BAG v. 20.5.2025 - 1 AZR 120/24
Bezahlte Frühstückspause kann nicht einfach durch Betriebsvereinbarung abgeschafft werden
Eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung, nach der ein tarifgebundener Arbeitgeber den Arbeitnehmern künftig keine Freistellung von der Arbeitspflicht für eine Frühstückspause während der Arbeitszeit mehr gewährt, enthält keine Änderung eines betrieblichen Entlohnungsgrundsatzes und unterliegt damit nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats.
Der Sachverhalt:
Die Beklagte erbringt Beförderungsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr. Sie ist Mitglied im Arbeitgeberverband Deutscher Eisenbahnen e.V. (AGV Deutscher Eisenbahnen). Der Kläger ist im Betrieb der Beklagten seit 2004 als Werkstattmeister tätig. In § 12 Abs. 1 seines Arbeitsvertrags war vereinbart, dass Änderungen nur wirksam sind, wenn sie schriftlich vereinbart werden. Die Aufhebung des Schriftformerfordernisses bedarf ebenfalls der Schriftform. Der vom AGV Deutscher Eisenbahnen geschlossene Tarifvertrag sah selbst Regelungen für den Fall einer „Arbeitsversäumnis“ vor.
Die im Werkstattbereich beschäftigten Arbeitnehmer erhielten neben der gesetzlichen Ruhepause über viele Jahre während ihrer Arbeitszeit eine 15-minütige Frühstückspause unter Fortzahlung der Vergütung. Im September 2018 hatte die Beklagte mit dem Betriebsrat jedoch eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen, wonach die „bisher geübte Praxis der Vergütung einer 15-minütigen Frühstückspause im Werkstattbereich … dauerhaft und mit sofortiger Wirkung eingestellt“ werden sollte. Seitdem zahlt die Beklagte keine Vergütung mehr für eine Frühstückspause. Der Kläger nimmt eine solche Pause seitdem nicht mehr in Anspruch.
Der Kläger war der Ansicht, bei der Beklagten habe eine betriebliche Übung über die Gewährung einer bezahlten Frühstückspause im Werkstattbereich bestanden. Diese sei mangels Betriebsvereinbarungsoffenheit nicht durch die Regelung aus September 2018 abgelöst worden. Zudem liege ein Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG vor. Die Beklagte müsse ihm für jeden Tag, an dem er in den Jahren 2019 bis 2023 während seiner Arbeit keine Frühstückspause gemacht habe, 15 Minuten auf seinem Arbeitszeitkonto gutschreiben.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat die Entscheidung bestätigt. Auf die Revision des Klägers hat das BAG das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.
Die Gründe:
Die Annahme des LAG, eine möglicherweise rechtswirksam entstandene betriebliche Übung über die „Gewährung einer bezahlte[n] zusätzliche[n] Frühstückspause von 15 Minuten im Werkstattbereich“ sei jedenfalls durch die Regelung in § 1 Abs. 2 Unterabs. 2.1 BV Nr. 44 beseitigt worden, war unzutreffend. Die Bestimmung ist wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam.
Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG war nicht unter dem Gesichtspunkt einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit i.S.v. § 87 Abs. 1 BetrVG aufgehoben. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hat der Betriebsrat zwar nicht nur bei Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, sondern auch bei der Lage der Pausen mitzubestimmen. Die in dieser Norm angesprochenen Pausen sind jedoch nur Ruhepausen, durch die die Arbeitszeit unterbrochen wird, die also nicht selbst zur Arbeitszeit gehören. Eine Bestimmung, nach der eine bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht für eine Frühstückspause nicht mehr erfolgt, wird daher von diesem Mitbestimmungstatbestand nicht erfasst.
Gleiches gilt für § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Danach steht dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit zu. Um eine solche Maßnahme handelt es sich bei der hier vorliegenden Regelung aber nicht. Sie betrifft nicht die Dauer der für die Arbeitnehmer im Werkstattbereich geltenden Arbeitszeit, sondern lediglich die bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht für eine Frühstückspause. Der Umfang der betriebsüblichen Arbeitszeit im Werkstattbereich bleibt unverändert. Auch § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG greift nicht ein. Bei der Aufhebung einer täglichen, kurzzeitigen Freistellung von der Pflicht zur Erbringung von – ggf. schweren – Arbeiten handelt es sich nicht um eine auf den Arbeitsschutz abzielende Maßnahme.
Die nach den Behauptungen des Klägers bei der Beklagten bestehende betriebliche Übung – die durch die BV beendet werden sollte – bezieht sich ausschließlich auf eine Freistellung von der Arbeitspflicht. Die tarifgebundene Beklagte hat den Arbeitnehmern keine über das geschuldete Entgelt hinausgehende vermögenswerte Leistung zugewendet, sondern sie lediglich kurzfristig und situativ gebunden von ihrer Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung befreit. Damit hat sie nicht das Vermögen der begünstigten Arbeitnehmer gemehrt, sondern ihnen nur zusätzliche arbeitsfreie Zeit gewährt. Die Einstellung einer solchen Praxis führt gerade nicht dazu, dass sich der relative Abstand der jeweiligen Vergütungen zueinander geändert hätte. Die Arbeitnehmer im Betrieb erhalten – auch wenn die im Werkstattbereich tätigen Arbeitnehmer keine bezahlte Frühstückspause mehr nehmen können – weiterhin unverändert dieselbe Vergütung.
Die Sache ist allerdings noch nicht zur Endentscheidung reif, da der Senat auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht beurteilen kann, ob der Antrag, einem Arbeitszeitkonto Stunden „gutzuschreiben“, hinreichend bestimmt i.S.v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist. Das LAG wird dem Kläger Gelegenheit geben müssen, seinen Feststellungsantrag anzupassen.
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