Hessisches LAG v. 1.12.2025 - 10 Ta 746/25
Arbeitsgericht bei Zwangsvollstreckung aus selbst erlassenem Titel auch zuständiges Gericht der Hauptsache
Hat ein Arbeitsgericht einen Titel erlassen, aus dem die Zwangsvollstreckung betrieben wird, ist es auch zuständiges Gericht der Hauptsache i.S.d. §§ 946 Abs. 1 ZPO und Art. 6 Abs. 3 EuKtPVO. Eine hinreichende Gefahr einer erheblichen Vollstreckungserschwernis i.S.d. Art. 7 Abs. 1 EuKtPVO liegt nicht schon dann vor, wenn die Schuldnerin ihre Niederlassung im Inland auflösen möchte, so dass der Arbeitnehmer die Zwangsvollstreckung im Ausland am Sitz der Arbeitgeberin durchführen müsste.
Der Sachverhalt:
Der Gläubiger begehrt in der Beschwerdeinstanz den Erlass eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung. Vor dem ArbG Frankfurt a.M. war ein Zahlungsrechtsstreit anhängig. Der Gläubiger machte einen Bonus für das Kalenderjahr 2023 geltend. Das Arbeitsverhältnis ist zum 31.12.2024 beendet worden. Die Schuldnerin ist eine Gesellschaft nach französischem Recht mit Sitz in Paris. Sie unterhielt in Deutschland eine Niederlassung.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung erging ein klagestattgebendes Versäumnisurteil über rd. 64.000 € Zinsen. Dieses Versäumnisurteil wurde der Schuldnerin am 8.4.2025 zugestellt. Die vollstreckbare Ausfertigung wurde am 19.5.2025 erteilt. Die Schuldnerin hat trotz Aufforderungsschreiben vom 28.5.2025 nicht gezahlt. Mit Schreiben vom 17.10.2025 legte der Gläubiger einen Antrag auf einen europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung vor.
Das ArbG lehnte den Antrag ab. Der Antrag sei zulässig, insbesondere sei das angerufene Gericht der Hauptsache zuständig. Der Antrag sei jedoch unbegründet, da nicht hinreichend dargetan worden sei, dass eine Sicherungsmaßnahme in Form eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung dringend erforderlich sei. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers hatte weder vor dem ArbG noch vorliegend vor dem LAG Erfolg.
Die Gründe:
Der Antrag ist zulässig. Sachlich zuständig ist nach § 946 Abs. 1 ZPO das Gericht der Hauptsache. Dies ist nach Art. 6 Abs. 3 EuKtPVO das Gericht, das den Titel erlassen hat, aus dem vollstreckt wird. Dadurch wird auch zugleich die internationale Zuständigkeit nach Art. 6 EuKtPVO begründet. Bei der titulierten Bonusforderung handelt es sich auch um eine Zivil- und Handelssache i.S.d. § 946 Abs. 1 ZPO. Das Unionsrecht definiert nicht selbst, was hierunter zu verstehen ist. Wie die Parallelregelung in Art. 1 Brüssel Ia-VO zeigt, fallen darunter auch Streitigkeiten aus Arbeitsverhältnissen. Die Bereichsausnahme i.S.d. Art. 2 Abs. 2 EuKtPVO, die z.B. erb- und güterrechtliche Rechtsstreitigkeiten erfasst, gilt hier nicht. Die §§ 946 ff. ZPO finden auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren aufgrund der Verweisung in § 62 Abs. 2 Satz 1 ArbGG Anwendung.
Der Antrag auf Erlass eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung ist unbegründet. Art. 7 Abs. 1 EuKtPVO bestimmt, dass das Gericht einen Beschluss zur vorläufigen Pfändung erlässt, wenn der Gläubiger hinreichende Beweismittel vorgelegt hat, die das Gericht zu der berechtigten Annahme veranlassen, dass eine Sicherungsmaßnahme in Form eines Beschlusses zur vorläufigen Pfändung dringend erforderlich ist, weil eine tatsächliche Gefahr besteht, dass ohne diese Maßnahme die spätere Vollstreckung der Forderung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner unmöglich oder sehr erschwert wird. Es ist ein Wahrscheinlichkeitsgrad im Bereich der überwiegenden bis hohen Wahrscheinlichkeit zu fordern, also ein Maß der Überzeugung zwischen der Glaubhaftmachung (überwiegende Wahrscheinlichkeit) und der vollen Überzeugung. Ein Vollbeweis ist nicht erforderlich.
Nach diesen Maßstäben ergibt sich, dass das ArbG mit Recht den Antrag auf Erlass eines europäischen vorläufigen Pfändungsbeschlusses abgelehnt hat. Der Umstand, dass die Schuldnerin die Mietverträge gekündigt hat und voraussichtlich demnächst eine Niederlassung nicht mehr in Deutschland unterhalten wird, würde dazu führen, dass der Gläubiger nicht mehr im Inland vollstrecken könnte. Ihm bleibt es aber unbenommen, aus dem Titel in ein Konto in Frankreich die Vollstreckung zu betreiben. Dies ist ihm auch nicht von vornherein unzumutbar, berücksichtigt man, dass die Arbeitgeberin eben eine Gesellschaft nach französischem Recht mit Sitz in Paris ist. Die allgemeine Last, eine Vollstreckung im Ausland zu versuchen, begründet noch keine dringende bzw. erhebliche Gefahr einer Vollstreckungsvereitelung.
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