Zwei Kammern des Arbeitsgerichts Berlin haben mit Entscheidungen vom 3.4.2025 und 24.5.2025 zu den Geschäftszeichen 59 Ca 7452/24 und 56 Ca 4502/24 entschieden, dass im Rahmen der Eingruppierung im Tarifsystem des TV-L bei Vorliegen eines einheitlichen Arbeitsvorgangs bereits ein Zeitanteil qualifizierender „schwieriger Tätigkeit“ von 3,25 %, bezogen auf die Gesamtarbeitszeit, ausreichend ist, um eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe E 9a anzunehmen. Für die Grundtätigkeit ohne die Tätigkeiten der Qualifikationsebene ist tariflich nur eine Einreihung in die Entgeltgruppe E 6 vorgesehen.
In beiden Fällen waren die klagenden Parteien Mitarbeiterinnen in den sogenannten Serviceeinheiten gerichtlicher Geschäftsstellen.
Wie spätestens seit den Grundsatzentscheidungen des vierten Senates des BAG vom 9.9.2020 – 4 AZR 195/20 und 4 AZR 196/20 – bekannt, ist die von den klägerischen Parteien zu erbringende Arbeit im tariflichen Eingruppierungssystem des § 12 Abs. 1 TV-L als ein einheitlicher Arbeitsvorgang zu fassen, der die gesamte Tätigkeit ausmacht. Ferner nimmt das BAG in seiner ständigen Rechtsprechung an, dass es bei der Bewertung eines Arbeitsvorgangs zur Erfüllung einer qualifizierenden tariflichen Anforderung, hier der „schwierigen Tätigkeit“ gemäß Ziffer 12.1 des Teils II der Entgeltordnung zum TV-L, ausreichend ist, wenn eine solche innerhalb des einzigen Arbeitsvorgangs in einem „rechtlich erheblichen Ausmaße“ vorliegt, was jedenfalls dann gegeben ist, wenn ohne die Tätigkeit ein sinnvoll verwertbares Arbeitsergebnis nicht erzielt werden kann.
Liegt also eine qualifizierende Tätigkeit innerhalb des Arbeitsvorgangs in einem solchen rechtlich erheblichen Ausmaße vor, ist eine Eingruppierung nicht nur in die Ausgangsentgeltgruppe anzunehmen, sondern eine Eingruppierung in die Qualifikationsebene. Mit anderen Worten: Der rechtlich relevante Arbeitszeitanteil „schwieriger Tätigkeit“ hebt den Tarifbeschäftigten von der Ausgangsentgeltgruppe auf die Qualifikationsentgeltgruppe.
Die große Frage, die die Instanzengerichte zunehmend beschäftigen wird, ist nun, wann ein solches rechtlich nicht unerhebliches Maß erreicht ist.
Das BAG gibt hierzu mit Ausnahme der genannten Formel, dass eine rechtliche Erheblichkeit jedenfalls immer dann anzunehmen ist, wenn ohne die qualifizierende Tätigkeit ein sinnvoll verwertbares Arbeitsergebnis nicht erzielt werden könnte, wenig mit. Es hat in jüngerer Zeit jedoch in jedem ihm vorgelegenen Sachverhalt die dort gegebenen Zeitanteile – auf dem niedrigsten Wert waren es 5 % qualifizierender Tätigkeit an der einer Gesamtarbeitszeit – ausreichen lassen.
Dies führte auf der Ebene der Tarifgemeinschaft der Länder allerdings dazu, dass diese eine 5-%-Hürde annimmt.
Dem entgegen weisen viele Stimmen in der Rechtswissenschaft darauf hin, dass das BAG eine solche feste quantitative Untergrenze keinesfalls gezogen habe, es sich bei der Fragestellung des „rechtserheblichen Umfangs“ fortlaufend an seiner aufgestellten Formel orientiere und die Ausnahmekonstellation des nicht mehr rechtserheblichen Umfangs bisher nicht angenommen habe. Nach der Formel des BAG würden folglich auch „geringste Dosen“ qualifizierender Tätigkeit ausreichend sein können, wenn sie denn, würde man sie hinwegdenken, kein verwertbares Arbeitsergebnis übriglassen würden.
In dieses Spannungsverhältnis treten nunmehr die beiden Entscheidungen des Arbeitsgerichts Berlin. Die beiden Kammern haben sich konsequent an der vom BAG aufgestellten Formel orientiert und kamen folgerichtig zum Ergebnis, auch der in beiden Entscheidungen jeweils streitgegenständliche Anteil von 3,25 % schwieriger Tätigkeit bezogen auf die Gesamtarbeitszeit sei bereits ausreichend, um eine Eingruppierung in die höchste Qualifikationsebene der Entgeltgruppe E 9a anzunehmen. Dies folge aus der Feststellung, dass bei einem Hinwegdenken der schwierigen Tätigkeiten, auch wenn sie nur 3,25 % der Gesamtarbeitszeit ausmachen, kein verwertbares Arbeitsergebnis mehr übrigbliebe.
Es bleibt zunächst spannend, wie sich das LAG Berlin-Brandenburg auf die seitens des unterlegenen Landes eingelegten Berufungen positionieren wird. Zudem stellt sich für die Zukunft allerdings die noch viel spannendere Frage, ob nicht vielleicht doch, und wenn ja, gegebenenfalls wo genau, eine quantitative Grenze für den unbestimmten Rechtsbegriff des „rechtserheblichen Ausmaßes“ zu ziehen wäre oder ob in konsequenter Fortführung der Formel des BAG auch qualifizierende Tätigkeiten im Promillebereich immer noch ausreichend wären, vorausgesetzt, bei deren Hinwegdenken würde die Verwertbarkeit des Gesamtarbeitsergebnisses entfallen.
Dogmatisch konsequent kann nur der letztgenannte Weg sein. Eine quantitative Grenze ist nicht begründbar. Vielmehr ist allein die Frage der Verwertbarkeit des Arbeitsergebnisses ohne die qualifizierende Tätigkeit allein entscheidend. In diesem Sinne kann selbstverständlich auch in Fällen eines noch so geringen zeitlichen Ausmaßes qualifizierender Tätigkeit eine Einreihung in die Entgeltgruppe der höchsten Qualifikationsebene gegeben sein. Der Dreh- und Angelpunkt ist allein die Frage, wann ein Arbeitsergebnis ohne qualifizierende Teiltätigkeiten noch verwertbar ist.
Der Autor RA FArbR Dr. Heiko Kaiser LLM. ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV. Die Arbeitsgemeinschaft ist Kooperationspartner des Arbeits-Rechtsberaters. Sie lädt regelmäßig zu Fortbildungsveranstaltungen mit interdisziplinärem Austausch ein. Die Herbsttagung 2025 findet am 12. und 13. September 2025 in Prag statt (Programm, Anmeldung).