LAG Köln v. 21.8.2025 - 8 GLa 14/24
Konkurrentenklage: Strukturiertes Interview statt dienstlicher Beurteilung als Auswahlinstrument
In Anbetracht des grundsätzlichen Vorrangs aktueller dienstlicher Beurteilungen als Auswahlinstrument kommt der Rückgriff auf alternative Auswahlmethoden - wie etwa strukturierte Auswahlgespräche - regelmäßig nur dann in Betracht, wenn ein Vorsprung auch unter "Ausschöpfung" der dienstlichen Beurteilungen nicht festgestellt werden kann oder wenn eine abschließende Entscheidung über Eignung, Leistung und Befähigung der Bewerber auf der Grundlage der dienstlichen Beurteilungen - etwa angesichts ihrer Verschiedenartigkeit - nicht möglich ist.
Der Sachverhalt:
Der heute 62-jährige Verfügungskläger ist als Ingenieur-Diplom (FH) im Studiengang Architektur seit 2008 bei der Verfügungsbeklagten in einem Angestelltenverhältnis beschäftigt. Seine Bruttovergütung betrug zuletzt 5.678,44 € pro Monat. Es gelten die Bestimmungen der Tarifverträge für den öffentlichen Dienst im Bund. Der Verfügungskläger ist in Entgeltgruppe E 11, Stufe 5 TVöD eingruppiert. In der letzten dienstlichen Beurteilung vom 30.9.2022 erhielt er die Gesamtbewertung 9,1 (erfüllt die Anforderungen vollständig).
Die Verfügungsbeklagte hatte am 12.7.2024 eine Stelle als Architektin/Architekt oder Bauingenieurin/Bauingenieur im Bereich Planung und Beratung (w/m/d) veröffentlicht. Als Qualifikation war ein abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschulstudium (Uni-Diplom/Master) der Fachrichtung Architektur oder Bauingenieurwesen oder eine vergleichbare Qualifikation gefordert. Der Verfügungskläger hat sich auf die Stellenausschreibung beworben. Am 16.9.2024 fand ein Auswahlverfahren in Form eines strukturierten Interviews statt, an dem auch der Verfügungskläger teilgenommen hat. Die Verfügungsbeklagte teilte ihm am 17.10.2024 mit, dass eine weitere interne Bewerberin das Anforderungsprofil vollumfänglich erfülle und damit der Verfügungskläger hinter der Konkurrentin im Wege der Bestenauslese zurückstehe. Eine weitergehende Begründung erfolgte zunächst nicht.
Die für die Stelle ausgewählte Konkurrentin ist bei der Verfügungsbeklagten seit 2020 als Baumanagerin tätig und in der Entgeltgruppe E 10 TVöD eingruppiert. Sie hat einen universitären Hochschulabschluss in Architektur. Der Verfügungskläger rügte, es sei nicht nachvollziehbar, wie die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle zustande gekommen sei und auf welcher Tatsachengrundlage die Beurteilung erfolgt sei. Die Verfügungsbeklagte behauptete, dass es 23 externe Bewerbungen und drei interne gegeben habe. Nach dem Auswahlverfahren in Form des strukturierten Interviews hätten im Ergebnis noch fünf Bewerber (einschließlich des Verfügungsklägers) zur Auswahl gestanden. Der Verfügungskläger habe von max. 65 Punkten jedoch die geringste Punktanzahl (41 Punkte) von allen Bewerbern erzielt.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Verfügungsklägers war vor dem LAG erfolgreich.
Die Gründe:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war zulässig und begründet. Der Verfügungskläger hat ein Recht auf vorläufige Sicherung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs nach Art. 33 Abs. 2 GG.
Aus dem Zweck des Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Verfügung leitet sich ab, dass die Stellenbesetzung zu untersagen ist, wenn es nach dem unstrittigen Sachverhalt und dem glaubhaft gemachten Sachvortrag des Klägers möglich erscheint, dass sein Bewerberverfahrensanspruch verletzt ist. Der Antrag ist in diesem Fall nur abzulehnen, wenn die Auswahl des Antragstellers auch bei einer fehlerfreien Auswahlentscheidung im Verhältnis zu den Mitbewerbern offensichtlich chancenlos sein wird.
Der Arbeitgeber ist zwar nicht gesetzlich verpflichtet eine dienstliche Beurteilung abzugeben, jedoch hat er auch ein Beurteilungsrecht. Wenn er dieses nutzt, sind die Beurteilungen als vergleichbares leistungsbezogenes Kriterium heranzuziehen. Als vorrangiges Auswahlkriterium ist auf die aktuellen dienstlichen Beurteilungen und insbesondere das abschließende Gesamturteil abzustellen, wenn die Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber in gleicher Weise wie Beamte dienstlich beurteilt werden.
Diesen Maßstäben war die Verfügungsbeklagte nicht gerecht geworden. Sie hatte in ihrer Auswahlentscheidung nach dem Auswahlvermerk die dienstlichen Beurteilungen der Bewerber nicht berücksichtigt und ihre Entscheidung lediglich auf die erreichten Punkte im strukturierten Interview gestützt. In dem vorgelegten Auswahlvermerk zur Stellenbesetzung wurden die dienstlichen Beurteilungen der Bewerber nicht erwähnt, obwohl sie die bei ihr beschäftigten Angestellten in gleicher Weise wie Beamte beurteilt.
In Anbetracht des grundsätzlichen Vorrangs aktueller dienstlicher Beurteilungen als Auswahlinstrument kommt der Rückgriff auf alternative Auswahlmethoden - wie etwa strukturierte Auswahlgespräche - regelmäßig nur dann in Betracht, wenn ein Vorsprung auch unter "Ausschöpfung" der dienstlichen Beurteilungen nicht festgestellt werden kann oder wenn eine abschließende Entscheidung über Eignung, Leistung und Befähigung der Bewerber auf der Grundlage der dienstlichen Beurteilungen - etwa angesichts ihrer Verschiedenartigkeit - nicht möglich ist. Im vorliegenden Fall war nicht ersichtlich, weshalb bei „Ausschöpfung“ der dienstlichen Beurteilung ein Vorsprung eines Bewerbers nicht angenommen werden konnte, so dass dann die Voraussetzungen für eine Heranziehung des Auswahlgesprächs nicht gegeben waren.
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