenverantwortung der Träger und Leiter von Gemeinschaftseinrichtungen, Lebensmittelbetrieben, Gesundheitseinrichtungen sowie des Einzelnen bei der Prävention übertragbarer Krankheiten verdeutlicht und gefördert werden soll; § 1 SGB V, wonach die gesetzlichen Krankenversicherungen die gesundheitliche Eigenkompetenz und Eigenverantwortung der Versicherten zu fördern haben, die Versicherten für ihre Gesundheit lediglich mit verantwortlich sind und u.a. durch eine gesundheitsbewusste Lebensführung dazu beitragen sollen, den Eintritt von Krankheit zu vermeiden; § 2 II und V SGB III, wonach Arbeitgeber eine Arbeitsmarktverantwortung haben und Arbeitnehmer bei ihren Entscheidungen verantwortungsvoll die Auswirkungen auf ihre berufliche Leistungsfähigkeit berücksichtigen sollen und schließlich Art. 5 III Arbeitsschutz-Richtlinie (Richtlinie 89/391/EWG), wonach die Pflichten der Arbeitnehmer in Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz nicht den Grundsatz der Verantwortung des Arbeitgebers berühren und Art. 6 Richtlinie 89/391/EWG dann Pflichten des Arbeitgebers regelt (auch wenn man insoweit den „Grundsatz der Verantwortung“ als zusammenfassende Kennzeichnung eines konkreten Pflichtenbündels ansehen kann).

Ist die Vorschrift deswegen bedeutungslos?

Nein. Erstens muss damit gerechnet werden, dass die Gesundheitsämter den Regelungsgehalt anders einschätzen und auf dieser normativen Grundlage sofort vollziehbare Anordnungen erlassen, gegen die zwar Widerspruch eingelegt werden kann, der jedoch keine aufschieende Wirkung hat. Zweitens kann die Regelung als normativer Anknüpfungspunkt zumindest bei der Zuweisung des sog. Betriebsrisikos i.S.v. § 615 S. 3 BGB eine Rolle spielen (obwohl Träger des Virus Menschen und damit überwiegend Arbeitnehmer sind). Drittens hat der Arbeitgeber entsprechend dem Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten gemäß den Vorschriften der Arbeitsstätten-Verordnung einschließlich ihres Anhangs nach dem Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene festzulegen. Zwar knüpft die ArbStättVO an Arbeitsstätten und die davon ausgehenden Gefährdungen an; jedoch umfasst das Betreiben von Arbeitsstätten das Benutzen, Instandhalten und Optimieren der Arbeitsstätten sowie die Organisation und Gestaltung der Arbeit einschließlich der Arbeitsabläufe in Arbeitsstätten, § 2 IX ArbStättVO). Gleichwohl spricht viel dafür, dass eine Infizierung mit SARS-CoV-2 nicht der Risikosphäre des Arbeitgebers und nicht dem Betriebsrisiko zuzurechnen ist, weswegen auch die DGUV im Regelfall die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls nicht als gegeben ansieht. Die Infizierung ist m.E. also Teil des allgemeinen Lebensrisikos (außer z.B. in Krankenhäusern bei der Behandlung von Covid-19 Patienten).

Wofür noch spielt die Unterscheidung eine Rolle?

Bei der Einschaltung des Betriebsrats. Bei der Gefährdungsbeurteilung sind dessen Rechte noch eingeschränkt, bei der Ergreifung von Maßnahmen zum Gesundheitsschutz verlangt § 87 I Nr. 7 BetrVG und § 88 Nr. 1 BetrVG eine Abgrenzung zwischen ausfüllungsbedürftigen Rechtspflichten und freiwilligen Maßnahmen aus Eigenverantwortung des Arbeitgebers. Dass die Leitungsorgane von Unternehmen zu solchen Maßnahmen im Verhältnis zum Unternehmen berechtigt sind, wird zu bejahen sein (Vetter, ZGR 2018, 338). Ob sie dazu verpflichtet sind, spielt auch im Rahmen von § 130 OWiG eine Rolle (dazu Neuhöfer/Winkelmüller, Betrieblicher Infektionsschutz in Zeiten von Covid-19, jurisPR-Compliance 2/2020, Anm. 1). Ob der Arbeitgeber die Befugnis hat, Arbeiten im Homeoffice anzuordnen, ist fraglich (dazu Groeger, ARP 2020, 106); dass er in „normalen“ Zeiten mit einer Weisung, dass Kontakte innerhalb der Belegschaft, soweit dies tätigkeitsbezogen möglich ist, zu vermeiden sind, zumindest „Stirnrunzeln“ auch bei Arbeitsgerichten auslösen würde, ist zumindest nicht ganz fernliegend. Wie weit der Arbeitgeber zu einzelnen Maßnahmen, z.B. dem Fiebermessen am Werkstor, berechtigt ist, berührt nicht nur die Hygiene, sondern ist auch eine Frage des Beschäftigtendatenschutzes.

Dies verdeutlicht, wie gefahrgeneigt die Tätigkeit der Leitungsorgane von Unternehmen in Krisenzeiten ist, wenn Prognosen in unterschiedlichen Bereichen erforderlich sind (Wirtschaft, Medizin, Recht), die jeweils nach je eigenen Maximen handeln. Jedes System ist von den anderen unabhängig und „selbstreferentiell“, d.h. normativ geschlossen (Baer, Rechtssoziologie, 2. Aufl. 2015, § 4 Rn. 98; Dritte Ad-hoc-Stellungnahme der Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften vom 13. April 2020 [Coronavirus-Pandemie – Die Krise nachhaltig überwinden] S. 10-12). Die Leitungsorgane tragen jedenfalls die Verantwortung dafür, dass alle Systeme und ihre Wirkungsweisen „im Blick“ behalten werden und damit „zu ihrem Recht kommen“

RA FAArbR Axel Groeger, Bonn
www.redeker.de

 

RA FAArbR Axel Groeger ist Partner bei Redeker Sellner Dahs, Bonn. Er gehört zum festen Autorenteam des Arbeits-Rechtsberaters und ist Herausgeber des Handbuchs Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst.

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