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BGH v. 24.7.2025 - IX ZB 32/23

Prozessgericht für Streit um Einordnung der Energiepreispauschale als atypische Sozialleistung und dem Pfändungsschutz unterfallend zuständig

Die Frage, ob die Energiepreispauschale kraft Gesetzes unpfändbar ist, ist nicht im Insolvenzverfahren, sondern auf dem Prozessweg zu klären. Der Streit zwischen Schuldner und Insolvenzverwalter, ob die Energiepreispauschale eine atypische Sozialleistung darstellt und deshalb dem sozialrechtlichen Pfändungsschutz unterfällt, ist ebenfalls vor den Prozessgerichten und nicht vor dem Insolvenzgericht auszutragen.

Der Sachverhalt:
Der weitere Beteiligte ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 3.5. am 28.6.2018 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners. Der Arbeitgeber des Schuldners zahlte im September 2022 eine Energiepreispauschale aus. Den Nettobetrag i.H.v. 204 € erfasste der Arbeitgeber als gewöhnliche Pfändung und überwies einen entsprechenden Betrag auf ein von dem weiteren Beteiligten eingerichtetes Sonderkonto der Masse.

Auf Antrag des Schuldners vom 27.12.2022 bestimmte das AG - Insolvenzgericht, dass die dem Schuldner gewährte Energiepreispauschale ihm als unpfändbar zu belassen sei; die Freigabe von Beträgen aus der Insolvenzmasse sei mangels einer anderen gesetzlichen Grundlage nur über die analoge Anwendung der allgemeinen Vollstreckungsschutzvorschrift des § 765a ZPO möglich. Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten gab das LG dem weiteren Beteiligten auf, aus der Insolvenzmasse die (steuerbereinigte) Energiepreispauschale i.H.v. 204 € an den Schuldner zu erstatten.

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten hob der BGH den Beschluss des LG auf, als dem weiteren Beteiligten aufgegeben worden ist, aus der Insolvenzmasse die (steuerbereinigte) Energiepreispauschale an den Schuldner zu erstatten und lehnte den Antrag des Schuldners ab.

Das LG wies die Klage ab. Das OLG gab ihr teilweise statt und verurteilte die Beklagte, an den Kläger einen Betrag i.H.v. rd. 9.000 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Revision der Beklagten und die Anschlussrevision des Klägers hatten vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Frage, ob die Energiepreispauschale gem. § 122 Satz 2 EStG unpfändbar ist oder ob sie eine atypische Sozialleistung darstellt und deshalb Pfändungsschutz nach § 54 Abs. 2 SGB I genießt, ist nicht im Insolvenzverfahren, sondern auf dem Prozessweg zu klären. Soweit der Schuldner seinen Antrag auf die Unpfändbarkeit der Energiepreispauschale stützt, ist er somit unzulässig.

Gem. § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO ist das Insolvenzgericht für Entscheidungen zuständig, ob ein Gegenstand nach den in § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO genannten Vorschriften der Zwangsvollstreckung unterliegt. Das Gesetz nennt in § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO ausdrücklich § 850, § 850a, § 850c, § 850e, § 850f Abs. 1, § 850g bis § 850l, § 851c, § 851d, § 899 bis § 904, § 905 Satz 1 und 3 sowie § 906 Abs. 2 bis 4 ZPO. In der Rechtsprechung des Senats ist anerkannt, dass die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nach § 36 Abs. 4 InsO noch nicht aus der Anwendung vollstreckungsrechtlicher Beurteilungsnormen folgt. Seine Zuständigkeit als Vollstreckungsgericht nach § 36 Abs. 4 InsO hängt vielmehr davon ab, ob die Auseinandersetzung zwischen Insolvenzverwalter und Schuldner um die Massezugehörigkeit als solche geführt wird - dann gehört der Rechtsstreit vor das Prozessgericht - oder ob über die Zulässigkeit der Vollstreckung gestritten wird - dann entscheidet das Insolvenzgericht im Rahmen des § 36 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 InsO als Vollstreckungsgericht. Voraussetzung für die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts ist daher, dass die in Bezug genommenen Vorschriften der ZPO eine Maßnahme oder eine Entscheidung des Vollstreckungsgerichts vorsehen, für welche nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Insolvenzgericht zuständig wird.

