Otto Schmidt Verlag

ArbG Berlin v. 15.7.2025 - 22 Ca 10650/24

Freie Mitarbeit einer Musikschullehrerin kein Arbeitsverhältnis

Nach § 611a Abs. 1 BGB setzt ein Arbeitsverhältnis die Verpflichtung zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit bei einer Eingliederung des Arbeitnehmers in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers voraus. Eine Musikschullehrerin, die über einen langen Zeitraum an einer Musikschule im Land Berlin aufgrund mehrerer jeweils befristeter Rahmenverträge, die ihre Tätigkeit als Musikschullehrkraft in freier Mitarbeit regelten, tätig war, kann sich bei entsprechendem Ergebnis der Gesamtbetrachtung der Umstände nicht darauf berufen, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen ihr und dem Land Berlin bestehe.

Der Sachverhalt:
Das beklagte Land Berlin beschäftigt in den Musikschulen der Bezirke für den dort erteilten Musikunterricht sowohl angestellte Lehrkräfte in Arbeitsverhältnissen als auch freie Mitarbeiter. Die klagende Musikschullehrerin war seit dem Jahr 1999 an einer Musikschule in Berlin aufgrund mehrerer jeweils befristeter Rahmenverträge tätig, die ihre Tätigkeit als Musikschullehrkraft in freier Mitarbeit regelten. Im letzten Vertrag aus dem Jahr 2022 war u.a. ihre Tätigkeit als freie Mitarbeiterin außerhalb eines Arbeitsverhältnisses, die Beauftragung für die jeweiligen Unterrichtsverhältnisse durch Einzelaufträge und die Zahlung von Honoraren vereinbart. Weiter sollte die Klägerin Ort und Termin für den Musikschulunterricht frei mit den zu Unterrichtenden vereinbaren und über Gestaltung und Durchführung ihres Unterrichts frei von Weisungen der Musikschule entscheiden können.

Mit - bisher nicht bestandskräftigem - Bescheid von Juni 2024 stellte die Deutsche Rentenversicherung Bund fest, dass die Musikschullehrerin i.S.d. Sozialversicherungsrechts abhängig Beschäftigte des Landes Berlin sei. Im August 2024 kündigte das Land den Rahmenvertrag der Klägerin mit der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist zum 30.9.2024.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass seit dem Jahr 1999 ein Arbeitsverhältnis zum Land Berlin bestehe. Anders als im Rahmenvertrag angegeben sei sie von Anfang an weisungsgebunden als Arbeitnehmerin beschäftigt und in den Betrieb der Musikschule eingegliedert gewesen. Dieses Arbeitsverhältnis habe das Land Berlin nicht durch die Kündigung des Rahmenvertrags wirksam beenden können. Das Land Berlin geht davon aus, dass die Zusammenarbeit mit der Klägerin wie im Rahmenvertrag vereinbart als freie Mitarbeit ausgestaltet gewesen sei und dass die Klägerin im Wesentlichen frei von Weisungen selbständig tätig gewesen sei. Der Rahmenvertrag habe entsprechend der dort ausdrücklich getroffenen Regelung gekündigt werden können.

Das ArbG wies die Klage ab. Gegen das Urteil kann die Klägerin Berufung zum LAG einlegen.

Die Gründe:
Weder vertraglich noch tatsächlich ist ein Arbeitsverhältnis feststellbar.

Nach § 611a Abs. 1 BGB setzt ein Arbeitsverhältnis die Verpflichtung zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit bei einer Eingliederung des Arbeitnehmers in die Arbeitsorganisation des Arbeitgebers voraus. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist durch eine Gesamtbetrachtung der Umstände festzustellen, wobei die tatsächliche Vertragsdurchführung bei einem Abweichen von der vertraglichen Vereinbarung maßgeblich ist. 

Im Ergebnis der Gesamtbetrachtung ist vorliegend ein Arbeitsverhältnis nicht feststellbar. Die vertragliche Regelung ist auf eine Tätigkeit in freier Mitarbeit für Einzelaufträge mit weisungsfreier Gestaltung des Unterrichts gegen Zahlung von Honorar gerichtet. Anhand der tatsächlichen Durchführung der Zusammenarbeit ist ebenfalls nicht feststellbar, dass ein weisungsgebundenes, fremdbestimmtes Arbeitsverhältnis vorliegt. Anders als bei Lehrkräften an allgemeinbildenden Schulen mit konkreten Vorgaben, Reglementierungen und Kontrollen durch den Unterrichtsträger war die Klägerin nicht ähnlich intensiv in den Unterrichtsbetrieb eingebunden. Sie war frei in der örtlichen, zeitlichen und inhaltlichen Erteilung des Musikunterrichts. Zwar konnte sie die Räume der Musikschule nutzen (und hat diese auch tatsächlich genutzt), sie war dazu aber nicht verpflichtet. 

Die Klägerin hatte auch, anders als die in Arbeitsverhältnissen beschäftigten Musikschullehrkräfte, keine Verpflichtung zum Unterricht bestimmter Schüler, sondern konnte deren Zuweisung zum Unterricht frei und ohne Erfordernis einer Begründung annehmen oder ablehnen. Soweit eine wirtschaftliche Abhängigkeit der Klägerin von den Aufträgen der Musikschule eingetreten ist, ist diese nicht als wesentliche Beschränkung der persönlichen Unabhängigkeit zu beurteilen, da jederzeit auch eine Tätigkeit für andere Auftraggeber zulässig war. Wesentlich ist die auch in der Praxis gegebene Freiheit der Klägerin bei der Gestaltung der Unterrichtsinhalte und bei der zeitlichen Bestimmung ihrer Arbeitszeiten durch eigenständige Terminvereinbarungen mit den zu Unterrichtenden.

Zu Klassenvorspielen und zu von der Musikschule angebotenen Instrumentenkarussells ist die Klägerin, anders als die angestellten Musikschullehrkräfte, nicht verpflichtend herangezogen worden, sondern nur auf entsprechende Anträge ihrerseits. Dasselbe gilt für Fortbildungen. Auf die sozialversicherungsrechtliche Einordnung kommt es für die arbeitsrechtlich zu bewertende Frage des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses nicht maßgeblich an. Da kein Arbeitsverhältnis bestanden hat, kann auch nicht festgestellt werden, dass ein solches durch die Kündigung des Rahmenvertrags nicht beendet worden ist.

Mehr zum Thema:

Kommentierung | BGB
§ 611a Arbeitsvertrag
Thüsing in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 11. Aufl. 2024
11. Aufl./Lfg. 04.2024

Aufsatz
Statusvereinbarungen - Ein sinnvolles Gestaltungsmittel?
Martin Reufels, ArbRB 2025, 145
ARBRB0078632

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 25.07.2025 12:32
Quelle: ArbG Berlin PM Nr. 19 vom 27.7.2025

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