Otto Schmidt Verlag

LAG Sachsen-Anhalt v. 28.7.2025 - 1 Ta 34/25

Mehrvergleich bei Zeugnis im Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG

Der Arbeitgeber wird in der Regel nicht dazu bereit sein, dem Arbeitnehmer (Auszubildenden) ein Arbeitszeugnis zu erteilen, das den Anforderungen des Arbeitnehmers (Auszubildenden) entspricht, der regelmäßig ein mindestens „gutes“ Zeugnis haben möchte. Diese Typisierung in I 25.1.3 des Streitwertkataloges ist auf das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG zu übertragen.

Der Sachverhalt:
In dem Hauptsacheverfahren stritten die Beteiligten zu 1) bis 3) im Beschlussverfahren um die Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Beteiligten zu 4) gem. § 103 BetrVG. Letztere war als Auszubildende bei der Antragstellerin beschäftigt. Gleichzeitig war sie Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung. Am 15.11.2023 hatte die Antragstellerin und Beteiligte zu 1) die Ersetzung der Zustimmung des Beteiligten zu 2), des bei der Antragstellerin gebildeten Betriebsrates, zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung der Beteiligten zu 4) begehrt. Grund dafür war der Vorwurf, die Beteiligte zu 4) habe über ihre Arbeitsunfähigkeit getäuscht und eine gefälschte Bescheinigung vorgelegt.

Mit nach § 278 Abs. 6 ZPO festgestellten Vergleich vom 11.3.2024 haben die Beteiligten zu 1) und zu 4) eine umfassende Regelung zur Beendigung des Ausbildungsverhältnisses getroffen. Darin hatte sich die Beteiligte zu 1) verpflichtet, der Beteiligten zu 4) ein wohlwollendes, qualifiziertes Zeugnis durchgehend mit der Bewertung von Leistung und Verhalten „gut“ zu erteilen. Außerdem sollte die Beteiligte zu 4) die Kosten für die Einschaltung ihrer Bevollmächtigten in dem Beschlussverfahren selbst tragen.

Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Beteiligten zu 4) für das Verfahren und den Vergleich auf 2.687 € festgesetzt. Ein Vergleichsmehrwert i.H.v 895,67 € sei entgegen der Ansicht der Prozessbevollmächtigten der Beteiligten zu 4) nicht anzunehmen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde war vor dem LAG erfolgreich.

Die Gründe:
Durch den Vergleichsabschluss war die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt worden.

Die Kammer folgt in der Regel den Anregungen des Streitwertkataloges für die Arbeitsgerichtsbarkeit in der derzeitigen Fassung vom 1.2.2024. Dies entspricht der seitens des Arbeitsgerichts in Bezug genommenen und gefestigten Rechtsprechung zum Vergleichsmehrwert. Danach fällt gemäß Abschnitt I Nr. 25.1 ein Vergleichsmehrwert nur an, wenn durch den Vergleichsabschluss ein weiterer Rechtsstreit und/oder außergerichtlicher Streit erledigt und/oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt werden. Dabei muss gerade über die Frage des Anspruchs oder Rechts in Bezug auf die jeweilige Regelung zwischen den Parteien Streit und/oder Ungewissheit bestanden haben; keine Werterhöhung tritt ein, wenn es sich lediglich um die Gegenleistung zur Beilegung des Rechtsstreits handelt. Abzustellen ist auf die Umstände zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses.

Die Grundsätze hinsichtlich der Berücksichtigung eines Vergleichsmehrwertes für ein qualifiziertes Zeugnis bei einer verhaltensbedingten Kündigung sind auf das vorliegende Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG zu übertragen. Mit seinem Antrag hatte der Arbeitgeber deutlich gemacht, dass er die Beendigung des Arbeitsverhältnisses (bzw. hier des Ausbildungsverhältnisses) aus verhaltensbedingten Gründen anstrebte. Angesichts der prägludierenden Wirkung der Entscheidung über die Zustimmungsersetzung für das spätere Kündigungsschutzverfahren konnte es dazu kommen, dass sich Arbeitgeber und Auszubildender bereits im Rahmen des Zustimmungsersetzungsverfahrens über die Aufhebung des Ausbildungsverhältnisses verständigen würden.

Wie bei einer verhaltensbedingten Kündigung ist auch im Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG regelmäßig anzunehmen, dass Ungewissheit über den Inhalt eines zu erteilenden Arbeitszeugnisses besteht. Denn das Verhalten des Arbeitnehmers (Auszubildenden) – das in einem Arbeitszeugnis zu beurteilen ist – wurde vom Arbeitgeber ja gerade dadurch beanstandet, dass er beabsichtigt, eine außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung auszusprechen. Der Arbeitgeber wird daher in der Regel nicht dazu bereit sein, dem Arbeitnehmer (Auszubildenden) ein Arbeitszeugnis zu erteilen, das den Anforderungen des Arbeitnehmers (Auszubildenden) entspricht, der regelmäßig ein mindestens „gutes“ Zeugnis haben möchte. Diese Typisierung in I 25.1.3 des Streitwertkataloges ist auf das Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 BetrVG zu übertragen.

Mehr zum Thema:

Aufsatz
Christian Moderegger
Neues aus dem Zeugniswald – Ein Wegweiser
ArbRB 2025, 57

Aufsatz
Hannah Lotte
Die Schlussformel im Arbeitszeugnis
DB 2025, 1077

Beratermodul Arbeitsrecht
Otto Schmidt Answers optional dazu buchen und die KI 4 Wochen gratis nutzen! Die Answers-Lizenz gilt für alle Answers-fähigen Module, die Sie im Abo oder im Test nutzen. Jetzt zahlreiche, bewährte Formulare mit LAWLIFT bearbeiten! 4 Wochen gratis nutzen!



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.08.2025 10:12
Quelle: Landesrecht Sachsen-Anhalt

zurück zur vorherigen Seite