LAG Rheinland-Pfalz v. 12.11.2025 - 3 SLa 254/24
Unwirksame Kündigung eines Profifußballers wegen politischen Äußerungen in sozialen Netzwerken
Die politischen Äußerungen eines Profifußballers stellen keine Verletzungen der dem Verein aus dem Arbeitsverhältnis erwachsenden vertraglichen Rücksichtnahmepflicht dar, jedenfalls nicht im Licht der in diesem Zusammenhang maßgeblich zu berücksichtigenden und verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG). Dies gilt vor allem, wenn der Spieler weder den Hamas-Terror billigt noch Israel das Existenzrecht abspricht.
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist ein heute 30-jähriger niederländischer Profifußballer mit marokkanischen Wurzeln. Der Beklagte ist ein in Mainz ansässiger Verein, dessen 1. Herrenmannschaft Profifußball in der 1. Bundesliga spielt. In der Saison 2023/2024 war der Kläger zunächst in der niederländischen Eredivisie registriert und spielte ab dem 21.9.2023 als Lizenzfußballspieler zu einem monatlichen Bruttogehalt i.H.v. 150.000 € unter Ausschluss der ordentlichen Kündigung beim Beklagten. Der Spielervertrag konnte allerdings aus wichtigem Grund (§ 626 BGB) fristlos gekündigt werden. Zudem enthielt er eine Regelung zu Verhaltenspflichten der Lizenzspieler in der Öffentlichkeit und im Privatleben sowie eine Regelung in Sachen Vertraulichkeit.
Am 15.10.2023 hatte der Kläger auf seinem Instagram-Account in englischer Sprache u.a. einen Eintrag gepostet, der mit den Satz "From the river to the sea, palestina will be free" endete. Diesen Eintrag löschte er sieben Minuten später aufgrund eines Anrufs des Beklagten. Am 17.10.2023 fand zwischen dem Kläger und dem Vorstand des Beklagten ein persönliches Gespräch statt. Im Anschluss stellte der Beklagte den Kläger frei. Der Vorstand des Beklagten lud den Kläger zu einem letzten Gespräch am 30.10.2023 ein, das jedoch aufgrund der am 29.10.2023 festgestellten Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht stattfand. In einer Pressemitteilung vom 30.10.2023 verzichtete der Beklagte allerdings ausdrücklich auf ein etwa entstandenes Recht zum Ausspruch einer Kündigung. Der Kläger postete, ohne den River-Sea-Slogan zu wiederholen, dass er sich von seinen vorherigen Äußerungen nicht distanzieren würde.
Der Beklagte sah das Verhalten des Klägers in Verbindung mit den schweren Terroranschlägen der Hamas als nicht vereinbar mit den Werten des Clubs und kündigte dem Kläger am 2.11.202 fristlos. Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentlichen, fristlosen Kündigungen in deutscher und englischer Sprache aufgelöst worden war und hat den Beklagten zur Zahlung sämtlicher Gehälter verurteilt. Das LAG hat die Entscheidung weitestgehend bestätigt.
Die Gründe:
Die zulässige Klage war überwiegend begründet. Die außerordentlichen, fristlosen Kündigungen des Beklagten hatten das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet.
Die Kündigungen waren nicht nach § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt. Danach kann das Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dabei obliegt dem Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes.
Als "an sich" wichtiger Grund kommt sowohl die Verletzung vertraglicher Hauptpflichten als auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten in Betracht. Zu diesen Nebenpflichten zählt die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils. Der Arbeitnehmer ist nach § 241 Abs. 2 BGB auch außerhalb der Arbeitszeit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Durch ein rechtswidriges außerdienstliches Verhalten des Arbeitnehmers werden berechtigte Interessen des Arbeitgebers beeinträchtigt, wenn es negative Auswirkungen auf den Betrieb oder einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat. Eine Verletzung einer Nebenpflicht kann auch durch eine Äußerung in den sozialen Medien erfolgen.
Das Verhalten des Klägers im Nachgang zu dem Überfall der Terrororganisation Hamas am 7.10.2023 und seine Posts in den sozialen Medien rechtfertigten jedoch die außerordentlichen, fristlosen Kündigungen des Beklagten in den beiden Schreiben vom 2.11.2023 nicht. Der Beklagte konnte sich zur Rechtfertigung der vorgenannten Kündigungen nicht auf das Verhalten des Klägers in dem vorgenannten Zeitraum berufen. Schließlich hatte er in der auch vom Kläger zur Kenntnis genommenen Pressemitteilung vom 30.10.2023 auf ein etwa entstandenes Recht zum Ausspruch einer Kündigung wegen des ihm bekannten Verhaltens des Klägers ausdrücklich verzichtet.
Ansonsten fehlte es aber auch an einem "an sich" wichtigen Grund für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung. Die politischen Äußerungen des Klägers stellten keine Verletzungen der dem Kläger aus dem Arbeitsverhältnis erwachsenden vertraglichen Rücksichtnahmepflicht dar, jedenfalls nicht im Licht der in diesem Zusammenhang maßgeblich zu berücksichtigenden und verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG). Schließlich hatte der Kläger weder den Hamas-Terror gebilligt noch Israel das Existenzrecht abgesprochen. Selbst dann, wenn der Kläger in einem Post der Pressemitteilung des Beklagten vom 30.10.2023 unberechtigt widersprochen hätte und darin eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten zu sehen wäre und hierin ein "an sich" wichtiger Grund für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung gesehen werden könnte, hätte der Beklagte den Kläger wegen des Widerspruchs zunächst abmahnen müssen. Eine ordnungsgemäße Abmahnung des Klägers wegen gleichartiger Pflichtverletzungen lag allerdings nicht vor.
Mehr zum Thema:
Aktionsmodul Arbeitsrecht
Otto Schmidt Answers ist in diesem Modul mit 5 Prompts am Tag enthalten! Nutzen Sie die Inhalte in diesem Modul direkt mit der KI von Otto Schmidt. Mit den Inhalten der erstklassigen Standardwerke zum Arbeitsrecht sowie der Fachzeitschriften ArbRB, DER BETRIEB, ZFA und ZAU.
Beratermodul Medienrecht
Rechtssicherheit und Kompetenz mit dem Beratermodul Medienrecht. Für alle Fragen rund um die Recherche und Berichterstattung in Presse, Funk und neuen Medien.
Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. Wann immer es zeitlich passt: Für Fachanwälte bietet dieses Modul Beiträge zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat.




