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EuGH, C-258/24: Schlussanträge des Generalanwalts vom 10.7.2025

Kündigung wegen Austritts aus der katholischen Kirche diskriminierend?

Die Kündigung eines Arbeitnehmers durch eine katholische Organisation wegen seines Austritts aus der katholischen Kirche kann eine Diskriminierung wegen der Religion darstellen. Dies sei der Fall, wenn die Organisation die fragliche Berufstätigkeit nicht von der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche abhängig gemacht hat und der Arbeitnehmer nicht offen in einer Weise handelt, die dem Ethos dieser Kirche zuwiderläuft.

Der Sachverhalt:
Die Katholische Schwangerschaftsberatung ist ein Frauen- und Fachverband in der katholischen Kirche in Deutschland. Er berät u.a. Schwangere, insbesondere in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche. Die Beschäftigten des Verbandes müssen zwar nicht katholisch sein, auf sie finden jedoch besondere Beschäftigungsbedingungen der katholischen Kirche Anwendung. Bei katholischen Arbeitnehmern wird der Austritt aus der katholischen Kirche als schwerwiegender Verstoß gegen die Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber erachtet und kann eine Kündigung nach sich ziehen. Der Kirchenaustritt gehört nach kanonischem Recht zu den schwersten Vergehen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche. 

2019 kündigte die Katholische Schwangerschaftsberatung einer ihrer Beraterinnen im Bereich schwangerschaftsbezogener Projekte, weil sie aus der katholischen Kirche ausgetreten war und sich weigerte, wieder in sie einzutreten. Der Arbeitnehmerin ging es in erster Linie darum, von der Zahlung des besonderen Kirchgelds befreit zu werden, dem sie als Katholikin, die mit einem gut verdienenden Ehepartner in einer glaubensverschiedenen Ehe verheiratet ist, unterworfen war. Zu der Zeit der Kündigung bestand das Beratungsteam für Schwangerschaftsabbrüche aus sechs Personen, darunter zwei Mitglieder der evangelischen Kirche. 

ArbG und LAG gaben der Kündigungsschutzklage statt. Die Katholische Schwangerschaftsberatung wandte sich daraufhin mit ihrer Revision an das BAG, das sich nunmehr fragt, ob die Kündigung eine zulässige Ungleichbehandlung darstellt. Das BAG hat das Verfahren ausgesetzt und bittet den EuGH um (weitere) Hinweise zur Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG über Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, insbesondere zu den darin vorgesehenen Ausnahmeregelungen in Art. 4 Abs. 1 und 2 in Bezug auf bestimmte berufliche Anforderungen.

Die Gründe:
Die Kündigung eines Arbeitnehmers durch eine religiöse Organisation wegen seiner Entscheidung, aus einer bestimmten Kirche auszutreten, lässt sich in einem Fall wie dem vorliegenden nicht anhand der Richtlinienbestimmung rechtfertigen, die bei beruflichen Tätigkeiten in Kirchen und religiösen Organisationen unter bestimmten Voraussetzungen Ungleichbehandlungen wegen der Religion zulässt (Art. 4 Abs. 2.).

Die Voraussetzungen dieser Bestimmung sind nicht erfüllt, wenn die Ausübung der beruflichen Tätigkeiten es nicht erfordert, Mitglied der fraglichen Kirche zu sein, und der betreffende Arbeitnehmer nicht öffentlich wahrnehmbar in einer Weise handelt, die dem Ethos dieser Kirche zuwiderläuft. Eine berufliche Anforderung kann als wesentlich i.S.d. Bestimmung anzusehen sein, wenn die Tatsache, dass sich der betreffende Arbeitnehmer nicht zu einer Religion bekennt, ihn aufgrund der Art der beruflichen Tätigkeit und der Umstände ihrer Ausübung sowie unter Berücksichtigung des Ethos der Organisation für die Ausübung dieser Tätigkeit ungeeignet werden lässt.

Eine berufliche Anforderung, die in der kontinuierlichen Zugehörigkeit zu einer Kirche besteht, ist jedoch dann nicht als wesentlich anzusehen, wenn eine als Arbeitgeber handelnde religiöse Organisation die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit nicht von dieser Religionszugehörigkeit abhängig macht und die Organisation außerdem Personen mit anderen Religionszugehörigkeiten zur Ausübung eben dieser Tätigkeit beschäftigt. Der Austritt aus der fraglichen Kirche lässt für sich genommen noch nicht die Annahme zu, dass der betreffende Arbeitnehmer nicht beabsichtigt, weiterhin die Grundprinzipien und Werte der betreffenden Kirche zu befolgen, und dass er automatisch aufhören wird, die für ihn aufgrund des Arbeitsverhältnisses geltenden Pflichten zu erfüllen. 

Die Richtlinie stellt einen angemessenen Ausgleich her zwischen dem Recht der Kirchen auf Autonomie und dem Recht der Arbeitnehmer, nicht wegen ihrer Religion diskriminiert zu werden. Das Recht von Kirchen auf Autonomie dahin auszulegen, dass es einer religiösen Organisation erlaubt wäre, einem Arbeitnehmer unter diesen besonderen Umständen zu kündigen, liefe darauf hinaus, anzuerkennen, dass über dieses Recht auf Autonomie die Einhaltung der in der Richtlinie genannten Kriterien der gerichtlichen Kontrolle entzogen würde. Eine derartige Auslegung liefe auch der Religionsfreiheit des Einzelnen zuwider, die ausdrücklich in der Charta der Grundrechte der EU (Art. 10 Abs. 1) gewährleistet wird und der in Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleisteten Religionsfreiheit entspricht.

Mehr zum Thema:

Kurzbeitrag (Vorlagebeschluss des BAG)
BAG: EuGH-Vorlage zu Kündigungen wegen Kirchenaustritts
ArbRB 2024, 33
ARBRB0064049

Kurzbeitrag
BAG: Keine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Hebamme wegen Kirchenaustritts
ArbRB 2024, 1
ARBRB0063048

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 10.07.2025 13:18
Quelle: EuGH PM Nr. 91 vom 10.7.2025

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