Otto Schmidt Verlag

BAG v. 9.9.2025 - 5 AZR 286/24

Mutterschutzlohn - Zuschuss zum Mutterschaftsgeld: Streit um Bestimmung des Referenzzeitraumes

Entgegen der Annahme des LAG ließ der Umstand, dass die in dem tariflichen Teilzeitmodell beschäftigten Arbeitnehmerinnen „zur Überbrückung der Wintermonate“ seit dem 1.11.2019 in den Monaten November bis Februar eine Winterzulage i.H.v. monatlich 400 € brutto erhalten hatten, nicht zwangsläufig den Schluss darauf zu, dass damit für diese stets der dreimonatige Referenzzeitraum galt.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist seit 2017 als Flugbegleiterin bei der Beklagten tätig. Ihr Arbeitsentgelt besteht aus festen Anteilen (u.a. einer Grundvergütung), Sonderzahlungen und variablen Bestandteilen (Mehrflugstundenvergütung und Bordverkaufsprovision). Der Einsatz der in diesem Modell teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer erfolgt während des Jahres in saisonal unterschiedlichem Umfang. Die Klägerin befand sich von März 2020 bis März 2022 in Kurzarbeit. Von Februar 2021 bis Januar 2022 erhielt sie keine Mehrflugstundenvergütung. Bordverkaufsprovision erzielte sie nur von August bis Dezember 2021. Im Februar 2021 sowie von November 2021 bis Januar 2022 zahlte die Beklagte ihr eine monatliche Winterzulage in unterschiedlicher Höhe.

Im Februar 2022 wurde die Klägerin schwanger. Wegen der Schwangerschaft bestand ab dem 6.4.2022 ein Beschäftigungsverbot. Das Kind kam am 6.12.2022. Die Schutzfristen nach § 3 Abs. 1 und 2 MuSchG liefen vom 15.10.2022 bis zum 31.1.2023. Seit Ende der Mutterschutzfrist bestand erneut ein Beschäftigungsverbot für die ihr Kind stillende Klägerin. Die Beklagte zahlte der Klägerin vom 6.4. bis zum 14.10.2022 sowie für die Monate ab dem 1.2.2023 Mutterschutzlohn. Seit April 2023 ist die Klägerin in Vollzeit angestellt. Im Rahmen des Mutterschutzlohns erhält sie u.a. die Grundvergütung entsprechend einer Vollzeitarbeitnehmerin.

Die Klägerin verlangte gerichtlich einen höheren Mutterschutzlohn und einen höheren Zuschuss zum Mutterschaftsgeld. Sie war der Ansicht, bei der Berechnung des Mutterschutzlohns sei auf den Referenzzeitraum November 2021 bis Januar 2022 abzustellen, wobei eine – ohne die Kurzarbeit zu zahlende – Winterzulage i.H.v. monatlich 400 € brutto zu berücksichtigen sei. Sie verlangte insofern die Zahlung von 9.720 € brutto. Die Beklagte war der Ansicht, bei der Berechnung sei auf einen zwölfmonatigen Referenzzeitraum abzustellen. Nach BAG-Rechtsprechung führe die Beschäftigung in einem Jahreszeitmodell zu einer Verlängerung des gesetzlich vorgesehenen Referenzzeitraums.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das LAG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Klägerin auch der Klageerweiterung im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat das BAG das Berufungsurteil weitestgehend aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.

Die Gründe:
Auf Grundlage der bisherigen Feststellungen konnte nicht beurteilt werden, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die geltend gemachten Differenzbeträge zum bereits gewährten Mutterschutzlohn i.H.v. monatlich 400 € brutto sowie für die Dauer des fortbestehenden Beschäftigungsverbots ab August 2024 einen um monatlich 400 € brutto höheren Mutterschutzlohn zu zahlen.

Bei der Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsentgelts ist grundsätzlich der gesetzlich festgelegte Referenzzeitraum zugrunde zu legen. Dieser ist regelmäßig auch dann maßgeblich, wenn die Frau vor oder nach dem Berechnungszeitraum mehr oder weniger verdient hat. Eine gewisse Schwankungsbreite ist jedem Referenzzeitraum und generell der Bildung eines Durchschnitts immanent und rechtfertigt daher für sich genommen noch keine Abweichung von dem in § 18 Satz 2 MuSchG vorgesehenen dreimonatigen Referenzzeitraum (vgl. BAG 31.5.2023 – 5 AZR 305/22). Allerdings gilt – ausnahmsweise – etwas anderes, wenn der dreimonatige Bezugszeitraum nicht geeignet ist, den Durchschnittsverdienst der Frau abzubilden. Dies kann etwa der Fall sein, wenn ihr Arbeitsverdienst in außergewöhnlichem Umfang monatlich schwankt.

