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ArbRB-Blog

Der Umgang mit verdächtigen Entschädigungsbegehren nach dem AGG

avatar  Wolfgang Kleinebrink

In der Praxis werden immer wieder Entschädigungsansprüche von Bewerbern nach dem AGG geltend gemacht, bei denen der Eindruck entsteht, dass es den erfolglosen Bewerbern nicht um die Stelle, sondern nur um die Entschädigung geht. Gelegentlich entsteht auch der Eindruck, dass Bewerbungen nicht nur wegen der Entschädigung, sondern wegen einer dauerhaften Einnahmequelle eingereicht werden.

Ein Beispiel hierfür ist ein Fall, der derzeit die Gerichte in Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Laut Presseberichten hat eine transsexuelle Person bereits 250 Klagen gegen Unternehmen geführt. Wenn in Stellenausschreibungen das „d“ für divers fehlt, verlangt sie von den Unternehmen eine Entschädigung. Presseberichten zufolge ist die Trans-Person seit zwölf Jahren arbeitssuchend gemeldet, bezieht Bürgergeld und hat nach eigenen Angaben bereits mehr als 1.600 erfolglose Bewerbungen geschrieben. Sie habe inzwischen gut 250 Schadensersatzklagen gegen Unternehmen eingereicht. Nach sehr vorsichtigen Schätzungen des Arbeitsgerichts Bielefeld – so heißt es in der Pressemitteilung – hat sie bisher eine Viertelmillion Euro eingenommen. Das ist auch finanziell interessant, weil solche Entschädigungen steuerfrei sind und nicht mit dem Bürgergeld verrechnet werden müssen.

Rechtliche Ausgangslage

Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch dann, wenn die benachteiligende Person bei der Benachteiligung nur annimmt, dass ein in § 1 AGG genannter Grund vorliegt. Dies sind nach dieser Vorschrift Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität. Zu den vom Gesetz geschützten Beschäftigten gehören nach § 6 Abs. 2 Satz 2 AGG u.a. auch Bewerberinnen und Bewerber um ein Beschäftigungsverhältnis.

Verstößt ein Arbeitgeber gegen dieses Benachteiligungsverbot, ist er nach § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG zum Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verpflichtet. Dies gilt gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 AGG nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Neben diesem materiellen Schadensersatzanspruch kann dem Betroffenen auch ein immaterieller Schadensersatzanspruch zustehen. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG kann die oder der Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG darf die Entschädigung bei Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn die oder der Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Bei diesem immateriellen Schadensersatzanspruch, dem Entschädigungsanspruch, kommt es – anders als beim Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG – auf ein Verschulden des Arbeitgebers nicht an (BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 8 AZR 906/07, ArbRB 2009, 290 [Braun]). Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist nicht, dass der Arbeitnehmer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist. Bei einem Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot ist grundsätzlich der Eintritt eines immateriellen Schadens beim Arbeitnehmer zu bejahen, der zu einem Entschädigungsanspruch führt (BAG, Urt. v. 22.9.2009 – 8 AZR 906/07, ArbRB 2009, 290 [Braun]).

Das Indiz als Beweiserleichterung

Das Gesetz erleichtert die Durchsetzung solcher Entschädigungsansprüche. § 22 AGG sieht eine Beweiserleichterung für denjenigen Beschäftigten vor, der sich auf eine Diskriminierung nach dem AGG berufen will. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Folglich muss der Beschäftigte zunächst einmal nur ein solches Indiz vortragen und gegebenenfalls beweisen. Dies kann bereits darin gesehen werden, dass in einer Stellenanzeige das „d“ für divers fehlt.

