Der Koalitionsvertrag (Rz. 585) sieht einen „Gewerkschaftsbonus“ vor. Danach soll die Mitgliedschaft in Gewerkschaften durch steuerliche Anreize für Mitglieder attraktiver gemacht werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten in Tarifverhandlungen bestehen, wenn die Gewerkschaften dort ebenfalls einen solchen Bonus fordern.
1. Das Verlangen von Gewerkschaften nach dem Bonus
Die Gewerkschaften fordern in Tarifverhandlungen zunehmend Sonderregelungen für Gewerkschaftsmitglieder. Vor dem Hintergrund sinkender Mitgliederzahlen wollen sie auf diese Weise für eine Mitgliedschaft in ihrer Gewerkschaft werben. Derartige Sonderregelungen werden als Differenzierungsklauseln bezeichnet, weil sie Gewerkschaftsmitglieder anders behandeln als Arbeitnehmer, die nicht Mitglied der betreffenden Gewerkschaft sind (vgl. nur BAG v. 22.9.2010 – 4 AZR 117/09).
Als Argument wird von gewerkschaftlicher Seite immer wieder die Regelung des § 3 TVG angeführt. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift stehen Ansprüche aus Tarifverträgen zwar grundsätzlich nur den Mitgliedern der Tarifvertragsparteien – und damit den Gewerkschaftsmitgliedern – zu. Zur Wahrung des Betriebsfriedens gewähren die Arbeitgeber aber in der Regel allen Arbeitnehmern die gleichen Leistungen durch Bezugnahmeklauseln in den Arbeitsverträgen. Aus tarifpolitischer Sicht „lohnt“ sich der Gewerkschaftsbeitritt für die Arbeitnehmer daher nach Ansicht der Gewerkschaften nicht. Arbeitnehmer, die auf diese Weise von Tarifverträgen profitieren, ohne Gewerkschaftsmitglied zu sein, werden von den Gewerkschaften häufig auch als Trittbrettfahrer bezeichnet.
2. Anerkennung durch die Rechtsprechung
Die Rechtsprechung erkennt solche Vorteilsregelungen grundsätzlich als zulässig an. Voraussetzung ist, dass es sich um eine sog. einfache Differenzierungsklausel handelt. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie in einem Tarifvertrag die Mitgliedschaft in der tarifschließenden Gewerkschaft ausdrücklich zur Anspruchsvoraussetzung macht. Allerdings darf eine solche Differenzierung keinen übermäßig großen, einem Zwang ähnlichen Druck ausüben, das Recht auf Fernbleiben von einer Koalition aufzugeben. Eine bloße Anreizfunktion sei unerheblich (BVerfG v. 14.11.2018 – 1 BvR 1278/16, ArbRB 2019, 1). Gegen diese Rechtsprechung bestehen erhebliche Bedenken (ausf. Jordanow/Kübler, NZA 2024,1015). In der Praxis muss man allerdings zunächst derzeit von deren Wirksamkeit ausgehen.
3. Bisherige Regelungen in Tarifverträgen
In der Vergangenheit fanden sich solche Sonderregelungen für Gewerkschaftsmitglieder häufig in Sanierungstarifverträgen, die für einzelne Unternehmen abgeschlossen wurden. Im Juni 2024 haben die Chemie-Sozialpartner IG BCE und BAVC erstmals in einem großen Flächentarifvertrag einen zusätzlichen Urlaubstag und einen zusätzlichen freien Tag in Jubiläumsjahren als Bonus für Gewerkschaftsmitglieder vereinbart.
4. Angestrebte tarifvertragliche Regelung in Konkurrenz zum Koalitionsvertrag?
Wenn Gewerkschaften derzeit in Tarifverhandlungen einen Gewerkschaftsbonus fordern, stellt sich die Frage, wie damit vor dem Hintergrund der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Begünstigung umzugehen ist. Im Ergebnis finden sich in der Praxis bisher zwei unterschiedliche Lösungen.
a) Absehen von einer Regelung
In manchen Fällen lässt die Gewerkschaft vor dem Hintergrund des Gesamtergebnisses Ihre Forderung fallen.
b) Gesprächsverpflichtungen
Es finden sich auch Regelungen, bei denen die Tarifvertragsparteien trotz eines gefundenen Tarifergebnisses das Thema weiterverfolgen wollen.
Beispiele hierfür sind
„Die Tarifvertragsparteien verpflichten sich, bis zum Ende der Laufzeit der Einkommenstarifverträge Gespräche über tarifliche Leistungen, die exklusiv den… Mitgliedern zugutekommen, zu führen.“ (Hintergrund: Die Laufzeit ist bis zum ein 31. Mai 2027)
oder
„Es wird ein Arbeitskreis „Stärkung der Tarifbindung“ gemäß dem Koalitionsvertrag der CDU/CSU-SPD Bundesregierung eingerichtet. Der Arbeitskreis nimmt seine Arbeit bis Ende 2025 auf.“