Aktuell in der ZFA
Die Verjährung von Urlaubsansprüchen - Ein Blick auf die aktuelle Rechtsprechung (Zilz/Greiner, ZFA 2024, 399)
Die Autoren befassen sich in ihrem Beitrag mit der aktuellen Rechtsprechung zur Verjährung von Urlaubsansprüchen. Hierbei gehen sie auch auf die Behandlung von Neufällen ein, bei welchen der Arbeitgeber der nunmehr bestehenden Hinweisobliegenheit nicht bzw. unvollständig nachgekommen ist.
I. Einführung
II. Nationale Ausgangslage
1. Ansprüche auf Urlaub und auf Urlaubsabgeltung
2. Aufgreifen des Verjährungsthemas im Anschluss an Shimizu & Kreuziger
a) Anerkennung von Mitwirkungsobliegenheiten
b) Konsequenzen der Mitwirkungsobliegenheiten für die Verjährungsfrage
aa) Gestiegene Praxisrelevanz der Verjährungsfrage
bb) Stellungnahmen im Schrifttum
III. Rechtsprechung zur Verjährung von Urlaubsansprüchen
1. Vorbemerkung
2. Entscheidung des EuGH-Urt. v. 22.9.2022 – C-120/21 – TO
3. Umsetzung der Entscheidung durch das BAG
a) BAG, Urt. v. 20.12.2022 – 9 AZR 266/20
b) BAG v. 31.1.2023 – 9 AZR 456/20 und BAG v. 31.1.2023 – 9 AZR 244/20
c) Stellungnahme
aa) Die Verjährung des Urlaubsanspruchs
(a) Mangelnde methodische Präzision des BAG
(b) Alternative Lösungsmöglichkeit: Berücksichtigung einer Rechtskenntnis bei der Festlegung des Verjährungsbeginns?
(c) Zwischenergebnis
bb) Die Verjährung des Abgeltungsanspruchs – Gebotenheit einer richtlinienkonformen Auslegung?
4. Behandlung von Neufällen
a) Urlaubsabgeltungsanspruch: Verjährung
b) Urlaubsanspruch: Verjährung nur bei korrekter Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit
c) Verwirkung des Urlaubsanspruchs?
5. Handlungsempfehlung für Arbeitgeber
IV. Fazit
I. Einführung
Das Urlaubsrecht ist in den letzten Jahren stark in Bewegung geraten. Dies ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass der EuGH zahlreiche Vorgaben zur Interpretation der Arbeitszeitrichtlinie entwickelt hat, die im Wege richtlinienkonformer Rechtsfindung bei der Anwendung des BUrlG zu berücksichtigen sind. Eine besonders praxisrelevante Vorgabe traf der EuGH in der Rs. Shimizu & Kreuziger, in der er den Verfall des Urlaubsanspruchs an die Voraussetzung knüpfte, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über dessen Urlaubsansprüche und über den drohenden Verfall bei deren Nichtgeltendmachung informiert. Konsequenz dieser Entscheidung ist, dass Urlaubsansprüche nicht mehr zwingend zum Jahresende bzw. mit Ablauf des Übertragungszeitraums verfallen.
Unabhängig von der Frage, wie man diese aus vielen Gründen zweifelhafte Entscheidung bewertet, muss die Praxis diese Entscheidung als Faktum akzeptieren. Dies wirft die Folgefrage auf, ob Urlaubsansprüche in Fällen, in denen Arbeitgeber ihrer Hinweisobliegenheit nicht nachkommen, zumindest durch die Verjährung begrenzt werden. Hierzu haben sich EuGH und BAG kürzlich positioniert. Dieser Beitrag analysiert und bewertet die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung. Zu diesem Zweck stellt er zunächst die nationale Ausgangslage zur Verjährung von Urlaubsansprüchen und Urlaubsabgeltungsansprüchen dar (II.). Im Anschluss skizziert er die durch die Rs. Shimizu & Kreuziger eingeleitete Spruchpraxis und setzt sich mit der Frage auseinander, ob und unter welchen Voraussetzungen Urlaubsansprüche und Urlaubsabgeltungsansprüche verjähren (III.). Abschließend erfolgt eine thesenhafte Zusammenfassung der gefundenen Ergebnisse (IV.).
