LAG Hamm v. 28.5.2025 - 18 SLa 959/24
15.000 € Entschädigung für permanente unzulässige Überwachung am Arbeitsplatz
Eine permanente unzulässige Überwachung nahezu der gesamten Betriebsräume und des Arbeitsplatzes über einen Zeitraum von 22 Monaten - trotz Widerspruchs des betroffenen Arbeitnehmers - stellt eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts dar und rechtfertigt die Zuerkennung einer Geldentschädigung i.H.v. 15.000 €.
Der Sachverhalt:
Die Beklagte produziert Stahlblöcke. Das Betriebsgelände umfasst eine Fläche von 33.000 qm mit einer Betriebshalle, die 15.000 qm groß ist. Das nicht eingefriedete Betriebsgelände befindet sich in einem Industriegebiet. Die Zufahrt ist mit einer Schranke gesichert. Innerhalb der Produktionshalle, des Lagers sowie der Büroräume befinden sich 34 Videokameras. Die meisten davon zeichnen 24 Stunden am Tag die gesamte Fläche mit einer Speicherdauer von 48 Stunden auf. Auch innerhalb der Büroräume befinden sich Kameras, die in „HD-Qualität“ aufnehmen. Die Bilder können „live“ so ausgewertet werden, wie sie aktuell aufgenommen werden. Durch Hinweisschilder, die sich an jeder Zugangstür befinden, wird auf die Videoüberwachung aufmerksam gemacht.
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1.8.2020 als Produktionsmitarbeiter beschäftigt. In seinem Arbeitsvertrag hatte er sich damit einverstanden erklärt, „dass im Rahmen der Zweckbestimmung des Arbeitsverhältnisses und unter Beachtung der Vorschriften des Datenschutzes die personenbezogenen Daten verarbeitet werden können.“ Die Kameraüberwachung war Gegenstand eines Rechtsstreits, den die Parteien 2023 geführt hatten. Er wurde durch Vergleich am 21.11.2023 beendet. Darin verpflichtete sich die Beklagte u.a. dazu, dem Kläger Auskunft über die Kameras zu erteilen, insbesondere bezüglich deren Betriebszeiten, Anzahl, Aufnahmen und Speicherdauer.
Mit einer Klage im Jahr 2024 hat der Kläger seine Ansprüche weiterverfolgt. Im Februar 2025 schlossen die Parteien einen Vergleich zur Erledigung des Kündigungsrechtsstreits. Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger die Beklagte auf Unterlassung der Videoüberwachung und Videoaufzeichnung, auf Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie auf Auskunftserteilung in Anspruch genommen. Die Beklagte behauptete, die Videoüberwachung diene der Arbeitssicherheit in der Produktion, im Lager, im Ladebereich und auf dem unübersichtlichen Außengelände.
Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Auskunftserteilung abgewiesen und ihr im Übrigen stattgegeben. Die Beklagte wurde verurteilt, eine Geldentschädigung i.H.v. 15.000 € an den Kläger zu zahlen. Das LAG hat die Zahlungspflicht im Berufungsverfahren bestätigt.
Die Gründe:
Dem Kläger steht ein Unterlassungsanspruch nicht mehr zu, da das Arbeitsverhältnis der Parteien beendet worden ist. Der Kläger kann von der Beklagten allerdings die Zahlung einer Geldentschädigung i.H.v. 15.000 € verlangen. Der Anspruch ergibt sich daraus, dass die Beklagte sein Persönlichkeitsrecht durch eine übermäßige Kameraüberwachung in rechtswidriger, schuldhafter und erheblicher Weise verletzt hat.
Der Anspruch folgte aus § 280 Abs. 1 BGB (die Beklagte hat die sie gem. § 241 Abs. 2 BGB treffende vertragliche Nebenpflicht, das Persönlichkeitsrecht des Klägers zu schützen, verletzt) und aus § 823 Abs. 1 BGB (das Persönlichkeitsrecht ist als sonstiges Recht durch § 823 Abs. 1 BGB geschützt), jeweils i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB. Es gehört zum Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen, selbst darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise verwendet werden dürfen. Ob ein Eingriff in das Recht am eigenen Bild durch Videoaufnahmen rechtswidrig ist, beurteilt sich nach den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes sowie der DSGVO.
Die (erleichterten) Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume gem. § 4 BDSG kamen im Streitfall nicht zum Tragen. Die Videoüberwachung war auch nicht nach § 26 Abs. 1 BDSG zulässig. Zudem schied eine Zulässigkeit nach Art. 6 DSGVO aus, denn es fehlte an einer wirksamen Einwilligung des Klägers i.S.d. Art. 6 Abs. 1 a DSGVO. Zwar hatte sich der Kläger laut Arbeitsvertrag mit der Verarbeitung personenbezogener Daten einverstanden erklärt. Damit hatte er jedoch nicht wirksam in die Videoüberwachung eingewilligt. Es fehlte schon an der erforderlichen Freiwilligkeit der Einwilligung (§ 26 Abs. 2 Satz 1 BDSG, Art. 7 Abs. 4 DSGVO).
Schließlich war die Videoüberwachung auch nicht nach Art. 6 Abs. 1 f DSGVO zulässig. Die Vorschrift erlaubt die Datenverarbeitung zur Wahrung berechtigter Interessen. Datenverarbeitende Maßnahmen, sollen sie nach Art. 6 Abs. 1 f DSGVO statthaft sein, müssen allerdings einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten (EuGH, Urt. v. 11.12.2019 - C - 708/18). Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift. Im Streitfall war die Videoüberwachung jedoch als unverhältnismäßig anzusehen. Die Beklagte hat z.B. nicht vorgebracht, inwiefern das Gefahrenpotential für die Arbeitnehmer so hoch ist, dass die Überwachung des gesamten Hallenbereichs notwendig erscheint, insbesondere bezogen auf den Arbeitsplatz des Klägers.
Das Hessische LAG (Urt. v. 25.10.2010 – 7 Sa 1586/09) hatte einen Arbeitgeber zur Zahlung einer Geldentschädigung i.H.v. 7.000 € für eine dreimonatige Dauerüberwachung verurteilt. Die im Streitfall erfolgte Kameraüberwachung war deutlich intensiver. Unter Berücksichtigung der Geldentwertung und des nicht geringen Verschuldens der Beklagten war eine Geldentschädigung i.H.v. 15.000 € angemessen. Die Beklagte hatte sich in eklatanter Weise über die Vorgaben des Datenschutzrechts hinweggesetzt.
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