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Das richtige Vorgehen zur Vermeidung einer Diskriminierung von schwerbehinderten Menschen im Einstellungsverfahren

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Die Vermeidung von Benachteiligungen schwerbehinderter und ihnen gleichgestellter Menschen (im Folgenden sind sie immer eingeschlossen) stellt an Arbeitgeber hohe Anforderungen. Ohne eine solche Benachteiligung zu beabsichtigen, verstoßen sie häufig gegen Vorschriften, da das Gesetz in für Arbeitgeber schwer lesbaren Regelungen zahlreiche Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen bei der Besetzung freier Arbeitsplätze vorsieht.

Erleichterte Beweisführung bei der Geltendmachung von Diskriminierungen

Personen, die sich als schwerbehinderte Menschen diskriminiert fühlen, wird die Durchsetzung ihrer Ansprüche auf Schadensersatz i.S.d. § 15 Abs. 1 AGG oder Entschädigung i.S.d. § 15 Abs. 2 AGG durch den Gesetzgeber erleichtert. Nach § 22 AGG müssen sie lediglich Indizien beweisen, die eine Benachteiligung wegen einer Behinderung vermuten lassen. Danach ist es Sache des Arbeitgebers, das Gericht davon zu überzeugen, dass eine solche Diskriminierung tatsächlich nicht vorliegt. Die auf Indizien gestützte Vermutung ist z.B. dann widerlegt, wenn es dem Arbeitgeber gelingt, substantiiert darzulegen und zu beweisen, dass das Auswahlverfahren bereits abgeschlossen war, bevor die Bewerbung des Klägers bei ihm eingegangen ist. Ein solcher Abschluss des Auswahlverfahrens liegt in dem Zeitpunkt vor, in dem sich der Arbeitgeber für einen anderen Bewerber entschieden hat (BAG, Urt. v. 27.3.2025 – 8 AZR 123/24).

Pflicht zur Prüfung einer Beschäftigung Schwerbehinderter

Ein Arbeitgeber ist nach § 164 Abs. 1 Satz 1 SGB IX  verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden können. Zur Erfüllung der Prüfpflicht muss der Arbeitgeber anhand der Anforderungen des zu besetzenden Arbeitsplatzes ermitteln, welche Auswirkungen Behinderungen haben. Hierbei ist die Erstellung einer Arbeitsplatzbeschreibung und eines Anforderungsprofils sinnvoll. Hat der Arbeitgeber das Prüfverfahren ordnungsgemäß durchgeführt, ist er grundsätzlich nicht verpflichtet, den freien Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen zu besetzen.

Einschaltung der Agentur für Arbeit im Rahmen der Prüfung

Zur Erfüllung ihrer Prüfpflicht nach § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX haben Arbeitgeber bei beabsichtigten Einstellungen in jedem Fall frühzeitig Kontakt mit der Agentur für Arbeit aufzunehmen. Diese Verpflichtung setzt die Erteilung eines Vermittlungsauftrags an die Agentur für Arbeit voraus (BAG, Urt. v. 27.3.2025 – 8 AZR 123/24). Die Veröffentlichung in verschiedenen Stellenportalen einschließlich der Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit reicht nicht aus. Diese Konsultationspflicht als Teil der Prüfpflicht besteht, sobald der Arbeitgeber die Möglichkeit einer externen Besetzung ernsthaft in Betracht zieht. Aus Beweisgründen ist die nachweisbare Übermittlung der Stellenbeschreibung und des Anforderungsprofils sinnvoll, da eine sinnvolle Suche durch die Bundesagentur ohne Kenntnis der konkreten Stellenanforderungen regelmäßig nicht möglich ist.

Pflicht zur Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung im Prüfverfahren

Der Arbeitgeber hat auch die Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 SGB IX zu beteiligen. Sinnvollerweise leitet er ihr die Stellenbeschreibung mit dem Anforderungsprofil zu.

