Otto Schmidt Verlag

BAG v. 3.6.2025 - 9 AZR 137/24

Berechnung des Urlaubsabgeltungsanspruchs – Referenzzeitraum

Die Inanspruchnahme voller Erwerbsminderungsrente ist nicht vorwerfbar und rechtfertigt daher keine Schmälerung des Urlaubsentgelts. Hat der Arbeitnehmer im Referenzzeitraum seine Arbeit unverschuldet versäumt, ist sein gewöhnlicher Arbeitsverdienst für die nach dem Arbeitsvertrag geschuldete regelmäßige Arbeitszeit zugrunde zu legen. Bei Arbeitnehmern mit gleichmäßiger täglicher Arbeitszeit und konstanter Tagesvergütung bedarf es keiner ins Detail gehenden Berechnung.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin war bei der Beklagten vom 1.12.2012 bis 31.5.2022 mit einer Arbeitszeit von sechs Stunden an fünf Arbeitstagen wöchentlich beschäftigt. Ihr jährlicher Urlaubsanspruch betrug 26 Tage. Vom 8.12.2018 bis zum 30.9.2019 war sie arbeitsunfähig krank. Sie bezieht seit Oktober 2019 volle Erwerbsminderungsrente. In einer Aufstellung vom 31.12.2018 wies die Beklagten für das Jahr 2018 einen Resturlaubsanspruch der Klägerin i.H.v. 16 Tagen aus.

Die Klägerin war der Ansicht, der Urlaubsanspruch für 2018 habe bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch bestanden und sei daher abzugelten. Für die Berechnung der Anspruchshöhe sei der gesetzliche Mindestlohn maßgeblich, der zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegolten habe. Insofern forderte sie von der Beklagten Zahlung von 942,72 € brutto.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das LAG hat das Urteil teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin für 16 Urlaubstage aus 2018 einen Betrag i.H.v. 942,72 € brutto nebst Zinsen zu zahlen. Es hat die Revision zugelassen, soweit es die Beklagte zu einer über 848,64 € hinausgehenden Zahlung verurteilt hat. Die Revision der Beklagten blieb vor dem BAG erfolglos.

Die Gründe:
Das LAG hat die Anspruchshöhe rechtsfehlerfrei und unter Zugrundelegung des zutreffenden Geldfaktors berechnet.

Zutreffend ist das LAG davon ausgegangen, dass für jeden Urlaubstag 58,92 € brutto in Ansatz zu bringen sind. Es hat die richtigen Berechnungsgrundsätze nach § 11 BUrlG angewandt und ist insbesondere auch zutreffend davon ausgegangen, dass bei der Ermittlung des Geldfaktors auf die gewöhnliche – im Fall der Klägerin hypothetische – Vergütung in den 13 Wochen vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses abzustellen ist. Gem. § 7 Abs. 4 BUrlG ist Urlaub abzugelten, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Der Abgeltungsanspruch ist entsprechend § 11 BUrlG zu berechnen. Die Höhe errechnet sich, ebenso wie die des Urlaubsentgelts, aus einer Multiplikation von Zeit- und Geldfaktor. Maßgeblich sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung (BAG 16.4.2024 – 9 AZR 165/23).

Hat der Arbeitnehmer im Referenzzeitraum seine Arbeit unverschuldet versäumt, ist sein gewöhnlicher Arbeitsverdienst für die nach dem Arbeitsvertrag geschuldete regelmäßige Arbeitszeit zugrunde zu legen. Verdienstkürzungen, die im Berechnungszeitraum infolge von Kurzarbeit, Arbeitsausfällen oder unverschuldeter Arbeitsversäumnis eintreten, führen nach § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrlG zu keiner Minderung des Abgeltungsanspruchs. Zu den Zeiten unverschuldeter Arbeitsversäumnis zählen auch solche, in denen der Arbeitnehmer Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht. Mangels einer Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dürfen sie sich bei der Bemessung der Urlaubsvergütung nicht zu Lasten des Arbeitnehmers auswirken.

Kann der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung aufgrund einer vollen Erwerbsminderung nicht erbringen, wird ihm die Arbeitsleistung unmöglich. Er wird nach § 275 Abs. 1 BGB von der Pflicht zur Arbeitsleistung frei (BAG 7.7.2020 – 9 AZR 245/19). Die Anknüpfung in § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI an Krankheit und Behinderung macht deutlich, dass die eingetretene Arbeitsversäumnis unverschuldet ist. Die Inanspruchnahme voller Erwerbsminderungsrente ist nicht vorwerfbar und rechtfertigt daher keine Schmälerung des Urlaubsentgelts. Dieses Verständnis entspricht den Vorgaben des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG, deren Umsetzung u.a. § 11 Abs. 1 Satz 3 BUrlG dient.

Den danach von der Beklagten gem. § 7 Abs. 4 BUrlG geschuldeten Abgeltungsbetrag hat das LAG nach § 1 i.V.m. § 11 Abs. 1 BUrlG zutreffend berechnet. Unschädlich war, dass die Klägerin den Anspruch nicht auf einen Referenzzeitraum von 13 Wochen bezogen detailliert berechnet, sondern die Vergütung von sechs Arbeitsstunden täglich für jeden Urlaubstag in Ansatz gebracht hatte. Bei Arbeitnehmern mit gleichmäßiger täglicher Arbeitszeit und konstanter Tagesvergütung bedarf es keiner ins Detail gehenden Berechnung. Die Klägerin hat sechs Arbeitsstunden je Arbeitstag geschuldet. Ihr Resturlaub betrug 16 Tage für das Jahr 2018. Unter Berücksichtigung des im Jahr 2022 (bis zum 30.6.) geltenden Mindestlohns ergab sich eine von der Beklagten noch zu leistende Urlaubsabgeltung i.H.v. 942,72 € brutto (sechs Stunden x 9,82 € brutto x 16 Tage).

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 01.09.2025 11:09
Quelle: BAG online

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