Ob es im Ausgangsfall bei dem gesetzlichen Referenzzeitraum der letzten drei Kalendermonate vor dem Eintritt der Schwangerschaft bleibt oder ob – wie von der Beklagten angenommen – § 18 Satz 2 MuSchG ausnahmsweise extensiv dahingehend auszulegen ist, dass für die Berechnung des Mutterschutzlohns der Klägerin ein Referenzzeitraum von zwölf Monaten zugrunde zu legen ist, ließ sich nicht beurteilen. Entgegen der Annahme des LAG ließ der Umstand, dass die in dem tariflichen Teilzeitmodell beschäftigten Arbeitnehmerinnen „zur Überbrückung der Wintermonate“ seit dem 1.11.2019 in den Monaten November bis Februar eine Winterzulage i.H.v. monatlich 400 € brutto erhalten hatten, nicht zwangsläufig den Schluss darauf zu, dass damit für diese stets der dreimonatige Referenzzeitraum galt.

Zwar war die Winterzulage im Rahmen der Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsentgelts nach § 18 Satz 2 MuSchG berücksichtigungsfähig, da es sich bei ihr nicht um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt i.S.v. § 23a SGB IV handelte, das nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 MuSchG unberücksichtigt bleibt. Gem. § 23a Abs. 1 Satz 1 SGB IV sind einmalig gezahltes Arbeitsentgelt lediglich solche Zuwendungen, die nicht für die Arbeit in einem einzelnen Entgeltabrechnungszeitraum gezahlt werden. Die Winterzulage knüpfte hingegen an den monatlichen Entgeltabrechnungszeitraum an. Trotz ihrer Zahlung konnte je nach Lage des dreimonatigen Referenzzeitraums und nach Höhe der während der letzten zwölf Monate vor Beginn der Schwangerschaft von der Arbeitnehmerin erzielten variablen Vergütung nicht von vornherein und damit ausnahmslos angenommen werden, dass ein dreimonatiger Referenzzeitraum geeignet war, den durchschnittlichen Verdienst der Frau widerzuspiegeln.

Das LAG  wird zunächst feststellen müssen, ob ausnahmsweise zur Bestimmung des „durchschnittlichen Arbeitsentgelts“ nach § 18 Satz 2 MuSchG ein zwölfmonatiger Referenzzeitraum zugrunde zu legen ist. Hierfür ist die Höhe des festen als auch des variablen Arbeitsentgelts der Klägerin in den Monaten Februar 2021 bis Januar 2022 zu ermitteln, wobei etwaige Kürzungen infolge von Kurzarbeit, Arbeitsausfällen oder unverschuldeter Arbeitsversäumnis nach den Wertungen des § 21 Abs. 2 Nr. 2 MuSchG unberücksichtigt zu bleiben haben. Ggf. könnte auch eine Schätzung des durchschnittlichen Arbeitsentgelts der Klägerin nach § 287 ZPO in Betracht kommen. Erst wenn danach die Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsentgelts entsprechend des § 21 Abs. 1 und 2 MuSchG nicht möglich ist, ist nach § 21 Abs. 3 MuSchG das durchschnittliche kalendertägliche Arbeitsentgelt einer vergleichbar beschäftigten Person zugrunde zu legen.

Mehr zum Thema:

Aufsatz
Jörg Laber
Mutterschutz – Was gibt es Neues?
ArbRB 2025, 182

Aktionsmodul Arbeitsrecht
Otto Schmidt Answers ist in diesem Modul mit 5 Prompts am Tag enthalten! Nutzen Sie die Inhalte in diesem Modul direkt mit der KI von Otto Schmidt. Mit den Inhalten der erstklassigen Standardwerke zum Arbeitsrecht sowie der Fachzeitschriften ArbRB, DER BETRIEB, ZFA und ZAU. 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 24.11.2025 14:04
Quelle: BAG online

zurück zur vorherigen Seite