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ArbRB-Blog

Tarifauseinandersetzung zwischen der Bahn und GDL – An der Tariffähigkeit der GDL bestehen erhebliche Zweifel

avatar  Wolfgang Kleinebrink

Nach der Urabstimmung droht die Lokführergewerkschaft GDL nun mit längeren Streikmaßnahmen. Auch die durch die Vereinigung Bergischer Unternehmerverbände e.V. (VBU) vertretene Region, deren Sprecher der Geschäftsführung ich bin, ist betroffen. Die Gewerkschaft fordert u.a. höhere Löhne und eine kürzere Arbeitszeit für Arbeitnehmer, die in Schichten tätig sind. Fahrgäste der Deutschen Bahn müssen, sofern es nicht noch kurzfristig zu einer Einigung kommt, bereits ab der kommenden Woche (2. KW) mit weiteren Streiks rechnen.

Die Ausgangslage

Streiken kann und darf eine Gewerkschaft aber nur dann, wenn sie tariffähig ist. Dies bezweifelt nun die Deutsche Bahn. Der Arbeitgeberverband der Deutsche-Bahn- Unternehmen (AGV MOVE) hat vor dem LAG Hessen beantragt festzustellen, dass die GDL nicht mehr tariffähig ist (LAG Hessen – 5 BVL 1/2024). Hintergrund ist, dass die GDL eine Leiharbeitergenossenschaft namens „FairTrain“ gegründet hat. Ziel dieser Genossenschaft ist es, Lokführer von der Deutschen Bahn abzuwerben und diese dann von FairTrain wieder an die Deutsche Bahn zurückzuverleihen. Mit FairTrain hat die GDL einen Tarifvertrag geschlossen, der zugunsten der Arbeitnehmer erheblich bessere Konditionen aufweist als der zwischen der GDL und der Deutschen Bahn bestehende.

Der Antrag

Die Gerichte für Arbeitssachen sind nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG sachlich zuständig, über die Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit einer Vereinigung zu entscheiden. Das Verfahren wird nach § 97 Abs. 1 ArbGG auf Antrag einer räumlich und sachlich zuständigen Vereinigung von Arbeitnehmern oder von Arbeitgebern oder der obersten Arbeitsbehörde des Bundes oder der obersten Arbeitsbehörde eines Landes, auf dessen Gebiet sich die Tätigkeit der Vereinigung erstreckt, eingeleitet. Hier klagt der AGV MOVE und damit die räumlich und sachlich zuständige Vereinigung von Arbeitgebern.

Das Verfahren

Für das Verfahren sind nach § 97 Abs. 2a ArbGG die meisten der in §§ 80 ff. ArbGG enthaltenden Vorschriften zum Beschlussverfahren anzuwenden.

Die Zuständigkeit des Gerichts

Zuständig ist das Landesarbeitsgericht, in dessen Bezirk die Vereinigung, über deren Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit zu entscheiden ist, ihren Sitz hat. Dies sieht § 97 Abs. 2 ArbGG vor.

Rechtsweg

Gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts findet nach § 92 Abs. 1 ArbGG die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht statt.

Die Wirkung der Entscheidung

Wenn der Beschluss rechtskräftig ist, wird die Tariffähigkeit für und gegen Jedermann festgestellt. Die Entscheidung wirkt damit nicht nur zwischen den Parteien.

Was bedeutet Tariffähigkeit?

Tarifvertragsparteien sind nach § 2 TVG Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern. Das Gesetz regelt damit – ohne es ausdrücklich auszusprechen – dass diese Parteien auch tariffähig sind. Sie können im eigenen Namen insbesondere Rechtsnormen durch eine Vereinbarung mit dem sozialen Gegenspieler schaffen.

Voraussetzung für diese Tariffähigkeit auf Seiten einer Gewerkschaft ist, dass

  • es sich bei ihr um eine Koalition im Sinne des Grundgesetzes handelt,
  • sie tarifwillig ist,
  • sie auch die sogenannte soziale Mächtigkeit besitzt, um Forderungen auch durchsetzen zu können.

Umstritten ist, ob auch eine Arbeitskampfbereitschaft notwendig ist.