In Bezug auf die Art der Beweisführung wird zwischen dem unmittelbaren Beweis und dem mittelbaren Beweis, auch Indizienbeweis genannt, unterschieden. Der unmittelbare Beweis dient dem Nachweis der tatsächlichen Behauptungen, die sich unmittelbar auf ein Tatbestandsmerkmal der entscheidungserheblichen Norm beziehen, während der Indizienbeweis auf den Nachweis von Hilfstatsachen zielt, bei deren Vorhandensein auf das Vorliegen der zu beweisenden Haupttatsachen geschlossen werden kann (BAG, Urt. v. 11.6.2020 – 2 AZR 442/19, ArbRB 2020, 296 [Steffan]). Soll ein Vortrag mittels Indizien bewiesen werden, muss das Gericht prüfen, ob die vorgetragenen Hilfstatsachen – deren Richtigkeit unterstellt – es von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen. Es hat die insoweit maßgeblichen Umstände vollständig und verfahrensrechtlich einwandfrei zu ermitteln und zudem alle Beweisanzeichen erschöpfend zu würdigen. Dabei ist das Gericht frei, welche Beweiskraft es den einzelnen Fakten beimisst. Um dem Gericht diese Überprüfung zu ermöglichen, haben die Parteien nach § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO die wesentlichen Grundlagen für die Überzeugungsbildung nachvollziehbar darzulegen (BAG, Urt. v. 11.6.2020 – 2 AZR 442/19, ArbRB 2020, 296 [Steffan]).

Gelingt dem Beschäftigten dieser Indizienbeweis, ist es Sache des Arbeitgebers, das Gericht – ohne Beweiserleichterung – davon überzeugen, dass eine solche Diskriminierung tatsächlich nicht vorgelegen hat. In der Praxis gelingt dies kaum.

Rechtsmissbrauch als Verteidigungsmöglichkeit des Arbeitgebers

Dem Entschädigungsanspruch eines abgelehnten Bewerbers nach § 15 Abs. 2 AGG kann allerdings der durchgreifende Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) entgegenstehen. Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, wenn die Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass sich der Bewerber nicht um die ausgeschriebene Stelle beworben hat, sondern es ihm allein darum ging, den formalen Status eines Bewerbers im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu erlangen, um Entschädigungsansprüche geltend machen zu können (BAG, Urt. v. 19.9.2024 – 8 AZR 21/24, ArbRB 2025, 37 [Hülbach]).

An das Vorliegen eines solchen Rechtsmissbrauchs stellt das BAG allerdings hohe Anforderungen. Es müssen im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten rechtfertigen. Dies kann bei einer Vielzahl von anderweitigen Bewerbungen und anschließenden Entschädigungsklagen nur dann angenommen werden, wenn sich ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen des Bewerbers feststellen lässt, das auf der Erwägung beruht, dass bei wirtschaftlicher Betrachtung letztlich ein ausreichender „Gewinn“ verbleibt (BAG, Urt. v. 19.9.2024 – 8 AZR 21/24, ArbRB 2025,37 [Hülbach]).

Strategien für Arbeitgeber

Dabei muss der Arbeitgeber Tatsachen vortragen und im Bestreitensfall beweisen können, die auf einen solchen Rechtsmissbrauch schließen lassen. Solche Tatsachen sind z.B.

  • zahlreiche Anträge auf Entschädigung
  • zahlreiche Gerichtsverfahren wegen solcher Entschädigungsansprüche
  • nicht auf die Stelle zugeschnittene Bewerbungen
  • gleichlautende Bewerbungen
  • außergewöhnliche Kontaktaufnahme des Bewerbers mit dem Unternehmen
  • Studium und gleichzeitige Bewerbung um eine Vollzeitstelle
  • keine ausreichende Qualifikation für die ausgeschriebene Stelle
  • große Entfernung zwischen dem Wohnort des Bewerbers und dem möglichen Arbeitsort ohne Bereitschaft zum Umzug.

Arbeitgeber dürfen solche Informationen auch in Gerichtsverfahren verwenden. Eine solche Verwertung ist nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 lit. f DSGVO zulässig. Sie erfolgt zur Wahrung berechtigter Interessen des Arbeitgebers und ist insoweit erforderlich. Die Interessen des Klägers müssen dahinter zurücktreten (BAG, Urt. v. 19.9.2024 – 8 AZR 21/24, ArbRB 2025, 37 [Hülbach]).

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