Pflicht zur Beteiligung des Betriebsrats

Im Rahmen des Prüfverfahrens hat der Arbeitgeber nach § 164 Abs. 1 Satz 6 SGB IX auch den Betriebsrat anzuhören. Diesem ist Gelegenheit zu geben, die Besetzung des Arbeitsplatzes mit einem schwerbehinderten Menschen zu prüfen.

Pflicht zur Unterrichtung bei Vermittlungsvorschlägen und vorliegenden Bewerbungen

Der Arbeitgeber hat dann die Schwerbehindertenvertretung und den Betriebsrat unverzüglich nach Eingang über die vorliegenden Anträge und Vermittlungsvorschläge zu unterrichten. Dies sieht § 164 Abs. 4 Satz 4 SGB IX vor. Der Bewerber kann die Beteiligung des Arbeitgebers jedoch nach § 164 Abs. 1 Nr. 10 ablehnen.

Erkennbarkeit der Schwerbehinderung bei vorliegenden Bewerbungen

Voraussetzung für diese Beteiligungspflichten ist allerdings, dass der Arbeitgeber bei eingehenden Bewerbungen erkennen konnte, dass der Bewerber tatsächlich schwerbehindert ist (zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Information durch den Bewerber ausf. Kleinebrink, DB 2019, 1505, 1507 f.).

Besondere Erörterungspflicht von Schwerbehindertenvertretung und Betriebsrat bei Interessengegensätzen

Ist die Schwerbehindertenvertretung oder ist der Betriebsrat mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers, die dieser im Bewerbungsverfahren getroffen hat, nicht einverstanden, hat der Arbeitgeber diese Entscheidung nach § 164 Abs. 1 Satz 7 SGB IX unter Darlegung der Gründe mit ihnen zu erörtern. Die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung entfällt nach § 164 Abs. 1 Nr. 10 SGB IX, wenn der Bewerber deren Beteiligung ausdrücklich ablehnt. Beide Gremien sind nicht zu beteiligen, wenn der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht im Sinne des § 154 Abs. 1 SGB IX erfüllt.

Besonderes Anhörungsrecht des Bewerbers bei Interessengegensätzen

Der Arbeitgeber hat grundsätzlich nach § 164 Abs. 1 Satz 8 SGB IX auch den schwerbehinderten Bewerber anzuhören, wenn die Schwerbehindertenvertretung oder der Betriebsrat mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden sind. Auch insoweit entfällt eine Verpflichtung zur Einschaltung dieser Gremien, wenn von Seiten des Arbeitgebers die Beschäftigungspflicht erfüllt ist.

Unterrichtungspflicht nach getroffener Entscheidung

Eine weitere Förderpflicht kann bestehen, wenn der Arbeitgeber seine Einstellungsentscheidung getroffen hat. Alle Beteiligten sind nach § 164 Abs. 1 S. 9 SGB IX vom Arbeitgeber über seine getroffene Entscheidung unter Darlegung der Gründe unverzüglich zu unterrichten. Auch diese Förderpflicht entfällt allerdings, wenn der Arbeitgeber seiner Beschäftigungspflicht nach § 154 Abs. 1 SGB IX nachkommt. Erfüllt der Arbeitgeber die Beschäftigungspflicht nicht, ist wiederum die Schwerbehindertenvertretung nicht zu beteiligen, wenn der schwerbehinderte Mensch die Beteiligung dieses Gremiums ausdrücklich ablehnt. Die Unterrichtung des Betriebsrats bleibt allerdings in diesem Fall weiter erforderlich.

Mehr zum Thema:

  • Groeger, Rechtssicheres Design für Bewerbungsverfahren ohne Diskriminierung Schwerbehinderter – Wie sich Indizien für Benachteiligungen vermeiden lassen, ArbRB 2022, 275.
  • Kleinebrink, Gesetzliche Förderpflichten des Arbeitgebers zugunsten Schwerbehinderter  bei der Besetzung freier Arbeitsplätze (mit Checkliste), DB 2019, 1505.
  • Moderegger, Die Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung – Ein Wegweiser | Mit allen wichtigen Schutzvorgaben und Fördermöglichkeiten im Überblick, ArbRB 2019, 314.

Professor Dr. Wolfgang Kleinebrink

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