Otto Schmidt Verlag

LSG München v. 22.8.2024 - L 7 BA 114/23

Betriebsübergang und Statusfeststellung hinsichtlich selbstständiger Tätigkeit

Eine Statusfeststellung, wonach eine selbstständige Tätigkeit vorliegt, wirkt nach einem Betriebsübergang auf einen neuen Arbeitgeber nicht über § 613a BGB weiter.

Der Sachverhalt:
Der Kläger wendet sich gegen eine Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen i.H.v. rd. 50.000 € für den Zeitraum 1.1.2017 bis 31.12.2020 durch die Beklagte betreffend die Beigeladene, die im Betrieb des Klägers mitarbeitende Ehefrau des Klägers.

Der Kläger war zunächst aufgrund eines Gesellschaftsvertrages vom 28.10.2008 gemeinsam mit seinem Vater jeweils zur Hälfte Gesellschafter der H GbR. Gegenstand des Unternehmens war und ist der Betrieb einer Gastwirtschaft, einer Metzgerei sowie eines Hotels. Die Beigeladene war im Betrieb der GbR tätig. Anlässlich eines Wechsels der Krankenversicherung der Beigeladenen stellte die BKK24 gegenüber der Beigeladenen fest, dass für die Tätigkeit bei der GbR ab dem 1.3.2011 keine Versicherungspflicht zur Sozialversicherung bestehe, da es sich nicht um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis handle. Zwar spreche für eine abhängige Beschäftigung, dass das Entgelt als Betriebsausgabe verbucht und Lohnsteuer entrichtet werde. Gegen eine abhängige Beschäftigung spreche aber, dass die Beigeladene nicht wie eine fremde Arbeitskraft in den Betrieb eingegliedert sei und an der Führung des Betriebs mitwirke.

Der Vater des Klägers schied zum 31.12.2014 aus der GbR aus. Der Kläger führte den bestehenden Betrieb der Gastwirtschaft, der Metzgerei und des Hotels unter der der GbR erteilten Betriebsnummer weiter. Der Gesellschaftsvertrag vom 28.10.2008 enthält hierzu folgende Regelung: "Bei Kündigung der Gesellschaft sowie bei Ausschließung oder Insolvenz eines Gesellschafters wird die Gesellschaft nicht aufgelöst, sondern [...] von den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt. Besteht die Gesellschaft nur aus zwei Gesellschaftern und scheidet einer von ihnen aus, so steht dem verbleibenden Gesellschafter ein Übernahmerecht zu, das gegenüber dem ausscheidenden Gesellschafter durch rechtsgestaltende Willenserklärung auszuüben ist. Macht er davon Gebrauch, so wächst ihm das Gesellschaftsvermögen ohne Einzelübertragung an; der Ausscheidende ist abzufinden."

Die Beigeladene blieb nach der Übernahme des Betriebs durch den Kläger weiterhin in dem Betrieb tätig. Mit notarieller Urkunde vom 14.3.2016 erteilte der Kläger der Beigeladenen eine General- und Vorsorgevollmacht. Im Rahmen der von der Beklagten für den Zeitraum 1.1.2017 bis 31.12.2020 durchgeführten Betriebsprüfung äußerte sich die Beigeladene dahingehend, sie arbeite seit dem 1.1.2015 sieben Tage die Woche im Betrieb des Klägers mit und erhalte hierfür ein Entgelt von 2.500 € brutto. Sie leite den Hotelbereich, führe das Personal, koche und sei in der Verwaltung der Metzgerei tätig. Sie sei dem Kläger gleichgestellt; sie treffe Personalentscheidungen eigenverantwortlich, habe eine Kontovollmacht. Sie sei nicht in den Betrieb wie eine fremde Arbeitskraft eingebunden, nicht an Weisungen gebunden und könne ihre Tätigkeit frei gestalten.

Im Januar 2022 setzte die Beklagte eine Nachforderung an Sozialversicherungsbeiträgen i.H.v. rd. 50.000 € fest. Die Beigeladene stehe spätestens seit dem 1.1.2017 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis beim Kläger. Das familiäre Band zwischen den Eheleuten sei für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Tätigkeit nicht relevant. Bei einem familiären Zerwürfnis käme es letztlich auf die bestehende Rechtsmacht des Klägers als Inhaber der Einzelfirma an. Der Bescheid der BKK24 vom 3.3.2011 stehe einer solchen Beurteilung der Tätigkeit der Beigeladenen nicht entgegen. Denn der Bescheid betreffe lediglich das Vertragsverhältnis zwischen der Beigeladenen und ihrem früheren Arbeitgeber, die GbR. Bei der GbR und der Einzelfirma des Klägers handle es sich um verschiedene Arbeitgeber. Der Bescheid habe sich mit Ausscheiden des weiteren Gesellschafters aus der GbR i.S.d. § 39 SGB X "auf andere Weise" erledigt.