Die Koalitionseigenschaft als Problem

Aufgrund der Gründung der Leiharbeitergenossenschaft FairTrain durch die GDL und des von der GDL mit der Genossenschaft abgeschlossenen Tarifvertrags ist nun aber sehr zweifelhaft geworden, ob sie die Koalitionseigenschaft noch besitzt. Hierfür ist nämlich u.a. erforderlich, dass sie vom Gegner unabhängig ist. Nur so ist gewährleistet, dass sie die Interessen ihrer Mitglieder im Rahmen der kollektiven Interessenauseinandersetzung gegenüber dem Arbeitgeberverband wahren kann. Diese Gegnerunabhängigkeit muss sowohl strukturell als auch finanziell bestehen. Die Gewerkschaft muss als Koalition in der Lage sein, über ihre eigene Organisation und Willensbildung frei zu entscheiden.

Die GDL tritt nun aber, worauf die Deutsche Bahn in einer Erklärung hinweist, gleichzeitig als Arbeitgeber und als Gewerkschaft auf. Arbeitgeber will sie als Genossenschaft sein, die die abgeworbenen Lokführer beschäftigt, Gewerkschaft will sie in der laufenden Tarifauseinandersetzung mit der Deutschen Bahn sein. Hiergegen bestehen bereits erhebliche Bedenken.

Die fehlende Tariffähigkeit ergibt sich ferner – worauf die Deutsche Bahn ebenfalls hinweist – aufgrund der personellen und organisatorischen Verflechtungen in den Führungspositionen von GDL und FairTrain. Die Gewerkschaft ist durch die Gründung ihrer Leiharbeiter-Genossenschaft gleichzeitig Arbeitgeber geworden und hat gleichsam mit sich selbst einen Tarifvertrag verhandelt und geschlossen. Ein Interessenkonflikt besteht auch, weil die GDL nach Angaben der Deutschen Bahn bei der Vorstellung ihrer Leiharbeiter-Genossenschaft deutlich gemacht hat, dass sich die Gründung der FairTrain ausschließlich gegen die Deutsche Bahn richtet, weil nur von dort Lokführer abgeworben werden sollen. Gründungs- und Aufsichtsratsmitglieder des Leiharbeitgebers FairTrain führen aktuell Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn. Die hohen Forderungen der GDL schaden der Deutschen Bahn, nutzen aber als Werbeinstrument der von der GDL gegründeten Genossenschaft, die das Ziel hat, Lokführer abzuwerben.

Betrachtet man einzelne Forderungen, wird dieser Interessenkonflikt noch deutlicher:

Die GDL fordert u.a. eine 35-Stunden-Woche in einer 4-Tage-Woche. Würde dies durchgesetzt, würden Lokführer knapper auf dem Arbeitsmarkt. Folglich müsste sich die Deutsche Bahn verstärkt an die Genossenschaft FairTrain der GDL wenden, um Lokführer zu bekommen, da diese auf dem freien Arbeitsmarkt kaum vorhanden sind.

Die GDL fordert ferner, Kündigungsfristen zugunsten der von ihr vertretenen Arbeitnehmer zu verkürzen. Würde die GDL hiermit Erfolg haben, könnten Lokführer unter Nutzung dieser kürzeren Kündigungsfrist schneller zu FairTrain wechseln.

Die Rechtskraft der Entscheidung

Der Umfang der Rechtskraft hängt vom gestellten Feststellungsantrag ab. Normalerweise wird die Tariffähigkeit ab dem Zeitpunkt der Zustellung der Antragschrift bis zu der letzten mündlichen Anhörung erfasst. Für die Zukunft ist die Rechtskraft in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich nicht begrenzt. Sie endet aber, wenn die maßgebenden rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen, die der Entscheidung zugrunde gelegen haben, nicht mehr die gleichen sind (BAG 22.06.2021 – 1 ABR 28/20, ArbRB 2021, 369 [Braun]). Käme das Gericht rechtskräftig zum Ergebnis, dass die GDL aufgrund der Gründung der Genossenschaft FairTrain die Tariffähigkeit verloren hat, könnte folglich für die Zukunft die GDL diese Gesellschaft wieder liquidieren, um dann die Tariffähigkeit wieder zu erlangen.

Folge

Das Vorgehen der GDL führt dazu, dass sie keine Koalition im verfassungsrechtlichen Sinn mehr ist. Da die Eigenschaft als Koalition Voraussetzung für die Tariffähigkeit ist, fehlt ihr diese, bis sie die Genossenschaft FairTrain wieder liquidiert hat.

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