LAG Niedersachsen v. 13.8.2025 - 2 SLa 735/24
Fristlose Kündigung wegen bewusst wahrheitswidriger Aussagen in einem Prozess gegen den Arbeitgeber
Bewusst wahrheitswidrige Erklärungen, die ein Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber abgibt, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess nicht gewinnen zu können, können geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Um vorsätzlich falsche Angaben handelt es sich, wenn die Prozesspartei die Unrichtigkeit ihrer Behauptungen kennt und deren Unwahrheit in ihren Erklärungswillen aufnimmt.
Der Sachverhalt:
Die Beklagte führt einen E-Bike-Fachhandel. Der 58-jährige Kläger ist seit Januar 2016 bei ihr beschäftigt. Bis Juni 2021 war er als Verkäufer in einer Filiale tätig. Ab Juli 2021 war er dann Filialleiter einer neu eröffneten Filiale. Am 11.12.2023 führte die Beklagte eine Inventur durch. Diese ergab, dass sieben Fahrräder fehlten. Am 27.12.2023 führte u.a. der Kläger eine erneute Inventur durch. Sie ergab, dass 12 Fahrräder fehlten. Bei fünf konnte der Verbleib aufgeklärt werden. Bei den anderen sieben war es nicht möglich.
Am 24.1.2024 hörten die Geschäftsführer der Beklagten den Kläger zu dem Verbleib der fehlenden Fahrräder und dem Verdacht von Schwarzgeldgeschäften an. Mit Schreiben vom selben Tag erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Hiergegen wehrt sich der Kläger gerichtlich. Außerdem forderte der Kläger von der Beklagten eine angeblich vereinbarte Bonuszahlung i.H.v. 10.000 €. Als Beweis legte er ein als Arbeitsvertrag (vom 15.1.2016) bezeichnetes Schriftstück vor, das die Beklagte allerdings nicht unterschrieben hatte. Die Kündigungsschutzklage des Klägers wurde der Beklagten am 7.2.2024 zugestellt. Mit Schreiben vom 21.2.2024, dem Kläger am selben Tag zugestellt, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die außerordentliche Kündigung vom 21.2.2024 sei unwirksam. Es liege kein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB vor. Dem Kläger könne nicht der Vorwurf gemacht werden, er habe im Prozess falsche Tatsachen vorgetragen. Ein vom Arbeitgeber nicht unterzeichneter Vertrag sei ohne weiteren Vortrag für sich genommen nicht dazu geeignet, einen Anspruch zu begründen. Die Behauptung eines Anspruches unterliege nicht der prozessualen Wahrheitspflicht. Hierbei handele es sich um die Äußerung einer Rechtsauffassung und nicht um einen Tatsachenvortrag. Soweit sich die Beklagte auf den Vorwurf der Schwarzgeschäfte berufe, sei schon nicht erkennbar, was die konkrete Pflichtverletzung des Klägers sein solle.
Auf die Berufung der Beklagten hat das LAG die Entscheidung abgeändert und die Klage weitestgehend abgewiesen.
Die Gründe:
Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.2.2024 beendet worden. Gem. § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
Ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB kann nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten, insbesondere eine Verletzung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht i.S.v. § 241 Abs. 2 BGB, die dem Schutz und der Förderung des Vertragszweckes dient, kann an sich ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein. Bewusst wahrheitswidrige Erklärungen, die ein Arbeitnehmer in einem Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber abgibt, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess nicht gewinnen zu können, können geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.
Ein Arbeitnehmer, der bewusst falsch vorträgt, um sich einen Vorteil im Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber zu verschaffen, verletzt ungeachtet der strafrechtlichen Relevanz seines Handelns in erheblicher Weise seine nach § 241 Abs. 2 BGB auch im gekündigten Arbeitsverhältnis bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Um vorsätzlich falsche Angaben handelt es sich, wenn die Prozesspartei die Unrichtigkeit ihrer Behauptungen kennt und deren Unwahrheit in ihren Erklärungswillen aufnimmt. Sie muss die Unvollständigkeit und Unrichtigkeit zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen.
Bei der gebotenen Anwendung vorstehender Grundsätze hat der Kläger einen versuchten Prozessbetrug zu Lasten der Beklagten begannen. Nach BAG-Rechtsprechung sind vollendete oder auch nur versuchte Eigentums- und Vermögensdelikte zum Nachteil des Arbeitsgebers an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen (BAG, 11.12.2003 - 2 AZR 36/03). Der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter haben im vorliegenden Kündigungsschutzverfahren wahrheitswidrig vorgetragen, um dem Kläger einen Vorteil hinsichtlich der geltend gemachten Bonuszahlung zu verschaffen.
In der Geltendmachung einer Forderung, auf die kein Anspruch besteht, kann eine schlüssige Täuschung über Tatsachen liegen. Voraussetzung dafür ist, dass die Erklärung über die Äußerung einer Rechtsauffassung hinausgeht, die als Werturteil nicht Gegenstand einer Täuschung sein kann, und zugleich einen greifbaren, dem Beweis zugänglichen Tatsachenkern enthält. Dies ist etwa der Fall, wenn mit dem Einfordern der Leistung ein Bezug zu einer unzutreffenden Tatsachenbasis hergestellt oder das Vorliegen eines den Anspruch begründenden Sachverhalts behauptet wird (BGH, 22.2.2017 - 2 StR 573/15).
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