LAG Köln v. 19.8.2025 - 7 SLa 647/24
Unangemessene Benachteiligung durch Klausel zur Rückzahlung von Fortbildungskosten
Eine Rückzahlungsklausel ist auch dann unangemessen benachteiligend i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn sie den Arbeitnehmer, der das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Bindungsdauer kündigt, weil es ihm z.B. aufgrund eines durch eigene leichteste Fahrlässigkeit verursachten Unfalls nicht mehr möglich ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, zur Erstattung der Fortbildungskosten verpflichten soll. Eine Rückzahlungsklausel im Vertrag eines Brandmeisteranwärters, die vorsieht, dass die während der 18-monatigen Ausbildung zum Brandmeister gezahlte Bruttovergütung bei einem vorzeitigen Ausscheiden zeitratierlich zurückzuzahlen ist, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Rückzahlung von Ausbildungskosten. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin, die E O GmbH, schloss mit dem Beklagten unter dem 25.2.2022 einen Arbeitsvertrag, nach dem der Beklagte ab dem 1.4.2022 als Brandmeisteranwärter in der Abteilung Brandschutz am Standort W eingestellt wird. Gleichzeitig schlossen sie eine sog. "Fortbildungsvereinbarung". Danach sollte der Beklagte vom 1.4.2022 bis 30.9.2023 an einer Weiterbildung zum Feuerwehrmann bei der Feuerwehr der Stadt E teilnehmen. Die Teilnahme erfolge im Interesse der beruflichen Fort- und Weiterbildung des Beklagten und ihm fließe hieraus ein verwertbarer Vorteil zu. Der E O GmbH verpflichtete sich, sämtliche Kosten der Fortbildung zu tragen.
In § 4 "Rückzahlungsverpflichtung: Weiterbildungskosten" ist u.a. geregelt, dass der Beklagte sich verpflichtet, die nach §3 vom Arbeitgeber tatsächlich übernommenen Kosten ganz oder teilweise an diesen zurückzuzahlen, wenn das Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Jahren nach erfolgreicher Beendigung der Fortbildung beendet wird. In § 5 "Rückzahlungsverpflichtung: Freistellungsvergütung (brutto)" war zudem geregelt, dass der Beklagte sich darüber hinaus verpflichtet, die nach § 2 vom Arbeitgeber während der Freistellung gezahlte (Bruttomonats-)Vergütung - ohne Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung - ganz oder teilweise an diesen zurückzuzahlen.
Im Februar 2022 teilte die E O GmbH dem Beklagten mit, dass für die Weiterbildung voraussichtlich Kosten i.H.v. 88.500 € entstehen werden (Ausbildungskosten: rd. 16.000 €, Freistellungsvergütung: rd. 72.500 €). Der Beklagte absolvierte vertragsgemäß seine Ausbildung zum Feuerwehrmann / Brandmeister. Das Arbeitsverhältnis des Beklagten ging im Rahmen eines Betriebsübergangs zum 1.1.2023 auf die jetzige Klägerin über. Der Beklagte verzichtete auf einen Widerspruch gegen den Betriebsübergang. Nach Abschluss der Ausbildung zahlte die Klägerin das Gehalt des Beklagten zunächst nur unvollständig aus. Die Nachzahlungen erfolgten erst im Dezember 2023 und Januar 2024. Im Januar 2024 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen ordentlich zum 29.2.2024. Daraufhin machte die Klägerin die anteilige Rückzahlung von Fortbildungskosten i.H.v. rd. 70.000 € geltend (rd. 10.000 € Fortbildung; rd. 60.000 € Vergütung). Der Beklagte leistete keine Zahlung.
Das ArbG wies die Klage ab. Die Berufung der Klägerin hatte vor dem LAG keinen Erfolg. Die Revision zum BAG wurde zugelassen.
Die Gründe:
Die Klägerin hat gegen den Beklagten weder einen Anspruch auf Rückzahlung der Ausbildungskosten noch auf Rückzahlung der während der Ausbildung gezahlten Vergütung.
