LAG Rheinland-Pfalz v. 2.9.2025 - 4 SLa 200/24
Inlandsbezug des Betriebsbegriffs im KSchG
Für die Beschäftigtenzahl nach § 23 Abs. 1 KSchG ist regelmäßig nur auf Betriebsangehörige im Inland abzustellen. Im Fall wurde ein Einzelarbeitsverhältnis nach mehreren örtlichen Geschäftszweigverkleinerungen (allseits bewusst) mit deutschem Vertragsstatut an ein ausländisches Partnerunternehmen abgegeben, für das sich ersichtlich keine Betriebsvoraussetzungen zum deutschen Kündigungsschutz mehr ergeben konnten; jedenfalls in solcher Konstellation fehlen besondere Schutzgesichtspunkte, um Abweichungen vom Inlandsbezug des § 23 Abs. 1 KSchG anzunehmen.
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über etwaigen Kündigungsschutz nach ordentlicher, arbeitgeberseitiger Kündigung. Der 1963 geborene Kläger war seit 1994 in der technischen Beratung einer deutschen GmbH, die Fertigungsstoffe für die Produktion von Fliesen und Kacheln vertrieb, angestellt. Nach Zukäufen verlagerte diese Gesellschaft ihre Sparte Fliesen/Kacheln etwa 2001 in einen spanischen Unternehmenszweig; zeitnah begleitend schloss sie den Standort am Klägerwohnort bis auf einen Vorort-Bürobestand, von wo aus der Kläger noch arbeitete. Ab etwa 2012 war der Kläger allerdings der einzige noch in Deutschland verbliebene Spartenmitarbeiter; nur in anderen Unternehmenszweigen unterhielt die Gesellschaft andernorts noch Inlandsbeschäftigte. Zeitnah hierzu wiederum wurde auch der am Wohnsitzvorort des Klägers noch unterhaltene Bürobereich aufgegeben und die Kläger-Tätigkeit ins Home-Office verlagert.
Am 1.12.2020 vereinbarten die vorarbeitgebende Gesellschaft, der Kläger und die nunmehrige (zuletzt noch rubrumsgemäß umfirmierte) Beklagte einen "Dreiseitigen Vertrag", in dem der Wechsel des Klägers von der bisherigen Arbeitgeberin zu der Beklagten zum 1.12.2020 geregelt ist. Der Kläger war zuletzt im technischen Vertrieb der Beklagten in Gestalt von Kunden- und Herstellerkontakten befasst; er präsentierte hierbei die von der Beklagten lieferbaren Grundprodukte. Bereits seit Einbeziehung der spanischen Unternehmenssparte war es zu gemeinsamen Kundenbesuchen mit spanischen Kollegen gekommen. Zwei bis dreimal jährlich wurde der Kläger auch wochenweise im spanischen Labor eingesetzt. Sein technischer Schriftverkehr und das Berichtswesen gegenüber Vorgesetzten wie Leitung geschahen nach Spanien; hierhin waren auch die Urlaube und Krankheiten zu kommunizieren. Der Kläger verdiente zuletzt (einschließlich Dienstwagensachbezugs) mtl. rd. 7.600 € (brutto).
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers im März 2024 "ordentlich fristgemäß zum nächst zulässigen Zeitpunkt", d.h. dem 31.10.2024. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vorliegenden Klage. Er reklamiert die Geltung des allgemeinen Kündigungsschutzes und rügt die fehlende soziale Kündigungsrechtfertigung; ferner moniert er eine nicht ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung (ohne allerdings vorzutragen, ob und dass bei der Beklagten überhaupt ein solches Gremium eingerichtet wäre).
Das ArbG wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers hatte vor dem LAG keinen Erfolg.
Die Gründe:
Der Kläger kann allgemeinen Kündigungsschutz nach dem ersten Abschnitt des KSchG nicht beanspruchen.
Dem Kläger kommt mangels überschrittenen Schwellenwertes nach § 23 Abs. 1 KSchG der allgemeine Kündigungsschutz nicht zu. Für die maßgebliche Beschäftigtenzahl ist nur auf "Betriebsangehörige" im (deutschen) Inland abzustellen. Zwischen den Parteien herrscht zu diesem Grundverständnis an sich auch kein Streit; der Kläger selbst betont die prinzipielle Territorialbezogenheit des Kündigungsschutzgesetzes auf die Bundesrepublik Deutschland. Weiter stimmen die Parteien auch darin überein, dass es zuletzt außer dem Kläger keinerlei Inlandsbeschäftigte bei der Beklagten gab. Der Kläger meint zwar, es bedürfe der verfassungskonformen Auslegung des § 23 Abs. 1 KSchG unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG sowie seiner Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG (i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) dahin, dass neben seiner Person auch die in Spanien tätigen Beklagtenbeschäftigten in die Schwellenwertbemessung einbezogen würden. Hierzu fehlt es jedoch an den nach der gerichtlichen Praxis erforderlichen Zusammenhängen.
Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass das BVerfG in der Schwellenwertbestimmung einen verfassungsrechtlich nach Art. 12 Abs. 1 (i.V.m. Art. 2 Abs. 1) GG und Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden Interessenausgleich erkennt, der dem in kleineren Beschäftigungseinheiten typischerweise erhöhten arbeitgeberseitigen Schutzbedürfnis angesichts der mit weniger Arbeitskräften und höherer personeller Anfälligkeit angestrebten Geschäftserfolge Rechnung trage sowie angesichts einer von regelmäßig geringerer Finanzausstattung und kleinerer Leistungsfähigkeit geprägten Umgebung angemessen Rechnung trägt. Individuell Kündigungsbetroffenen stünden hinsichtlich ihrer Berufsfreiheit dem Geschehen auch nicht vollkommen schutzlos gegenüber, sondern könnten sich im Rahmen der zivilrechtlichen Generalklauseln gegen sitten- oder treuwidrige Arbeitsplatzverluste durchaus erwehren.
Um im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG allerdings sachfremde Ergebnisse auszuschließen, könne bei Einheiten größerer Unternehmen indes an eine verfassungskonforme Normauslegung gedacht werden. Beispielhaft wird deshalb eine Bejahung der Schwellenwertanforderung erwogen, soweit Betriebsleitungen im Ausland ansässig seien, im Gebiet der Bundesrepublik jedoch die ausreichende Zahl Arbeitnehmender beschäftigt wird. Als wesentlicher Anknüpfungspunkt für die schwellenwerterfüllende Einheit wird insgesamt zudem ausgemacht, dass sich die Arbeitsverhältnisse der einzubeziehenden Beschäftigten alle nach deutschem Recht richteten. Den Streitfall kennzeichnet keine dieser erwogenen Ausnahmen. Der Kläger ist einziger Inlandsbeschäftigter der Beklagten. Betriebssitz und weitere Beschäftigungen finden wesentlich nur in Spanien statt. Unter dortiger Betriebsstättenangabe wurde dem Kläger eben zuletzt die formulargemäße Arbeitsbescheinigung nach § 312 SGB III erteilt - wie zuvor bereits auch die mtl. Entgeltabrechnungen erteilt waren.
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