Otto Schmidt Verlag

LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 12.8.2024 - 5 SLa 128/24

Unwirksame Kündigung eines langjährig freigestellten Juristen wegen Nebentätigkeit in einer Anwaltskanzlei

Nach einer rund fünfjährigen vollständigen Freistellung kann es zulässig sein, im Rahmen einer Nebentätigkeit an anwaltlichen Mandaten gegen die Arbeitgeberin mitzuwirken, wenn ein Missbrauch vertraulicher Informationen aus dem Arbeitsverhältnis und eine Einflussnahme auf Entscheidungsträger zugunsten der Mandantschaft ausgeschlossen ist.

Der Sachverhalt:
Die Beklagte betreibt ein Universitätsklinikum mit ca. 4.000 Beschäftigten. Der 1966 geborene Kläger ist Volljurist und hatte bei der Beklagten 2007 eine Beschäftigung als Personaldezernent aufgenommen. Nachdem der Gesamtpersonalrat im März 2018 einer außerordentlichen Änderungskündigung hinsichtlich des Klägers nicht zugestimmt hatte, stellte die Beklagte ihn unwiderruflich von der Arbeit frei und erteilte ihm Hausverbot mit Ausnahme einer eigenen medizinischen Behandlung oder des Besuchs von behandelten Familienangehörigen 1. Grades.

Mit E-Mail vom 22.10.2021 teilte der Kläger der Beklagten mit, seine Wiederzulassung als Rechtsanwalt beantragt zu haben. Anfang 2022 gründete er zusammen mit dem Rechtsanwalt P. eine GbR. Am 14.1.2022 teilte der Kläger der Beklagten den Kanzleinamen mit und erklärte, in Auseinandersetzungen mit ihren Beschäftigten nicht als Sachbearbeiter tätig zu werden. Ein Schreiben vom 23.8.2023, unterzeichnet von Rechtsanwalt P., aber versehen mit dem Namen und dem Aktenkürzel des Klägers, betraf die Vertretung der rechtlichen Interessen einer Mitarbeiterin der Beklagten und deren beabsichtigte Entbindung von der Tätigkeit als Stationsleitung nebst Gehaltskürzung.

Die Beklagte beantragte am 7.9.2023 beim Personalrat die Zustimmung zu der beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger. Zur Begründung der Kündigungen bezog sich die Beklagte auf die gegen sie geführten Mandate der Anwaltskanzlei und einen sich daraus ergebenden Verstoß des Klägers gegen die Loyalitätspflicht. Der Personalrat stimmte der Maßnahme zu. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage entsprochen. Die Behauptung der Beklagten, der Kläger sei jedenfalls im Hintergrund beratend tätig gewesen, reiche ebenso wenig aus wie das anwaltliche Aktenzeichen des Klägers auf dem Briefbogen. Abgesehen davon habe die Beklagte den Kläger zu keinem Zeitpunkt abgemahnt. Das LAG hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt.

Die Gründe:
Die außerordentliche Kündigung war ebenso unwirksam wie die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung. Die außerordentliche Kündigung verstieß gegen § 626 Abs. 1 BGB, die ordentliche gegen § 1 KSchG.

Die Nebentätigkeit des Klägers in der Anwaltskanzlei kollidiert dem zeitlichen Umfang nach nicht mit dem Arbeitsverhältnis, da er aufgrund der vollständigen Freistellung keine Arbeitsleistungen zu erbringen hat. Die anwaltliche Tätigkeit verstößt nicht gegen das vertragliche Wettbewerbsverbot (§ 60 HGB), da die Kanzlei kein Wettbewerber der Beklagten ist. Der Bezug von Einnahmen aus der Anwaltstätigkeit beeinträchtigt die Interessen der Beklagten ebenfalls nicht. Vielmehr verringern sich dadurch ggf. die dem Kläger zu zahlenden Gehälter durch Erzielung anrechenbaren Zwischenverdienstes (§ 615 Satz 2 BGB).

Ob der Kläger in den Mandaten gegen die Beklagte – in welcher Art und Weise auch immer – im Hintergrund beratend tätig war, konnte dahinstehen. Selbst wenn er bei zumindest zwei oder auch vier Mandaten im Hintergrund beratend tätig gewesen wäre, also z.B. Schreiben entworfen, Mandantengespräche geführt oder einschlägige Rechtsprechung bzw. Literatur recherchiert hätte, läge angesichts der zu diesem Zeitpunkt annähernd fünf Jahre andauernden Freistellung mit Hausverbot und angesichts der Streitgegenstände sowie der vertretenen Personen keine pflichtwidrige, den Interessen der Beklagten zuwiderlaufende Nebentätigkeit vor. Selbst wenn eine beratende Tätigkeit im Hintergrund eine Pflichtverletzung darstellen würde, wäre diese nicht derart schwerwiegend, dass eine Abmahnung entbehrlich wäre.

Die – von der Beklagten behauptete – beratende Tätigkeit im Hintergrund wäre nur dann eine schwerwiegende Pflichtverletzung, deren Hinnahme erkennbar ausgeschlossen ist, wenn die Interessen der Beklagten in erheblichem Umfang beeinträchtigt worden wären bzw. dies zu befürchten wäre, also etwa bei erheblichen materiellen oder immateriellen Schäden, einem Missbrauch vertraulicher Informationen bzw. interner Kontakte oder dem Einsatz unlauterer Mittel. Rechtliche Auskünfte bei kleineren Meinungsverschiedenheiten zählen jedenfalls nicht hierzu. Es war vielmehr davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer berechtigten Abmahnung nach Rücksprache mit dem anderen Gesellschafter davon abgesehen hätte, Mandate gegen die Beklagte in der Kanzlei zu bearbeiten.

Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom war nach § 1 KSchG unwirksam, da sie nicht durch Gründe im Verhalten des Klägers bedingt war. Es fehlte, wie bereits dargelegt, an einer Pflichtverletzung.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 06.10.2025 14:28
Quelle: Landesrecht M-V

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