Die Rückzahlungsklausel in § 4 der Fortbildungsvereinbarung führt zu einer unangemessenen Benachteiligung des Beklagten i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB und ist deshalb unwirksam. Für den in einer Rückzahlungsklausel verwendeten Begriff des Vertretenmüssens kommen zwei vertretbare Auslegungsmöglichkeiten in Betracht: Der Begriff kann i.S.d. § 276 BGB als Verschulden durch vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten interpretiert werden. Er kann aber auch als dahingehend interpretiert werden, dass er alle Gründe umfasst, die aus der jeweiligen Verantwortungs- und Risikosphäre stammen. Es ist die Auslegung zu wählen, die dem Vertragspartner des Verwenders, also dem Beklagten, zum Erfolg verhilft. Dies ist die zweite Auslegungsmöglichkeit. Denn mit diesem Verständnis (Sphäre des Arbeitnehmers) des "Vertretenmüssens" erweist sich die Rückzahlungsklausel wie dargelegt als unangemessen benachteiligend i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Darüber hinaus ist die Klausel auch dann unangemessen benachteiligend i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn man von einem Vertretenmüssen i.S.d. § 276 BGB in Form der Fahrlässigkeit ausgeht. Zwar ist das BAG bislang nur von einer unangemessenen Benachteiligung ausgegangen, wenn die dauerhafte Leistungsunfähigkeit vom Arbeitnehmer unverschuldet war. Hier ist aber auch die besondere Eigenart des Arbeitsverhältnisses im Feuerwehrdienst zu beachten. Es handelt sich um eine gefährliche Arbeit mit besonderen Risiken und besonderen Ansprüchen an die körperliche Leistungsfähigkeit. Das Risiko einer dauerhaften Leistungsunfähigkeit ist deutlich höher als bei vielen anderen Berufen. Wenn der Beklagte einen Unfall erleidet, den er durch leichteste Fahrlässigkeit verursacht hat und der zu einer Feuerwehrdienstuntauglichkeit führt, müsste er während der Bindungsfrist ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis fortführen, um einer Rückzahlungsverpflichtung aufgrund einer Eigenkündigung zu entgehen, und zwar nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums sogar ohne Gegenleistung des Arbeitgebers. Hieran kann die Arbeitgeberin kein ernsthaftes und billigenswertes Interesse haben. Ebenso verbliebe aber auch beim Arbeitnehmer kein Mehrwert der Ausbildung, da er den Beruf nicht mehr ausüben kann, weder bei der Klägerin, noch sonst irgendwo.
Die Rückzahlungsklausel in § 5 der Fortbildungsvereinbarung führt ebenfalls zu einer unangemessenen Benachteiligung des Beklagten i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB und ist deshalb unwirksam. Es handelt sich bereits nicht um eine "Freistellungsvergütung", sondern um eine Vergütung für geleistete Arbeit i.S.d. § 611a Abs. 2 BGB. Eine Freistellung bewirkt die Suspendierung der Hauptleistungspflicht, nämlich die Pflicht zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeit. Vorliegend ist der Beklagte als Brandmeisteranwärter eingestellt. Arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung des Beklagten war es, eine Ausbildung zum Brandmeister zu durchlaufen. Diese Arbeitsleistung hat der Beklagte erbracht. Folgerichtig haben die Parteien auch in der Fortbildungsvereinbarung geregelt, dass die Ausbildung als Arbeitszeit angesehen wird.
Eine erbrachte Arbeitsleistung als Freistellung zu deklarieren, um dann die Freistellungsvergütung zurückfordern zu können, ist nicht nur unangemessen benachteiligend, sondern verstößt auch gegen gesetzliche Bestimmungen wie § 611a Abs. 2 BGB, §§ 2, 3 EFZG, §§ 1, 11 BUrlG. Letztlich ist auch die Erstattungspflicht ihrem Umfang nach dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben nicht zumutbar. Denn sie umfasst maximal die Bruttovergütung für einen Zeitraum von 18 Monaten, vorliegend rd. 70.000 €. Dies sind mehr als zwei Netto-Jahresvergütungen eines dienstjungen Brandmeisters im öffentlichen Dienst. Der Beklagte geht mithin vollkommen zu Recht davon aus, dass die Klausel ruinös und damit unangemessenen benachteiligend i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist.
Mehr zum Thema:
Aufsatz
Rückzahlungspflicht von Fortbildungskosten bei Eigenkündigung des Arbeitnehmers
Lukas Baumgarth, DB 2025, 1217
DB1470649
Kurzbeitrag (siehe unter 21.10.2025)
BAG-Terminvorschau Oktober 2025
ArbRB 2025, 265
ARBRB0082717
Rechtsprechung
Zur Unwirksamkeit einer Rückzahlungsklausel für Studienkosten
BAG vom 09.07.2024 - 9 AZR 227/23
Daniela Range-Ditz, ArbRB 2025, 2
ARBRB0074628
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