Otto Schmidt Verlag

LAG Baden-Württemberg v. 24.7.2025 - 17 Sa 5/25

Befangenheit: Beschluss gegen Ablehnungsgesuch - Unterschrift ehrenamtliche Beisitzer notwendig?

Ein Beschluss gem. § 49 Abs. 1 ArbGG bedarf zu seiner Wirksamkeit lediglich der Unterschrift bzw. qualifizierten elektronischen Signatur des zur Entscheidung berufenen Vorsitzenden der Kammer. Es ist hingegen nicht erforderlich, dass auch die an der Entscheidung mitwirkenden ehrenamtlichen Beisitzer den vollständig abgesetzten Beschluss (analog § 69 Abs. 1 Satz 1 ArbGG bzw. § 315 Abs. 1 Satz 1 ZPO) bzw. die Beschlussformel (analog § 60 Abs. 3 Satz 2 ArbGG) unterschreiben oder qualifiziert elektronisch signieren.

Der Sachverhalt:
In der Hauptsache stritten die Parteien im Wesentlichen um die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung. In erster Instanz hatte die Klägerseite u.a. das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung gerügt. Die Kündigungsschutzklage war vor dem Arbeitsgericht erfolgreich. Dieses begründete die Unwirksamkeit der Kündigung mit dem Ergebnis einer umfassenden - zugunsten des Klägers erfolgten - Interessenabwägung.

Im Rahmen des von der Beklagten eingeleiteten Berufungsverfahrens wies die Vorsitzende Richterin mit Verfügung vom 14.7.2025 u.a. darauf hin, dass derzeit erhebliche Bedenken hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung vor Ausspruch der Kündigung bestünden. Mit Schriftsatz vom 16.7.2025 lehnte die Beklagte daraufhin die Vorsitzende Richterin wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Sie war der Ansicht, mit dem Hinweis der Vorsitzenden sei belegt, dass diese eine unzulässige Überprüfung der Betriebsratsanhörung von Amts wegen vorgenommen habe. Sie rügte eine unsachliche Verfahrensleitung und mangelnde Neutralität.

Das LAG hat das Ablehnungsgesuch der Beklagten zurückgewiesen.

Die Gründe:
Es bestand keine Besorgnis der Befangenheit. Die Vorsitzende hatte mit der Hinweisverfügung die Äquidistanz zu den Parteien nicht aufgegeben oder sich gar zur Beraterin des Klägers gemacht. Sie hatte vielmehr die Beklagte darauf hingewiesen, dass diese ihrer primären Darlegungslast zur Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung bislang nicht nachgekommen war und ihr damit die Möglichkeit gegeben, ihren Vortrag zu ergänzen.

Infolgedessen hielt sich der Hinweis im Rahmen von § 139 ZPO. Es lag kein - und erst recht kein besonders schwerwiegender - Verstoß gegen den Beibringungsgrundsatz vor. § 139 Abs. 1 ZPO verpflichtet das Gericht, im Rahmen der gestellten Anträge auf die Beibringung der zur Rechtsfindung notwendigen Tatsachen und Beweismittel hinzuwirken. Damit einher geht seine in § 139 Abs. 2 ZPO geregelte Pflicht zum Führen eines Rechtsgesprächs, in dem die Parteien auf rechtliche Gesichtspunkte hingewiesen werden sollen. Danach muss das Gericht dann auf einen Gesichtspunkt hinweisen und Gelegenheit zur Stellungnahme geben, wenn eine Partei diesen Gesichtspunkt erkennbar übersehen hat oder das Gericht ihn anders beurteilt als beide Parteien (BAG 24.1.2007 – 4 AZR 28/06).

Hier hatte die Vorsitzende den Unwirksamkeitsgrund aus § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht unter Verstoß gegen den Beibringungsgrundsatz neu ins Verfahren eingebracht, indem sie etwa nach der Existenz eines Betriebsrats und der ordnungsgemäßen Anhörung desselben gefragt hätte. Sie hatte vielmehr nach einer erfolgten Rüge der Betriebsratsanhörung durch den Kläger in Übereinstimmung mit der BAG-Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass der primäre Vortrag zur Betriebsratsanhörung schlüssig sein muss und "derzeit" erhebliche Bedenken bestünden, dass der Vortrag der Beklagten diese Anforderungen "bislang" erfüllte.

Der Beschluss bedurfte lediglich der qualifizierten elektronischen Signatur des berufsrichterlichen Mitglieds der zur Entscheidung berufenen Kammer (vgl. § 46d ArbGG). Die weiteren Unterschriften der Beisitzer analog § 69 Abs. 1 Satz 1 ArbGG unten dem vollständig abgefassten Beschluss bzw. analog § 60 Abs. 3 Satz 2 ArbGG unter der Beschlussformel waren hingegen nicht notwendig. Auch aus § 315 Abs. 1 ZPO folgt kein zwingendes Unterschriftserfordernis betreffend die ehrenamtlichen Beisitzer. Letztlich folgte die Notwendigkeit einer Unterschrift sämtlicher zur Entscheidung berufenen Richter auch nicht aus der Natur der Sache.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 05.08.2025 09:27
Quelle: Landesrechtsprechung Baden-Württemberg

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