Auf dieser Grundlage hat der Senat eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts als Vollstreckungsgericht etwa in den Fällen des § 850c Abs. 6, des § 850e Nr. 2 und 2a, des § 850f Abs. 1 und des § 850i ZPO, ferner für Beschlüsse über die Pfändbarkeit von Urlaubsgeld nach § 850a Nr. 2 ZPO, von Zuschlägen für Sonn- und Feiertagsarbeit und von Erschwerniszulagen nach § 850a Nr. 3 ZPO angenommen. In anderen Fällen hat der Senat eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts als Vollstreckungsgericht verneint, weil die Pfändbarkeit keiner gerichtlichen Anordnung bedurfte. Daher ist etwa der Streit um die Zusammenrechnung des in Geld zahlbaren Einkommens und der Naturalien gem. § 850e Nr. 3 ZPO auf dem Prozessweg zu klären, ebenso die Pfändbarkeit einer Rente aus einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung im Hinblick auf § 851c Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Danach liegt keine Vollstreckungshandlung vor, wenn der Insolvenzverwalter eine Forderung ohne Einschaltung der Gerichte zur Masse einzieht.

Eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts über die in § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO in Bezug genommenen Normen hinaus kommt vor diesem Hintergrund nur in Betracht, wenn das Gesetz dem Vollstreckungsgericht die Entscheidung über die Pfändbarkeit einer Forderung oder über die Höhe der Pfändung einer Forderung im Einzelfall konstitutiv zuweist. Dagegen ist eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nicht gegeben, wenn Streit besteht, ob eine Forderung kraft Gesetzes vom Insolvenzbeschlag erfasst ist. Der Insolvenzbeschlag von Forderungen entsteht kraft Gesetzes, soweit die Forderung pfändbar ist (§ 36 Abs. 1 Satz 1 InsO). Ist die Forderung kraft Gesetzes unpfändbar, ist sie vom Insolvenzbeschlag nicht erfasst. Einer (vollstreckungs)gerichtlichen Anordnung bedarf es hierfür nicht. Für einen klarstellenden Beschluss des Insolvenzgerichts ist mangels gesetzlicher Grundlage kein Raum. Dagegen bedarf es in Fällen, in denen das Gesetz dem Vollstreckungsgericht die Frage der Pfändbarkeit durch von § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO nicht in Bezug genommene Normen im Einzelfall konstitutiv zuweist, auch im Insolvenzverfahren einer gerichtlichen Entscheidung zur Klärung der Frage, ob (und ggf. in welcher Höhe) die Forderung zur Masse gezogen werden soll. Diese gerichtliche Entscheidung soll nach § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO im Insolvenzverfahren nicht das Vollstreckungsgericht, sondern stets das Insolvenzgericht treffen.

Der Senat bejaht deshalb eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts für Einzelfallanordnungen gem. dem - in § 36 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 InsO nicht genannten - § 765a ZPO, außerdem für die Entscheidung über einen Antrag des Insolvenzverwalters (§ 36 Abs. 4 Satz 2 InsO) gem. § 850b Abs. 2 ZPO, nach § 850b Abs. 1 ZPO grundsätzlich unpfändbare Bezüge, insbesondere Renten, nach den für Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften für pfändbar zu erklären, wenn nach den Umständen des Falles, insbesondere nach der Art des beizutreibenden Anspruchs und der Höhe der Bezüge, die Pfändung der Billigkeit entspricht. Dagegen besteht keine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts außerhalb des § 850b Abs. 2 ZPO, über die Unpfändbarkeit einer Rente nach § 850b Abs. 1 ZPO zu entscheiden. Danach besteht keine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts entsprechend § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO zur Entscheidung über die Unpfändbarkeit der Energiepreispauschale gem. § 122 Satz 2 EStG. Die Unpfändbarkeit tritt kraft Gesetzes ein, ohne dass es einer gerichtlichen Anordnung oder Mitwirkung bedarf. Das Insolvenzgericht hat mangels einer gesetzlichen Grundlage keine Befugnis, dies zwischen den Beteiligten verbindlich zu klären. Ebenfalls rechtsfehlerhaft hat das LG seine Entscheidung hilfsweise auf § 54 Abs. 2 SGB I gestützt. Auch der Streit zwischen Schuldner und Insolvenzverwalter, ob es sich bei der Forderung um eine der Regelung des § 54 SGB I unterfallende Sozialleistung handelt, ist vor den Prozessgerichten und nicht vor dem Insolvenzgericht auszutragen.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 30.09.2025 14:10
Quelle: BGH online

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