Otto Schmidt Verlag

ArbG Düsseldorf v. 13.8.2025 - 13 Ca 2388/25

Diskriminierung wegen Schwerbehinderung - Verbindung mit Agentur für Arbeit

Auf die Schwere des Verschuldens kommt es bei der Vermutungswirkung nach § 22 AGG nicht an. Werden die Verfahrens- und Förderpflichten (hier: Verbindung mit Agentur für Arbeit) nicht eingehalten, ist dies ein Anzeichen dafür, dass sich der Arbeitgeber nicht hinreichend um die Befolgung gekümmert hat und insbesondere seine Mitarbeiter nicht genügend geschult hat.

Der Sachverhalt:
Der heute 50-jährige Kläger ist zu 90 % schwerbehindert und gehört zu den nach § 155 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d SGB IX im Arbeitsleben besonders betroffenen Menschen. Er hat Betriebswirtschaftslehre sowie Rechtswissenschaft studiert und ist promovierter Jurist. Er hat bereits als Rechtsanwalt arbeitet, Startup-Unternehmen in den USA sowie Deutschland gegründet und diese verkauft. Zuletzt war er im Bereich Devices & Partnering der Chief Innovation Evangelist tätig.

Die Beklagte beschäftige 2024 rund 3.625 Personen. In ihrem Unternehmen gibt es einen Betriebsrat und eine Schwerbehindertenvertretung. Sie hatte am 10.2.2025 die Stelle „Abteilungsreferent Digitalisierung & Automatisierung“ ausgeschrieben. Der zuständige Sachbearbeiter setzte allerdings nicht das erforderliche Häkchen, um einen Vermittlungsauftrag an die Bundesagentur für Arbeit zu erteilen.

Der Kläger bewarb sich am 12.2.2025 auf die ausgeschriebene Stelle bei der Beklagten. In seiner Bewerbung gab er seine Schwerbehinderung an. Am 26.2.2025 forderte die Beklagte den Kläger zur Angabe seiner Gehaltsvorstellungen auf. Mit E-Mail vom 5.3.2025 teilte sie ihm mit, dass sie seine Bewerbung nicht weiter berücksichtigen könne. Die Beklagte lehnte auch die weiteren 518 Bewerber auf die Stelle aus unterschiedlichen Gründen ab. Sie entschied sich am 20.3.2025, bis auf Weiteres keinen Abteilungsleiter Digitalisierung & Automatisierung einzustellen.

Der Kläger behauptete, dass zwischen der Beklagten, dem Betriebsrat und der Schwerbehindertenvertretung kein Einvernehmen bestanden habe, dass grundsätzlich alle Stellen auch für schwerbehinderte Bewerber geeignet seien. Die Beklagte habe keine konkrete Prüfung durchgeführt. Sie habe die Stellenanzeige nicht an die Bundesagentur für Arbeit übermittelt. Der Sachbearbeiter habe das erforderliche Häkchen nicht nur aus bloßer Unachtsamkeit nicht gesetzt. Der Kläger forderte von der Beklagten eine Entschädigung i.H.v. 37.500 € gem. § 15 Abs. 2 AGG. Die Beklagte war der Ansicht, dass der Kläger nicht benachteiligt worden sei, weil sie die Stelle nicht besetzt habe und verweigerte die Zahlung.

Das Arbeitsgericht gab der Klage teilweise statt.

Die Gründe:
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, deren Höhe die Kammer mit 10.625 € bemessen hat.

Der Kläger wurde dadurch unmittelbar i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt, dass er von der Beklagten für die ausgeschriebene Stelle nicht berücksichtigt worden war, denn er hat eine weniger günstige Behandlung erfahren als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Darauf, ob es überhaupt andere Bewerberinnen und Bewerber gegeben hat, ob deren Bewerbungen Erfolg hatten und ob sie die Stelle angetreten haben, kam es nicht an (vgl. BAG 27.3.2025 - 8 AZR 123/24).

Der Kläger hat zudem ein hinreichendes Indiz i.S.v. § 22 AGG vorgetragen, das eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung vermuten ließ. Die Beklagte hatte mit der Agentur für Arbeit nicht ordnungsgemäß i.S.v. § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX Verbindung aufgenommen. Es fehlte an der Erteilung eines Vermittlungsauftrags. Es lag außerdem ein Verstoß gegen § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX mit der Folge vor, dass die Vermutungswirkung nach § 22 AGG eingegriffen hat. Auf die Schwere des Verschuldens kommt es dabei nicht an. Werden die Verfahrens- und Förderpflichten nicht eingehalten, ist dies ein Anzeichen dafür, dass sich der Arbeitgeber nicht hinreichend um die Befolgung gekümmert hat und insbesondere seine Mitarbeiter nicht genügend geschult hat.

Die Beklagte hat die aus dem Verstoß gegen § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX folgende Vermutung einer Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung nicht widerlegt. Die Kausalitätsvermutung kann zwar im Einzelfall nach § 22 AGG widerlegt sein, wenn der Arbeitgeber darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass der erfolglose Bewerber eine formale Qualifikation nicht aufweist oder eine formale Anforderung nicht erfüllt, die unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit oder den Beruf an sich ist. Diese Anforderungen hat der Vortrag der Beklagten allerdings nicht erfüllt. Sie hatte nicht erklärt, dass sie bei der Behandlung aller Bewerbungen nach einem bestimmten Verfahren vorgegangen war.

Bei der Bemessung war ein Bruttojahresgehalt i.H.v. 85.000 € zugrunde zu legen. Durch eine Entschädigung i.H.v. 1,5 auf der Stelle erzielbaren Bruttomonatsverdiensten wird der Kläger angemessen entschädigt Es waren keine Umstände erkennbar, die einen höheren Grad von Verschulden der Beklagten belegen konnten, weshalb auch keine Veranlassung bestand, die Entschädigung höher festzusetzen. Auf die Frage, ob die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG die Kappungsgrenze von drei Monatsgehältern nicht übersteigen durfte, weil der Kläger auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, kam es nicht an

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 10.09.2025 16:20
Quelle: Justiz NRW

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