LAG Düsseldorf v. 18.11.2025 - 3 SLa 699/24
Die Schichtmutter weint: Kündigung trotz vulgärer Kritik an Schichtführung nicht gerechtfertigt
Eine in vulgärer Sprache geäußerte Kritik, die sich auf die Art und Weise der Schichtführung in einem Verteilzentrum einer Handelsgruppe als solche bezieht, rechtfertigt keine Kündigung, wenn die Äußerungen nicht als schwerwiegende, persönlich herabwürdigende Beleidigungen gemeint und zu verstehen sind. Angesichts der besonderen Umstände einer Konfliktsituation einerseits sowie unter Abwägung der wechselseitigen Interessen andererseits kann der Ausspruch einer Kündigung unverhältnismäßig sein.
Der Sachverhalt:
Der Kläger arbeitete seit dem Jahr 2020 bei der Beklagten, die als Teil einer Handelsgruppe ein Verteilzentrum betreibt, zuletzt als "Sortation Associate" in Dauernachtschicht. Mit Schreiben vom 9.4.2024 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung mit dem Vorwurf, seinen Arbeitsplatz verlassen zu haben, sowie eine Abmahnung mit dem Vorwurf, Vorgesetzte beleidigt zu haben.
Am 24.8.2024 kam es zu Differenzen mit der neuen Vorgesetzten des Klägers. Die Beklagte behauptet, der Kläger habe ihre Anweisung, andere Mitarbeiter zu unterstützen, ignoriert und verlautbaren lassen, dass sie ihm nichts sagen könne; sie sei noch ein Kind. Als die Vorgesetzte ihn gebeten habe, die Halle zu verlassen, um sich zu beruhigen, habe der Kläger aufbrausend reagiert und auf Türkisch gesagt: "Du hast die Mutter der Schicht gefickt". Dem widerspricht der Kläger. Er habe in türkischer Sprache gesagt "Du hast die Schichtmutter weinen lassen". Dies bedeute im Deutschen sinngemäß, es werde in der Schicht viel Druck ausgeübt. Der türkische Ausdruck könne leicht missverstanden und mit der unanständigen Version der Beklagten verwechselt werden. Wegen der Entfernung und Lautstärke sei er falsch verstanden worden. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 18.9.2024 ordentlich zum 31.10.2024.
Das ArbG wies die Kündigungsschutzklage ab. Auf die Berufung des Klägers gab das LAG der Klage statt. Die Revision zum BAG wurde nicht zugelassen.
Die Gründe:
Der Kläger hat die Äußerungen im Wesentlichen so getätigt, wie von der Beklagten geschildert. Dies steht nach der Beweiserhebung und durch Vernehmung der Vorgesetzten, eines bei dem Gespräch anwesenden Kollegen und des Shift Managers, der mit den Beteiligten nach dem Vorfall gesprochen hatte, zur Überzeugung des Gerichts fest.
Aus den Aussagen der Zeugen ergab sich aber, dass die Äußerungen nicht als schwerwiegende, persönlich herabwürdigende Beleidigungen gemeint und zu verstehen waren. Es handelte sich danach um eine in vulgärer Sprache geäußerte Kritik, die sich auf die Art und Weise der Schichtführung als solche bezog. Angesichts der besonderen Umstände einer Konfliktsituation einerseits sowie unter Abwägung der wechselseitigen Interessen andererseits erscheint der Ausspruch einer Kündigung unverhältnismäßig.
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