Das SG gab der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten hob das LSG das Urteil des SG auf und wies die Klage ab. Die Revision zum BSG wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Die aufgrund der Betriebsprüfung festgesetzte Nachforderung an Sozialversicherungsbeiträgen für die Tätigkeit der Beigeladenen im Betrieb des Klägers ist rechtlich nicht zu beanstanden. Eine sozialversicherungsfreie familiäre Mithilfe der Beigeladenen scheidet angesichts des Umfangs der Tätigkeit der Beigeladenen und der ortsüblichen Vergütung hierfür aus.

Zutreffend ist die Beklagte davon ausgegangen, dass die Beigeladene im Betrieb des Klägers eine abhängige Beschäftigung ausübte, § 7 Abs. 4 SGB IV. Zwar war die Beigeladene bei ihrer Tätigkeit als Ehefrau des Betriebsinhabers nicht wie eine fremde Arbeitskraft in den Betrieb eingegliedert und konnte ihre Tätigkeit im Wesentlichen frei bestimmen und gestalten, was für eine selbständige Tätigkeit spricht. Im Rahmen der vom BSG vorgegebenen Gesamtabwägung aller Umstände bei der Beurteilung, ob eine selbständige Tätigkeit vorliegt oder eine abhängige Beschäftigung, treten diese für eine selbständige Tätigkeit sprechenden Merkmale jedoch in den Hintergrund. Es überwiegen die Merkmale für eine abhängige Beschäftigung.

Dieser sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung der Tätigkeit der Beigeladenen für den Kläger nach § 7 Abs. 4 SGB IV steht nicht der Bescheid der BKK24 entgegen. Es kann dahingestellt bleiben, inwieweit über § 613a BGB nach einem Wechsel des Arbeitgebers eine Bindungswirkung der Beklagten als Sozialversicherungsträger an einen solchen Bescheid gegenüber einem neuen Arbeitgeber überhaupt erzeugt werden kann. § 613a BGB regelt schon von seiner Verortung im Zivilrecht her nur das Verhältnis zwischen den betroffenen Arbeitnehmern, dem alten und dem neuen Arbeitgeber, nicht aber das Verhältnis zu einem Sozialversicherungsträger. Zudem ergibt sich aus der zivilrechtlichen Vorschrift des § 613a BGB nicht, dass die Beklagte bei ihrer Beurteilung nach § 7 Abs. 4 SGB IV an Beurteilungen von anderen Sozialversicherungsträgern gebunden wird, insbesondere bzgl. früherer Arbeitgeber. Vielmehr muss die Beklagte nach der sozialrechtlichen Rechtsprechung bei einem Wechsel des Arbeitgebers gegenüber einem neuen Arbeitgeber stets eine eigene Beurteilung vornehmen, es ist zwingend das konkret bestehende Beschäftigungsverhältnis zu beurteilen.

Aber selbst wenn man unterstellt, § 613a BGB könne eine solche Bindungswirkung erzeugen, scheitert hier eine Bindungswirkung zumindest daran, dass § 613a BGB nur anwendbar ist in Bezug auf Arbeitsverhältnisse, also abhängige Beschäftigungen, und gerade nicht bzgl. selbständigen Tätigkeiten; nur bei Arbeitsverhältnissen kommt § 613 a BGB zur Anwendung. Von der Regelung des § 613a BGB werden alle im Zeitpunkt des Übergangs (noch) "bestehenden" Arbeitsverhältnisse erfasst. Betroffen sind auch die Anstellungsverhältnisse der leitenden Angestellten i.S.d. § 5 Abs. 3 BetrVG und des § 14 Abs. 2 KSchG. Auf sonstige Dienstnehmer, die keine Arbeitnehmer sind, findet § 613a BGB dagegen keine Anwendung. Auf ein freies Dienstverhältnis ist § 613a BGB weder direkt noch analog anwendbar. Wenn also - wie hier von der BKK24 - festgestellt wird, dass gerade kein (nach § 613a BGB schützenswertes) Arbeitsverhältnis vorliegt, sondern eine selbständige Tätigkeit, kann § 613a BGB schon deshalb gar nicht zur Anwendung kommen.

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Willemsen/Müller-Bonanni in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 11. Aufl. 2024
11. Aufl./Lfg. 04.2024

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 26.08.2024 16:00
Quelle: Bayern.Recht

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