BAG v. 20.5.2025 - 1 ABR 11/24
Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs
Ein Einigungsstellenspruch ist unwirksam, wenn der den Betriebsparteien vom Vorsitzenden der Einigungsstelle übermittelte Spruch im Vergleich zu dem von der Einigungsstelle beschlossenen nicht alle Bestandteile enthält und damit unvollständig ist. Eine rückwirkende Heilung durch Übersendung einer vollständigen Beschlussfassung ist nicht möglich.
Der Sachverhalt:
Die Arbeitgeberin stellt Kupfer- und Kupferlegierungsbänder her. Sie ist Mitglied im METALL NRW Verband der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen e.V. (AGV Metall NRW). Der Antragsteller ist der bei ihr gebildete Betriebsrat. Die Arbeitgeberin hatte die BV 2016 zum 31.7.2021 gekündigt, weil die unter ihren Geltungsbereich fallenden Arbeitnehmer künftig ein Zeitengelt mit Leistungszulage erhalten sollten. Nachdem die Beteiligten hierüber keine Einigung erzielen konnten, riefen sie die tarifliche Einigungsstelle an.
Die Beteiligten trafen im Rahmen des Einigungsstellenverfahrens am 8.4.2022 eine Absprache für den Fall, dass es zu einem Wechsel „in den Entgeltgrundsatz Zeitentgelt“ kommen sollte. Die Einigungsstelle fasste – nach Einholung eines Sachverständigengutachtens – am 5.10.2022 einen Spruch. In Teil I des Spruchs waren insgesamt 31 Kostenstellen angeführt. In dem am 5.10.2022 zur Entscheidung gestellten und von den Mitgliedern der Einigungsstelle mehrheitlich beschlossenen Spruch war dort darüber hinaus die Kostenstelle 1147 (Fertigbeize) enthalten. Nachdem die Arbeitgeberin auf deren Fehlen hingewiesen hatte, berichtigte der Vorsitzende den Spruch am 8.12.2022 entsprechend.
Mit seinem am 7.10.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag hat der Betriebsrat geltend gemacht, Teil I des Spruchs sei unwirksam. Die Einigungsstelle habe damit ihren Regelungsauftrag nicht erfüllt. Auch habe sie den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt. Das eingeholte Sachverständigengutachten bilde keine ausreichende Grundlage für eine Entscheidung. Zudem überschreite die Regelung in Teil I des Spruchs die Grenzen billigen Ermessens. Darüber hinaus sei die Berichtigung des Spruchs durch den Vorsitzenden der Einigungsstelle unzulässig.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats abgewiesen. Das LAG hat die Entscheidung bestätigt. Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin und die Anschlussrechtsbeschwerde des Betriebsrats hat das BAG den Beschluss des LAG aufgehoben und festgestellt, dass Teil I des Spruchs der Einigungsstelle vom 5.10.2022 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 8.12.2022 rechtsunwirksam ist.
Die Gründe:
Der angefochtene Teil I des Spruchs war unwirksam, weil der Spruch nicht den formalen Vorgaben des § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG genügte. Der von der Einigungsstelle am 5.10.2022 gefasste Spruch war den beiden Beteiligten nicht vollständig vom Vorsitzenden zugeleitet worden. Ein Einigungsstellenspruch ist unwirksam, wenn der den Betriebsparteien vom Vorsitzenden der Einigungsstelle übermittelte Spruch im Vergleich zu dem von der Einigungsstelle beschlossenen nicht alle Bestandteile enthält und damit unvollständig ist.
Der Vorsitzende der Einigungsstelle konnte den Verstoß gegen das Zuleitungsgebot nach § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG nicht durch einen „Berichtigungsbeschluss“ heilen. Das Einigungsstellenverfahren ist mit Zugang des mit Zuleitungswillen den Betriebsparteien übermittelten Einigungsstellenspruchs abgeschlossen und lediglich im Fall einer gerichtlich festgestellten Unwirksamkeit des Spruchs fortzusetzen. Eine rückwirkende Heilung durch Übersendung einer vollständigen Beschlussfassung ist daher nicht möglich (vgl. auch BAG 13.8.2019 – 1 ABR 6/18). Selbst wenn ggf. analog § 1058 ZPO oder analog § 319 ZPO eine Berichtigung bloßer Schreibfehler oder ähnlicher offenbarer Unrichtigkeiten eines Spruchs möglich wäre, hätte hierüber die Einigungsstelle als Ganzes und nicht allein ihr Vorsitzender zu entscheiden.
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