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LAG Schleswig-Holstein v. 19.8.2025 - 1 Sa 104/25

Kündigung nach geschmacklosem Scherz in WhatsApp-Gruppe

Grundsätzlich müssen dem Betriebsrat bekannte, einen bestimmten Kündigungsgrund betreffende Umstände im Rahmen der Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG dem Betriebsrat nicht noch einmal mitgeteilt werden. Das gilt aber nicht für den Fall, dass der Arbeitgeber im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses eine selbständige andere Pflichtverletzung in das Verfahren einführen will.

Der Sachverhalt:
Kläger ist bei der Beklagten seit 2018 im Bereich Logistik, Patiententransport der Werkfeuerwehr beschäftigt. Im Juli 2024 hatte der Kläger in der Uniform der Werkfeuerwehr über den Außenlautsprecher eines Gerätewagens der Werkfeuerwehr den Tod seines Kollegen L. im Stil einer knapp zweiminütigen Traueransprache verkündet. Die Ansprache ließ er von einem anderen Kollegen filmen und stellte sie am gleichen Tag in eine WhatsApp-Gruppe ein, in welcher mehrere Kollegen des Klägers und auch Herr L. Mitglied waren.

Am 4.10.2024 erfuhr die Geschäftsführerin der Beklagten von dem Video und ordnete eine weitere Aufklärung des Sachverhalts an. Herr L. erklärte am 9.10.2024, er habe das Video als Scherz eingeordnet. Der Kläger, der sich vom 30.9. bis 20.10.2024 zunächst in einer "Freiwoche" und dann im "frei" befand, erklärte bei seiner Anhörung am 21.10.2024, die Kollegen der WhatsApp-Gruppe spielten sich öfter entsprechende Späße und teilten diese untereinander.

Mit E-Mail vom 25.10.2024 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses an. Dieser widersprach den Kündigungen noch am gleichen Tag. Mit Schreiben vom 30.10.2024 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise fristgemäß. Gegen die Kündigungen hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben. Er war u.a. der Ansicht, die Beklagte habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Schließlich fehle es an einem Kündigungsgrund, denn er habe das Video während seiner Arbeitspause gedreht.

Die Beklagte war der Ansicht, sie habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Die Anhörung sei wegen der Abwesenheit des Klägers nicht früher möglich gewesen. Außerdem machte die Beklagte während des Kündigungsschutzprozesses geltend, der Kläger habe für die Videoaufnahme das Fahrzeug von der eigentlich vorgesehenen Einsatzposition in das Feuerwehrhaus umgeparkt. Ein zuvor dort abgestelltes Fahrzeug habe er vorher entfernt. Er habe hierdurch die Einsatzbereitschaft der Werkfeuerwehr gefährdet.

Das Arbeitsgericht hat die Unwirksamkeit der Kündigungen festgestellt und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung verurteilt. Das LAG hat die Entscheidung im Berufungsverfahren bestätigt.

Die Gründe:
Die fristlose Kündigung der Beklagten war unwirksam. Es fehlte an einem wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB.

Der Kläger hatte das Video während seiner Arbeitspause gedreht. Einen Verstoß gegen die Pflicht zur Erbringung seiner Arbeitsleistung hat er daher nicht begangen. Zwar hatte der Kläger mit dem Inhalt des Videos – der "Traueransprache" - seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten (§ 241 Abs. 2 BGB) verletzt. Denn zum schützenswerten Interesse der Beklagten gehört auch die Wahrung des Betriebsfriedens, also eines reibungs- und störungsfreien Betriebsablaufs. Allerdings war das Video erkennbar nur als geschmackloser "Scherz" zu erkennen. Außerdem hatte der Kläger das Video ausschließlich in der WhatsApp-Gruppe mit seinen Kollegen eingestellt. Vor diesem Hintergrund war der Umstand, dass der Kläger mit dem Gerätewagen ein Betriebsmittel genutzt und bei der Aufnahme eine Uniform der Werkfeuerwehr getragen hatte, nicht geeignet, den Ruf der Beklagten zu beschädigen.

Für die Frage, ob ein wichtiger Grund an sich vorgelegen hat, war davon auszugehen, dass der Kläger den Gerätewagen nicht zuvor in die Garage umgeparkt hatte. Sollte diese Behauptung der Beklagten zutreffen, handelte es sich um einen eigenständigen und völlig anders gelagerten Pflichtenverstoß des Klägers. Selbst wenn dem Betriebsrat die Tatsache, dass der Kläger den Gerätewagen umgeparkt hatte, bekannt gewesen sein sollte, hätte ihm von der Beklagten ausdrücklich mitgeteilt werden müssen, dass sie hierauf die Kündigung stützen will. Das war nicht geschehen, sodass ein etwaiger Pflichtenverstoß durch das Umparken nicht berücksichtigt werden konnte.

Grundsätzlich müssen dem Betriebsrat zwar bekannte, einen bestimmten Kündigungsgrund betreffende Umstände im Rahmen der Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG dem Betriebsrat nicht noch einmal mitgeteilt werden. Das gilt aber nicht für den Fall, dass der Arbeitgeber im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses eine selbständige andere Pflichtverletzung in das Verfahren einführen will. Selbst wenn diese dem Betriebsrat bekannt gewesen sein sollte, scheidet ein Nachschieben dieses Kündigungsgrundes im Kündigungsschutzprozess aus, wenn dem Betriebsrat nicht mitgeteilt wurde, dass - auch auf diesen selbständigen - Kündigungssachverhalt die Kündigung gestützt werden soll.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.09.2025 13:10
Quelle: Landesregierung Schleswig-Holstein

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