Otto Schmidt Verlag

BVerfG v. 29.9.2025 - 2 BvR 934/19

Kirchenmitgliedschaft als Einstellungsvoraussetzung: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen BAG-Entscheidung

Das BVerfG hat der Verfassungsbeschwerde eines kirchlichen Arbeitgebers stattgegeben, die sich gegen ein Urteil richtete, mit dem das BAG (nach EuGH-Vorlage) den Arbeitgeber zur Zahlung einer Entschädigung verurteilt hatte, weil er eine konfessionslose Bewerberin für eine ausgeschriebene Stelle nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen hatte. Das BAG-Urteil verletzt den Arbeitgeber in seinem religiösen Selbstbestimmungsrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV, weil die bei der Anwendung der Schrankenbestimmung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vorgenommene Güterabwägung dem religiösen Selbstbestimmungsrecht des Arbeitgebers nicht in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang Rechnung trägt.

Der Sachverhalt:
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein kirchlicher Arbeitgeber für eine konkret zu besetzende Stelle die Mitgliedschaft in der Kirche verlangen darf und inwieweit die staatlichen Gerichte dies im Hinblick auf das religiöse Selbstbestimmungsrecht überprüfen können.

Der Beschwerdeführer ist ein kirchlicher Arbeitgeber. In einer Ausschreibung für eine Projektstelle gab er u.a. an: "Die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der ACK angehörenden Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag setzen wir voraus." Die konfessionslose Klägerin des Ausgangsverfahrens bewarb sich auf die ausgeschriebene Stelle, ohne sich zu ihrer Religionszugehörigkeit zu äußern. Sie wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Sie erhob daraufhin Klage zum ArbG und verlangte vom Beschwerdeführer gem. § 15 Abs. 2 AGG eine Entschädigung, weil sie aus religiösen Gründen benachteiligt worden sei. Das ArbG gab der Klage statt und sprach der Klägerin eine Entschädigung zu; das LAG wies die Klage ab. Ein Anspruch bestehe nicht, weil die unterschiedliche Behandlung wegen der Religion jedenfalls nach § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG gerechtfertigt sei.

Im Rahmen des von der Klägerin angestrengten Revisionsverfahrens leitete das BAG ein Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH ein. Es sei notwendig, die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG (Gleichbehandlungsrichtlinie) klären zu lassen. Der Bedeutungsgehalt dieser Bestimmung sei ausschlaggebend für die Auslegung von § 9 Abs. 1 AGG und insbesondere sei zu klären, welche Anforderungen an die Art der Tätigkeit oder die Umstände ihrer Ausübung als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation gem. Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie zu stellen seien und ob den staatlichen Gerichten eine umfassende Kontrolle obliege.

Der EuGH entschied, dass die Ablehnung eines Bewerbers mit der Begründung, die Religion sei nach der Art der betreffenden Tätigkeiten eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos dieser Kirche oder Organisation, Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können muss. Die Kontrolle der Einhaltung der in Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie festgelegten Kriterien liefe ins Leere, wenn sie in Zweifelsfällen keiner unabhängigen Stelle wie einem staatlichen Gericht obläge. Bei der Auslegung des Begriffs "wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte Anforderung" in Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie müssten die Gerichte einerseits beachten, dass die Legitimität des Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation nicht beurteilt werden dürfe, andererseits, dass das Recht der Arbeitnehmer, wegen der Religion keine Diskriminierung zu erfahren, nicht verletzt werde. Es obliege den nationalen Gerichten zu entscheiden, ob und inwieweit eine nationale Rechtsvorschrift wie § 9 Abs. 1 AGG im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie ausgelegt werden könne oder unangewendet bleiben müsse.

Das BAG verurteilte den Beschwerdeführer, an die Klägerin eine Entschädigung zu zahlen. § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG sei nicht mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar und müsse unangewendet bleiben. Auch § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG könne die unterschiedliche Behandlung wegen der Religion nicht rechtfertigen. Zwar bestehe vorliegend ein direkter Zusammenhang zwischen der beruflichen Anforderung und der ausgeschriebenen Tätigkeit. Auch unter Beachtung des Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaft stelle sich die Kirchenmitgliedschaft nach der Art der Tätigkeit oder den Umständen ihrer Ausübung jedoch nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung dar.

Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das BVerfG hob das Urteil des BAG auf und verwies die Sache dorthin zurück.

Die Gründe:
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des religiösen Selbstbestimmungsrechts durch die Anwendung der Vorgaben des EuGH rügt (inzidente Ultra-vires-Rüge). Das Urteil des BAG verletzt den Beschwerdeführer in seinem religiösen Selbstbestimmungsrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 i.V.m. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 Satz 1 Weimarer Reichsverfassung (WRV), weil die bei der Anwendung der Schrankenbestimmung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vorgenommene Güterabwägung dem religiösen Selbstbestimmungsrecht des Beschwerdeführers nicht in dem verfassungsrechtlich gebotenen Umfang Rechnung trägt.

Bei dem nach grundrechtlichen Maßstäben vorzunehmenden Ausgleich zwischen den Belangen religiöser Arbeitgeber und der Arbeitnehmer das Urteil des EuGH aus dem Vorlageverfahren zu berücksichtigen ist. Dies führt zu einer Konkretisierung der bisherigen verfassungsgerichtlichen Maßstäbe für die Zweistufenprüfung auf der Ebene der Beschränkung des religiösen Selbstbestimmungsrechts. Die Anpassung der Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts an die Vorgaben des unionsrechtlichen Rahmens ist hierbei kraft des Vorrangs des Unionsrechts zwingend. Der Vorrang des Unionsrechts entfällt vorliegend auch nicht, da das Urteil des EuGH keinen Ultra-vires-Akt darstellt. Es bestehen auch im Hinblick auf die Reichweite des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften im Bereich des Arbeitsrechts keine unüberwindbaren Widersprüche zwischen dem nationalen Verfassungsrecht und dem Unionsrecht.

Mangels Berücksichtigung des plausibel - und damit ausreichend - dargelegten christlichen Profils der verfahrensgegenständlichen Stelle überspannt das BAG in der Folge bei der Anwendung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG die nach Maßgabe der Rechtsprechung des EuGH zu beachtenden Vorgaben zulasten des religiösen Selbstbestimmungsrechts. Indem das BAG seine Sicht auf die ausgeschriebene Tätigkeit und deren Zusammenhang mit der Kirchenmitgliedschaft an die Stelle der Sicht des Beschwerdeführers setzt, wird das Interesse des Beschwerdeführers nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise gewichtet.

Die vom BAG geäußerten erheblichen Zweifel daran, dass die vom Beschwerdeführer geforderte berufliche Anforderung der Zugehörigkeit zu einer evangelischen oder der ACK angehörenden Kirche "wesentlich" i.S.v. § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG ist, lassen die gebotene Einbeziehung des religiösen Selbstbestimmungsrechts des Beschwerdeführers nicht erkennen. Auch soweit das BAG ausführt, dass die vom Beschwerdeführer formulierte berufliche Anforderung nicht gerechtfertigt ist, trägt es dem religiösen Selbstbestimmungsrecht nicht ausreichend Rechnung. Das BAG geht davon aus, dass der Beschwerdeführer weder eine Gefahr der Beeinträchtigung seines Rechts auf Autonomie noch seines Ethos dargetan habe. Auch insoweit ist nicht erkennbar, dass die Sicht des Beschwerdeführers auf den Inhalt und die Bedeutung der Aufgabe überhaupt in die Prüfung eingeflossen ist.

Mehr zum Thema:

Kurzbeitrag
EuGH-Generalanwältin: Kündigung wegen Kirchenaustritts ist diskriminierend
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Rechtsprechung (das angegriffene Urteil)
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Axel Groeger, ArbRB 2019, 99

Rechtsprechung (die Vorabentscheidung des EuGH)
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EuGH vom 17.04.2018 - C-414/16
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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 23.10.2025 16:25
Quelle: BVerfG PM Nr. 96 vom 23.10.2025

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