II. Nationale Ausgangslage
1. Ansprüche auf Urlaub und auf Urlaubsabgeltung
Gemäß § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Ansonsten verfällt der Urlaubsanspruch. Eine Ausnahme hiervon sieht § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG vor. Danach kann der Urlaub in das nächste Kalenderjahr übertragen werden, sofern er aufgrund dringender betrieblicher oder in der Person des Arbeitnehmers liegender Gründe im laufenden Jahr nicht gewährt werden kann. In einem solchen Fall muss der Urlaub innerhalb der ersten drei Monate des folgenden Kalenderjahres genommen werden, andernfalls verfällt er. Aufgrund dieser kurzen Ausschlussfrist besaß die Frage, ob der Urlaubsanspruch der Verjährung nach § 195 BGB unterliegt, bislang kaum Praxisrelevanz: Da die Ausschlussfrist deutlich kürzer als die dreijährige Verjährungsfrist ist, waren potentielle Ansprüche bereits vor Ablauf etwaiger Verjährungsfristen erloschen. Dementsprechend konnte das BAG bislang offenlassen, ob Urlaubsansprüche den Verjährungsregeln unterliegen. Eine ausdrückliche Positionierung zur Verjährung von Urlaubsansprüchen unternahm indes das LAG Düsseldorf anlässlich eines Falls der Langzeiterkrankung. Es ging davon aus, dass Urlaubsansprüche als reguläre Ansprüche dem Verjährungsrecht unterliegen. Die Vorschriften des BUrlG enthalten lediglich bezüglich der Erfüllungsmodalitäten Sonderregelungen, nicht jedoch bezüglich der Verjährung. Schließlich sei die Funktion der Verjährung, das Schaffen von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden, auch in diesem Kontext passend. Die Verjährung des Urlaubsanspruchs beginne gem. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB mit dem Schluss des Urlaubsjahres.
Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird dem Arbeitnehmer hinsichtlich der Urlaubsansprüche, welche aufgrund der Beendigung nicht mehr gewährt werden können, gem. § 7 Abs. 4 BUrlG ein Urlaubsabgeltungsanspruch zugestanden. Auch hinsichtlich dieses Anspruchs stellt sich die Frage der Verjährung. Diese Frage ist unabhängig von der Verjährung des Urlaubsanspruchs zu beantworten, da es sich beim Abgeltungsanspruch um einen eigenständigen Geldanspruch handelt, der den allgemeinen Regeln des bürgerlichen Rechts unterliegt. Auch in Bezug auf diesen Anspruch liegt es nahe, von einer Verjährung nach den allgemeinen Regeln auszugehen.
2. Aufgreifen des Verjährungsthemas im Anschluss an Shimizu & Kreuziger
a) Anerkennung von Mitwirkungsobliegenheiten
Praxisrelevanz gewann die Verjährungsproblematik infolge der Anerkennung von Mitwirkungsobliegenheiten durch die Rs. Shimizu & Kreuziger. Dort setzte sich der EuGH auf Vorlage des BAG mit den Fragen auseinander, ob § 7 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 S. 1 BUrlG gegen Art. 7 RL 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 GRCh verstoßen und welche Konsequenzen sich hieraus für das nationale Arbeitsrecht ergeben. Der EuGH rekurrierte auf Art. 7 Abs. 1, 2 RL 2003/88/EG. Danach muss jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen erhalten, welcher außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf. Der Anspruch solle dem Arbeitnehmer ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen. Durch die Regelung in Art. 7 Abs. 2 RL 2003/88/EG, welche vorsieht, dass der Mindestjahresurlaub nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf, werde zudem ein wirksamer Schutz der Sicherheit und Gesundheit des Arbeitnehmers gewährleistet. Zur Bestärkung des Urlaubsanspruchs verweist der EuGH zusätzlich auf die primärrechtliche Verankerung des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub in Art. 31 Abs. 2 GRCh sowie auf dessen Stellenwert als besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben stellte der EuGH fest, dass die nationalen Vorschriften nicht zum Erlöschen des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub führen dürfen, wenn es dem Arbeitnehmer nicht möglich gewesen ist, die Ansprüche wahrzunehmen. Der Arbeitgeber müsse den Arbeitnehmer zwar nicht zwingen, den verbleibenden Urlaub zu nehmen, aber er müsse Sorge dafür tragen, dass der Arbeitnehmer in die Lage versetzt wird, den Urlaub rechtzeitig zu nehmen. Voraussetzungen seien eine Aufforderung, den verbleibenden Urlaub zu nehmen, und ein rechtzeitiger Hinweis auf einen ansonsten drohenden Verfall.
Das BAG setzte die Vorgaben des EuGH durch richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 BUrlG um. Der Urlaubsanspruch sei demnach nur in den Fällen auf das laufende Jahr befristet, in denen der Arbeitgeber seiner Hinweisobliegenheit nachgekommen ist. Kommt der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht nach, trete der Urlaubsanspruch dementsprechend zum Urlaub des Folgejahres hinzu, so dass ein kumulierter Urlaubsanspruch entstehe.
b) Konsequenzen der Mitwirkungsobliegenheiten für die Verjährungsfrage
aa) Gestiegene Praxisrelevanz der Verjährungsfrage
Akzeptiert man die Aussagen des EuGH und des BAG als Prämisse, droht nun ein Ansammeln urlaubsrechtlicher Ansprüche. Sofern ein Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit mehrere Jahre nicht gerecht wird, können sich Urlaubsansprüche ansammeln, welche vor mehr als drei Jahren entstanden und fällig geworden sind. Problematisch ist dies vor allem für den Zeitraum vor ...